Welche gesundheitlichen Gefahren birgt ein Übermaß an Digitalarbeit?
Die Digitalisierung der Arbeitswelt führt vor allem in den „Wissensberufen“ zu immer flexibleren Arbeitsformen, wie zum Beispiel die „mobile Arbeit“. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können zwar einfacher das Private mit dem Beruflichen vereinen (z.B. kurz das Kind von der Kita abholen), aber sie birgt auch Gefahren. Aufgrund der schnelleren Kommunikation und der Arbeitsverdichtung kann sie zum Beispiel zur Überlastung durch das Gefühl der ständigen Erreichbarkeit, zur Entgrenzung zwischen Privat- und Berufsleben, zu mangelnder Erholungsfähigkeit und in der Folge zu Schlafstörungen führen.
Das belegen uns auch Zahlen: 65 Prozent der Beschäftigten nehmen laut BMAS-Monitor „Digitalisierung am Arbeitsplatz“ eine Verdichtung der Arbeit wahr. 27,7 Prozent der Beschäftigten fühlen sich durch die Folgen der Digitalisierung in der Arbeitswelt mehr belastet (Quelle: BKK Gesundheitsreport 2017). Und wir sehen, dass sich die Zahl der Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen in den letzten 10 Jahren deutlich erhöht hat.
Wie gehen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der digitalen Arbeitswelt mit potenziellen gesundheitlichen Risiken um, wie kann man ihnen vorbeugen, Resilienz aufbauen?
Hierbei spielt der Arbeitsschutz und die Prävention eine wichtige Rolle. Arbeitgeber sind verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und Maßnahmen abzuleiten, die hier erkannte Risiken abwendet. Klar geregelt ist außerdem die Einhaltung von Ruhezeiten, an die sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer halten müssen. Hier sind vor allem eindeutige Absprachen zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen wichtig. Im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention können sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventive Maßnahmen dabei unterstützen, die Resilienz der Beschäftigten zu stärken. Als Beispiel der verhältnispräventiven Maßnahmen kann die Stressbewältigungs- und Ressourcenstärkungskompetenz der Beschäftigten genannt werden. Im Bereich der Verhältnisprävention z. B. die „gesundheitsgerechte Führung“, denn die Rolle der Führungskraft nimmt in der neuen Arbeitswelt an Bedeutung zu. Früher war die „fachliche“ Eignung der Führungskräfte das entscheidende Kriterium. Neben Fachwissen sind heute die Soft Skills der Führungskräfte entscheidend. Dabei geht es zum Beispiel darum, eine Fehlerkultur zu leben, in der die Beschäftigten dazu ermutigt werden, neue Dinge unerschrocken auszuprobieren, auch wenn diese scheitern können. Aber auch die Signale und Anliegen der Beschäftigten wahrnehmen zu können und darauf entsprechend zu reagieren ist eine wichtige Fähigkeit, die eine Führungskraft mitbringen sollte. Zudem müssen Führungskräfte verstehen, welch großen Einfluss ihr Verhalten und ihre Arbeitsweise auf die Gesundheit der Beschäftigten haben können. Wenn eine Führungskraft spät abends Mails beantwortet, so fördert sie eine Unternehmenskultur, die nicht für eine gesundheitsförderliche Arbeitseinstellung steht.
Welche Rolle spielen dabei die Gestaltung des Arbeitsplatzes bzw. die Formatierung der Arbeitsinhalte?
Laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin können Maßnahmen, die dem digitalen Stress entgegenwirken, in 3 Ebenen betrachtet werden: 1. Technologie, 2. Organisation und 3. Personen.
Zur ersten Ebene „Technologie“ zählt dabei z. B. die Auswahl der eingesetzten Tools. Dabei ist darauf zu achten, dass die verwendeten Tools den Arbeitsalltag erleichtern und nicht parallel mehrere Tools für die Erbringung der Arbeit notwendig sind, da dies zu einer Erhöhung des Stressempfindes führen kann.
Zur Organisationsebene gehören z. B. Schulungen zum Umgang mit digitalem Stress und die Einführung von Stillarbeitsplätzen, um möglichst ungestört arbeiten zu können.
Unter der dritten Ebene der Person fallen die Vermittlung von Selbstmanagementkompetenzen oder das Einführen von Teamregeln zu Zeiten der Erreichbarkeit, dem Einsatz von Kommunikationswegen sowie die Art der Zusammenarbeit.
Ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement ein passendes Werkzeug, um diesbezüglich eine hohe Kompetenz bei allen Beschäftigten eines Unternehmens zu erlangen?
Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) kann einen Betrag dazu leisten, jedoch nur, wenn es in die Unternehmenskultur integriert - sprich, wenn das BGM als Teil der Organisationsentwicklung verstanden wird. Eine betriebliche Gesundheitsförderung (BGF), losgelöst von den anderen kulturellen und strukturellen Herangehensweisen im Betrieb, kann nicht so wirksam unterstützen.
In der Arbeits- und Aufgabengestaltung sollten die gesunderhaltenden und stressverursachenden Faktoren viel stärker betrachtet werden, als es bislang in den meisten Unternehmen der Fall ist. Ein ebenfalls wichtiger Erfolgsfaktor für einen gesunden Umgang mit neuen Arbeitsformen und Technologien ist die Partizipation der Mitarbeiter:innen. Denn wenn wir unsere Beschäftigten in die Gestaltung neuer Prozesse miteinbeziehen und fragen, was sie brauchen, um gesund und effizient zu arbeiten, kann das einen großen Mehrwert schaffen und nicht nur Prozesse verbessern, sondern auch die Akzeptanz von Veränderungen erhöhen. Die Digitalisierung ist ein Veränderungsprozess, der uns die nächsten Jahre noch begleiten wird. Deshalb ist es umso wichtiger, frühzeitig in die Gesundheit der Beschäftigten zu investieren und bei dem Prozess der Digitalisierung über einen partizipativen Ansatz die Gesundheit der Beschäftigten mitzudenken.