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Saarland Für Chancengleichheit in der dualen Hörfunkordnung

Chef der Staatskanzlei für Road-Map beim Digital-Umstieg

Staatssekretär Jürgen Lennartz, Chef der saarländischen Staatskanzlei Quelle: Carsten Simon Jürgen Lennartz Chef der saarländischen Staatskanzlei Saarländische Staatskanzlei 28.10.2015
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Der verfassungsrechtliche Gestaltungsauftrag verlangt den Blick auf "die wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des privaten Rundfunks", sagt Staatssekretär Jürgen Lennartz, Chef der saarländischen Staatskanzlei. Vorrangiges Ziel "ist die Förderung der Medienvielfalt".







Der VPRT fordert bei der Digitalisierung besonderes Augenmerk auf die vielfältige private Radiolandschaft zu legen und verweist dabei auf das Grundgesetz. Muss und kann die Politik das Privatradio tatsächlich schützen?
Ja. Das in Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Grundrecht der Rundfunkfreiheit verlangt vom Gesetzgeber die Ausgestaltung einer Rundfunkordnung, in der die Vielfalt der bestehenden Meinungen in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet. Dem Rundfunk kommt wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft eine herausgehobene Bedeutung unter den Medien zu. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Rundfunkordnung konkret gesetzlich auszugestalten; das heißt, er hat den gesetzlichen Rahmen zu gestalten, der tatsächlich ein Mindestmaß an medialer Grundversorgung gewährleistet. Ein „laisser faire“ oder das bloße Vertrauen auf die „unsichtbare Hand des Marktes“ ist eben gerade nicht ausreichend bzw. nicht zulässig. Dieser verfassungsrechtliche Gestaltungsauftrag verlangt daher auch die Sorge der Medienpolitik um die wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des privaten Rundfunks. Aus diesem Grund ist der Gesetzgeber gehalten, bei der gesetzlichen Ausgestaltung unserer dualen Rundfunkordnung einen Rahmen zu schaffen, der es dem privaten Rundfunk ermöglicht, seinen Beitrag zur Medienvielfalt in Deutschland zu leisten.

Wie lässt es sich gesellschaftspolitisch erklären, dass Radio für den Eintritt in die digitale Welt einen Rettungsschirm verlangt, während andere Branchen den Folgen der Digitalisierung schutzlos ausgeliefert sind?
Diese teilweise erhobene Forderung nach einem „Rettungsschirm“ ist in dem unterschiedlichen Nutzungsverhalten der Bürgerinnen und Bürger in den jeweiligen Rundfunkverbreitungswegen begründet: Der Umstieg auf die digitale Verbreitung ist im Bereich terrestrisches Fernsehen (DVB-T), im Bereich Satellitenverbreitung (DVB-S) und im Bereich Kabel (DVB-C) in weiten Teilen marktgetrieben, d.h. aufgrund der entsprechenden Nachfrage der Verbraucher bzw. der Zuschauerinnen und Zuschauer gelungen. Anders ist es hingegen im Hörfunk: Radioprogramme werden in Deutschland nach wie vor am meisten über die analoge Verbreitung via UKW genutzt. Wie aus dem Digitalisierungsbericht 2015 der Medienanstalten hervorgeht, nutzen knapp 93 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren analoges Radio, auf Rang 2 folgt Internetradio, das von knapp 30 Prozent der Deutschen – zumindest auch - genutzt wird. Radio über Satellit und Kabel werden von rund 15 Prozent genutzt, während Digitalradio nur 10 Prozent der Deutschen erreicht. Solange und soweit dies im Bereich Hörfunk noch nicht der Fall ist, ist es erklärbar, dass Radiounternehmen, für die die Sicherstellung der Verbreitung ihrer Programme absolut überlebensnotwendig ist, diesbezüglich nach entsprechenden Sicherungsmaßnahmen fragen.

Die privaten Radioveranstalter sehen sich finanziell gegenüber den öffentlich-rechtlichen Sendern  benachteiligt und wollen „Positivanreize“ für den digitalen Umstieg. Welche Förderung könnten Sie sich vorstellen?
Wir müssen uns einfach vor Augen halten, dass der private Rundfunk auf die Refinanzierung aus Werbung existenziell angewiesen ist. Seine Werbeerlöse bemessen sich nach der tatsächlichen Nutzung durch die Hörer. Vor diesem Hintergrund betont z.B. Klaus Schunk, Vorsitzender des Fachbereichs Radio und Audiodienste im Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), dass DAB+ nicht der Bereich sein könne, wohin insbesondere durch die ARD wenig massenattraktive, aber originär öffentlich-rechtliche Programme abgeschoben werden, um im UKW-Bereich neue Programme für bisher schlechter erreichte, aber wichtige Zielgruppen zu etablieren. DAB dürfe kein Verschiebebahnhof sein, um die Dominanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Frequenzausstattung auszubauen. Man muss solch Hinweise wahrnehmen, da an solchen Bedenken auch wichtige Investitionen hängen, die wir für die Förderung von DAB brauchen. Wenn das Kräftegleichgewicht im UKW-Bereich zulasten der Privaten verschoben würde, könnte man ihnen die Fähigkeit nehmen, sich am weiteren Aufbau des digitalen Verbreitungsweges zu beteiligen.

Ähnliches gilt für die Ausgestaltung der neuen DAB+-Ordnung. Auch hier sind Strukturen zu schaffen, die Chancengleichheit in der dualen Hörfunkordnung gewährleisten. Ein Teilaspekt hierbei ist beispielsweise, dass insbesondere auch für kleinere lokale und regionale Anbieter vorab technisch und publizistisch überzeugende und finanzierbare Lösungen gefunden werden.

Während Handel und Industrie einen klaren Abschalttermin für UKW fordern, wollen die Privatradios solange es geht an ihrem analogen Geschäftsmodell festhalten und auch die ARD will sich nicht festlegen, hat unter diesen Vorzeichen terrestrisches digitales Radio in Deutschland überhaupt eine Chance?
Um nicht missverstanden zu werden: Das primäre und absolut vorrangige medienpolitische Ziel der Länder ist die Förderung der Medienvielfalt. Das gilt auch im Hinblick auf DAB. Die Förderung der Umsätze zum Beispiel im Elektronikeinzelhandel, so sehr ich das begrüße, ist allerdings eher ein positiver Nebeneffekt. Aus diesem Grund muss die Medienpolitik auch primär darauf achten, dass die Digitalisierung des Hörfunks nicht gegen die vitalen Interessen der betroffenen maßgeblichen Unternehmen, gegen die Interessen des privaten Rundfunks, betrieben wird.

Angesichts von vielen Millionen UKW-Geräten in Deutschland und einer grundsätzlich vorhandenen Zufriedenheit der Hörer mit dem UKW-Hörfunkangebot ist es im Übrigen wenig hilfreich, wenn wir – zur Förderung von DAB – zunächst die UKW-Hörer mit einem Abschaltdatum dazu zwingen, ihre vorhandenen Geräte wegzuwerfen und dann neue DAB-Geräte zu kaufen. Wir brauchen meiner Meinung nach keine Diskussion über einen UKW-Abschalttermin, sondern Kriterien, wann wir über einen solchen Abschalttermin entscheiden können.

Und diesbezüglich ist mein Eindruck, dass wir längst weiter sind, als das in Ihrer Frage anklingt. In den vergangenen Monaten gab es viele, sehr konstruktive Gespräche zwischen der ARD, den Landesmedienanstalten und den privaten Rundfunkveranstaltern. Man diskutiert insbesondere, welche tatsächlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine Abschaltung von UKW grundsätzlich in den Blick zu nehmen. Und aufbauend auf diesen Gesprächen kann meiner Meinung nach auch eine „Road map“ mit den nächsten anvisierten Meilensteinen für die Digitalisierung des Hörfunks entwickelt werden. In diesem gemeinsamen Prozedere sehe ich die Chance des terrestrischen Hörfunks in Deutschland: Denn solch ein, den gesamten Markt berücksichtigendes, Vorgehen anhand von vereinbarten und nachprüfbaren Kriterien macht – neben der Klärung der Refinanzierung auch für die private Seite – die weitere Entwicklung von DAB für alle Beteiligten planbar und kalkulierbar.

Während die Einführung von Digitalradio läuft, werden in Deutschland immer noch UKW-Frequenzen vergeben oder verlängert. Halten Sie das für zielführend, wenn es um die Zukunft des Radios geht?
Das ist in der Tat eine ganz spannende Frage. Im Rahmen der Novellierung des Saarländischen Mediengesetzes wurde im Rahmen der von der Staatskanzlei durchgeführten Online-Konsultation eine ähnliche Anregung eingebracht. So wurde vorgeschlagen, im Saarländischen Mediengesetz künftig zu fixieren, dass – wenn ein Veranstalter die Verbreitung eines UKW-Programmes zugunsten einer digitalen Ausstrahlung beendet – die dann freigewordene UKW-Frequenz nicht wieder zugeordnet und z.B. keinem anderen privaten Anbieter mehr zugewiesen werden dürfe.
Diese Regelung haben wird jedoch nicht in das neue Saarländische Mediengesetz aufgenommen. Zum einen, da im Hinblick auf eine Digitalisierung des Hörfunks –wie von mir eben beschrieben – noch viele rechtliche, medienwirtschaftliche und tatsächliche Fragen offen sind. Insofern gilt hier ähnliches wie im Hinblick auf den oben diskutierten Abschalttermin: Wir brauchen keine Diskussion über das „Erlöschen“ von zurückgegebenen UKW-Frequenzen, sondern wir brauchen Kriterien, ab wann solch ein „Erlöschen“ sinnvoll sein kann. Zum anderen ist für die Förderung von DAB meiner Meinung nach ein abgestimmtes Vorgehen der Länder erforderlich. Ein isoliertes Vorpreschen des Saarlandes alleine hätte weder die laufende DAB-Diskussion gelöst, noch die Medienvielfalt im Saarland gefördert. Und darauf kommt es letztlich an.

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