Herr Dr. Maurer: Sie sind Chefarzt einer auf Psychosomatik spezialisierten Klinik. Welche Rolle spielt für Ihr Therapiekonzept und Ihre Patienten das Konzept des Digital Detox, also der digitalen Enthaltsamkeit?
Das ist bei uns ein großes Thema und betrifft vor allem die vielen Schaffer und Machertypen, die immer auf Sendung sind, und dabei den Kontakt zu sich selbst verloren haben. Wir haben das Glück, dass unsere Klinik in Scheidegg „am Ende der Welt“ liegt. Bei den so genannten Inaktivitätstagen schauen die Menschen auf die österreichischen Berge in Vorarlberg und haben zusätzlich gar keinen konstanten Mobilfunkempfang. Das ist therapeutisch sehr hilfreich. Denn gerade, wenn man eine Kurzzeittherapie macht und man mit sich in Kontakt treten soll, ist es sehr wichtig, nicht immer mit der Außenwelt zu kommunizieren. Ich verstehe Psychosomatik als Beziehungsmedizin. Spannungsreiche Beziehungen sind der Grund für die vielen psychosomatischen Folgestörungen und Erkrankungen. Oft liegt diesen ein Wackelkontakt zum eigenen Selbst und zu anderen Menschen zugrunde, ein Wackelkontakt also im Beziehungsbereich. Wir bringen den Menschen wieder bei, in den Gefühlskontakt mit ihrer Seele und ihren wahren Bedürfnissen zu kommen und dann die Beziehungen wieder so zu gestalten, dass sie tragfähig sind. Genau an dieser Stelle ist es wichtig, nicht immer im Außen-und Fern-Kontakt zu sein. Das von mir geschätzte Konzept der Achtsamkeit bedeutet ja gerade, ganz dort zu sein, wo man gerade ist, sonst ist der Körper hier und der Kopf ganz woanders, und die seelische Verbindung reißt ab, was immensen Stress erzeugt. Darum ist es mir für die Patienten so wichtig, dass sie Abstand aus dem Alltag und wirklich mal Zeit für sich haben. Einmal in der Woche machen wir einen Technology Break – hier sollen die Patienten wirklich mal absolut einen Tag die Finger von jedem technischen Gerät lassen. Dann können sie darüber reflektieren: Gelingt mir das noch? Was passiert mit mir? Werde ich kribbelig? Bin ich schon danach süchtig?
Über ihre Inaktivitätstage an der Klinik wurde schon viel geschrieben, was verbirgt sich dahinter?
Allein sein mit sich, nicht produktiv sein und sich nicht von sich selbst ablenken! Nicht sprechen, nicht Musik oder Radio hören, kein Handy, keine Medien, kein PC, nichts lesen. Essen sich aufs Zimmer bringen lassen- Schlafen nur nachts, tagsüber nur aus dem Fenster schauen, beobachten,und allen Gefühlen Raum geben und ins Spüren und Empfinden kommen. Allenfalls nach-spürendes Schreiben ist erlaubt als Selbstreflexion. In dieser Phase fangen viele Menschen an, sich die wirklich wichtigen Fragen ihres Lebens zu stellen. Und Ihre vermiedenen Gefühle und Sehnsüchte holen sie ein, so dass sie wieder in Kontakt kommen mit ihrer Seele und ihren Gefühlen, die ja die wichtigsten Sensoren sind für eigene wirkliche Bedürfnisse.
Warum ist dieser Technology Break so wichtig?
Wir dürfen nicht vergessen, dass unser Hirn nie schläft. Selbst nachts räumt es den seelischen Müll auf und arbeitet es unbewältigte Konflikte des Tages nach, die wir am Tag nicht gelöst haben. Und unser Hirn braucht ganz dringend Pausen. Und das gönnen wir unserem Hirn in unserer modernen Zeit eigentlich nie. Ich persönlich glaube, dass wir für den Permanentalarm der Dauererreichbarkeit, ständig unter Strom zu sein, nicht geschaffen sind. Wir fahren ständig unsere Antennen in die Welt aus, um zu schauen, wer was von uns will und was von uns erwartet wird. Und wir denken, dass wir etwas verpassen, wenn wir nicht ständig online, auf Sendung sind. Ist es nicht so, dass wir am Wochenende das Handy gar nicht mehr ausschalten und schnell noch diverse Mails checken? Vielen Menschen ist es gar nicht mehr wichtig, einmal allein in den Wald und in die Natur als „grünen Therapeuten“ zu gehen während niemand weiß, wo man erreichbar ist. Genau das sollte uns aber wichtig sein, denn es ist aus meiner Sicht eine Form von Freiheit und Seelenhygiene. Wir sind arme Würstchen, wenn wir meinen, dafür keine Zeit mehr zu haben und uns das nicht mehr gönnen.