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Digitale Lehr- und Prüfungsformate sind kein Allheilmittel

Warum die Politik bei der Digitalisierung dennoch mehr Handlungswillen braucht

Dr. Yvonne Dorf - Geschäftsführerin, Deutscher Hochschulverband Quelle: DHV Dr. Yvonne Dorf Geschäftsführerin Deutscher Hochschulverband 19.03.2024
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"Richtig bleibt nach wie vor, dass deutsche Hochschulen im internationalen Vergleich mit Blick auf die Digitalisierung hier und da noch mehr Luft nach oben haben", konstatiert Dr. Yvonne Dorf vom Deutschen Hochschulverband. Haupthindernisse sieht sie in mangelnden Personalressourcen und einer unzureichende Finanzierung.







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Die hiesigen Hochschulen sind auf dem Weg zu smarten Hochschulen - zugleich herrscht nach der Pandemie wieder vielerorts die Präsenzlehre vor. Wieviel digital und wie viel analog macht einen Campus smart?
Die zurückliegende Covid-19-Pandemie hat der Digitalisierung in Studium und Lehre Vorschub geleistet. Bundesweit haben Hochschulen weitestgehend erfolgreich alles daran gesetzt, um den pandemiebedingt nur eingeschränkt möglichen Lehrbetrieb so gut wie möglich durch digitale Formate zu ersetzen. Einiges hat sich nach dem Prinzip von „Trial and Error“ bewährt, anderes wiederum nicht. Richtig bleibt nach wie vor, dass deutsche Hochschulen im internationalen Vergleich mit Blick auf die Digitalisierung hier und da noch mehr Luft nach oben haben.

Wer sich in Post-Pandemie-Zeiten ehrlich macht, muss einräumen, dass digitale Lehr- und Prüfungsformate kein Allheilmittel sind. Auch noch so virtuose Tools werden die menschliche Begegnung nie vollends ersetzen können. Aus vielerlei Untersuchungen ist inzwischen bekannt, dass Studierende den persönlichen Austausch mit Kommilitoninnen und Kommilitonen, aber auch zu Lehrenden vermissen und sich wünschen. Insider wird dies nicht überraschen: Erkenntnis wird vor allem im Dialog, im unmittelbaren Austausch und in der Begegnung von Lehrenden und Lernenden gewonnen. Die Zukunft besteht daher darin, traditionelle und „digitale" Lehrformate besser miteinander zu verzahnen. Klug eingesetzt bilden beide keinen unvereinbaren Gegensatz. Stattdessen können und sollen sie sich gegenseitig ergänzen und bereichern. Wo die genau richtige Mischung liegt, muss vor Ort  und unter Berücksichtigung der jeweiligen Fächerkulturen entschieden werden.

KI hat das Potenzial, Studium und Lehre grundlegend zu verändern. Wie gehen die hiesigen Hochschulen damit um?
Es ist unstreitig, dass KI-Werkzeuge einen signifikanten Einfluss darauf haben werden, wie an Universitäten künftig gelehrt und gelernt werden wird. Daher ist es von großer Bedeutung, das volle Potenzial von KI-Anwendungen zur Verbesserung der Lehre und zur Unterstützung des Lernens zu erkennen. Gleichzeitig sind aber auch die damit verbundenen Herausforderungen und Probleme wie z. B. erweiterte Betrugsmöglichkeiten in Prüfungen, unbeabsichtigte Urheberrechtsverletzungen oder Datenverstöße ernst zu nehmen. In diesem schwierigen Spannungsfeld bewegen sich Hochschulen derzeit. Die damit verbundenen Herausforderungen nehmen sie an. Um Studierende zum reflektierten und kompetenten Umgang mit KI-Instrumenten zu befähigen, müssen zunächst einmal Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den ihnen oftmals unbekannten Anwendungsmöglichkeiten vertraut und für Missbrauchsrisiken sensibilisiert werden.

Der im Zuge weiterer technischer Optimierungen wachsenden Versuchung, KI-Anwendungen blind zu vertrauen, muss vor allem mittels guter Lehre vorgebaut werden. Dazu gehört, junge Menschen dazu zu befähigen, anhand von gesichertem Wissen Sachverhalte kritisch einzuordnen und zu bewerten. Auch die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis müssen Lehrende wie bisher konsequent vermitteln.

Gute Lehre und ein vor großen Umbrüchen stehendes Prüfungswesen setzen gute Betreuungsrelationen voraus, die mit einem im bundesweit fächerübergreifenden Durchschnitt von 61 Studierenden pro Professorin und Professor an Universitäten und ihnen gleichgestellten Hochschulen nach wie vor nicht gegeben sind. Hier darf die Politik die Hochschulen nicht im Regen stehen lassen, wenn das große Potential, das in KI-Anwendungen liegt, gewinnbringend nutzbar gemacht werden soll.

Hochschul-IT-Systeme gelten aufgrund ihrer Größe und der vielen Zugänge als besonders schwer zu sichern - welche Anstrengungen sind in Sachen Cybersicherheit nötig?
Die wiederholten Cyberangriffe auf öffentliche Einrichtungen, darunter Hochschulen, zeigen: Beim Thema Cybersicherheit besteht Nachholbedarf, auch weil Erkenntnisfortschritte zusehends auf einer starken digitalen Infrastruktur sowie leistungsfähigen Diensten und Werkzeugen beruhen. Der Wissenschaftsrat hat im Oktober 2023 dazu lesenswerte Empfehlungen vorgelegt und Hochschulen angeraten, die Verantwortlichkeiten für Digitales in jeder Einrichtung klar festzulegen und Steuerungsaufgaben auf Leitungsebene sowie in speziellen Organisationseinheiten abzubilden, etwa mit einem Chief Information Officer, den es bereits in verschiedenen Einrichtungen gibt. Um qualifiziertes IT-Personal gewinnen und halten zu können, müssen Bund und Länder insbesondere auf Anpassungen der tariflichen Vergütungssysteme hinwirken, damit Hochschulen auch auf dem außerhochschulischen Markt heiß begehrte Expertinnen und  Experten gewinnen oder halten können.

Mit Blick auf die Cybersicherheit müssen Hochschulen darüber hinaus verstärkt technische Vorkehrungen, Notfallpläne sowie Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen aufbauen. Übergreifende Strukturen und Kooperationen, beispielsweise für die Beschaffung und den Betrieb digitaler Infrastrukturen und Dienste, sind außerdem wichtig.
 
Digitalisierung bindet Geld und Ressourcen - wie sollte die Politik die Hochschulen in dieser Frage unterstützten?
Mangelnde Personalressourcen und eine unzureichende Finanzierung bleiben die Haupthindernisse für den Ausbau und die Weiterentwicklung der Digitalisierung an Hochschulen. Die bisher insbesondere befristet vergebenen Fördermittel verzögern die nachhaltige Umstellung. Die augenscheinliche und gute Idee, parallel zum Digitalpakt Schule auf Bund-Länder-Ebene einen Digitalpakt Hochschule aufzulegen, hat die Politik bislang ignoriert. Die Digitalisierung des strukturell unterfinanzierten deutschen Hochschulsystems lässt sich auf Dauer allerdings nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben. Zu Recht hat die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission Forschung und Innovation bereits 2019 die Einführung einer „Digitalisierungspauschale“ angeregt. Der Deutsche Hochschulverband und die Hochschulrektorenkonferenz haben diesen Gedanken aufgegriffen. Dass Hochschulen pro Studentin bzw. Student einen festzulegenden Betrag zum Ausbau und Unterhalt ihrer digitalen Infrastruktur und Anwendungen sowie zum Ausbau ihrer digitalen Lehr- und Lernangebote erhalten, bleibt sinnvoll. Die Politik ist in wirtschaftlich angespannten Zeiten am Zug, lässt aber leider den erforderlichen Handlungswillen vermissen. Das schadet dem Wissenschaftsstandort Deutschland und muss sich ändern.

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