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Die Polizei macht den Dashcam-Check

Warum der anlassbezogene Einsatz der Kameras erlaubt werden sollte

Arnold Plickert, Stellvertretender Bundesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei (GdP)  Quelle: GdP Arnold Plickert Stellvertretender Bundesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei (GdP) 07.05.2018
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Alexander Hiller
Redakteur
Meinungsbarometer.info
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In vielen Ländern gehört die Dashcam längst zur Auto-Ausstattung. In Deutschland ist der Einsatz rechtlich umstritten.  Aus Sicht von Arnold Plickert, Stellvertretender Bundesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei (GdP), "spricht viel für die in der jüngsten Zeit praktizierte und u. a. auch vom Deutschen Verkehrsgerichtstag 2016 als sachgerecht beurteilte Rechtslage: Dashcam-Aufzeichnungen sollten zulässig sein, wenn diese anlassbezogen, insbesondere bei einem (drohenden) Unfall, erfolgen oder, bei ausbleibendem Anlass, kurzfristig überschrieben werden." Endgültige Klarheit bringe aber erst die für den 15. Mai 2018 angekündigte Entscheidung des BGH in der Frage der Verwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen als Beweismittel in einem Unfallhaftpflichtprozess (VI ZR 233/17).







In vielen Ländern gehört die Dashcam längst zur Auto-Ausstattung. Machen Dashcams den Verkehr wirklich sicherer?
Dashcams werden auch in den meisten europäischen Ländern verwendet, allerdings bislang zum Teil ohne konkrete gesetzliche Regelungen zu deren Verwendung.

·        In Österreich wird zwischen Videoaufnahmen für private Zwecke, wie der Dokumentation einer Autofahrt im Rahmen eines Familienausfluges, und der umfassenden Aufnahme von öffentlichem Raum zum Zweck einer Generierung von Beweismaterial unterschieden. Letztere unterliegt einer Meldepflicht mit anschließendem Registrierungsverfahren. Anträge hierauf scheitern jedoch regelmäßig, da den Antragstellern sowohl die geforderte gesetzliche Zuständigkeit als auch die rechtliche Befugnis fehle. So ist derzeitig in Österreich die Verwendung jeglicher Art von Dashcams grundsätzlich unzulässig. Trotz dieses Verwendungsverbotes können Aufzeichnungen im Rahmen der freien Beweiswürdigung in ein Zivilverfahren sowie in ein Strafverfahren zum Nachweis der eigenen Unschuld eingebracht werden, wenn sie keine personenbezogenen Daten unbeteiligter Dritter enthalten.

·        In der Schweiz hingegen dürfen Dashcams an der Windschutzscheibe eines Kfz angebracht werden. Es ist weiterhin im dortigen Straßenverkehrsrecht geregelt, dass Kameras die Sicht des Fahrers und dessen Aufmerksamkeit nicht beeinträchtigen dürfen. Nach Auffassung des eidgenössischen Datenschutzbeauftragten sind nicht anlassbezogene, dauerhafte Aufnahmen jedoch unzulässig. Im Zivilprozess kann der Richter aber nach eigenem Ermessen im Rahmen der freien Beweiswürdigung entscheiden, ob er die Dashcam-Aufzeichnung als so genannten Urkundenbeweis verwenden will. Im Strafprozess kann, trotz grundsätzlicher Unzulässigkeit aus Datenschutzgründen, eine Auswertung erfolgen, da die schweizerische Strafprozessordnung die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweise erlaubt, solange diese nicht explizit im Gesetz als verboten aufgelistet oder mittels verbotener Beweismethoden erlangt worden sind.

·        In den Niederlanden gibt es keine gesetzliche Regelung, die Dashcams verbietet. Nur die Verwendung der Aufnahmen unterliegt den datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Durch eine Veröffentlichung kann es zu einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten kommen. Sowohl im Straf- als auch im Zivilprozess sind Aufnahmen indes als Beweismittel verwertbar.

·        In Luxemburg ist im öffentlichen Raum die Aufzeichnung erkennbarer Bilder von Personen oder Kfz-Kennzeichen mittels einer Dashcam grundsätzlich unzulässig. Ungeachtet dessen kann die Verwendung solcher Aufnahmen als Beweismittel im Zivilprozess gestattet sein. Hierbei kann derjenige, welcher entsprechende Filme als Beweismittel in den Prozess einbringt, sich jedoch strafbar machen, weil er mit seinen Aufnahmen gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstößt. Dieses kann mit Geld- oder Gefängnisstrafe geahndet werden.

·        In der Tschechischen Republik gibt es keine genaue Regelung bezüglich Dashcams. Aber das dortige Datenschutzgesetz wird so ausgelegt, dass die Aufnahmen verwendet werden dürfen, falls sie im Rahmen eines Verkehrsunfalls erstellt wurden, an welchem der Verantwortliche beteiligt war, und die Aufnahmen an die zuständigen Stellen weitergeben worden sind. Sollte kein Unfall vorliegen, müssten die Aufnahmen nach zwei Tagen gelöscht werden. Falls eine Aufnahme zur Aufklärung eines Unfalles weitergebeben wird, hat der Datenverantwortliche alle Betroffenen über die Verarbeitung der Aufnahme zu informieren. Generell können diese Aufnahmen im Strafprozess, Zivilverfahren und Verwaltungsverfahren unter Beachtung der Vorschriften verwendet werden. (vgl. zur gegenwärtigen rechtliche Situation des Einsatzes von Dashcams in Europa: Düthmann, E. / Schlanstein, P. (2016): Filmen während der Fahrt – Datenschutz versus Beweisinteresse, in: PVT, Heft 4/2016, S. 6 ff.)

Ein sich mit der Materie befassender Arbeitskreis des Deutschen Verkehrsgerichtstags hat 2016 beklagt, dass weder in Deutschland noch in den Nachbarländern eine klare Rechtslage zur Verwendung derartiger Kameras und zur Verwertung damit erzeugter Aufnahmen vor Gericht bestehen. Er hat deshalb empfohlen, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die auf der Basis des europäischen Datenschutzrechts, also nach der am 25. Mai 2018 in Kraft tretenden EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) , ein möglichst einheitliches Schutzniveau innerhalb der EU gewährleistet. Diese spezifische Regelung ist bislang indes nicht erfolgt.

In Deutschland ist die Nutzung im europäischen Vergleich noch sehr gering. Wie erklären Sie sich die Zurückhaltung der deutschen Autofahrer?
Die anlasslose Dauerüberwachung während der Fahrt mittels einer Dashcam verstößt gegen § 6b BDSG (Bundesdatenschutzgesetz). Dies deshalb, weil mit der Aufnahme kein konkreter, im Vorhinein bestimmter Zweck verfolgt wird. Mit der Aufnahme wird vielmehr in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Dritter eingegriffen. Das so erlangte Videomaterial ist wegen des Verstoßes gegen § 6b BDSG ein rechtswidrig erhobener Beweis. Der Umgang mit diesen rechtswidrig durch Privatpersonen erhobenen Beweismitteln ist im Zivil- wie im Strafprozess zum Teil umstritten. So hat z. B. das Amtsgericht München eine 52-jährige Frau zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt, weil sie mit vorn und hinten am Wagen angebrachte Dashcams über mehrere Stunden Aufnahmen von evtl. Verursachern von Unfall- bzw. Sachbeschädigungen an ihrem parkenden Fahrzeug dokumentieren wollte. Das Gericht sah darin eine unbefugte Erhebung personenbezogener Daten und damit einen Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz, hier: § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG (Urteil vom 09.08.2017, DSB 2017, 242).

Was sollten Autofahrer ggf. beachten um Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte Dritter einzuhalten?
Im Anschluss an eine doch sehr kontroverse Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Verwertung von Aufnahmen durch Dashcams  hat im Mai 2016 mit dem OLG Stuttgart (NJW 2016, 2280-2282) erstmals ein Obergericht hierzu konkret Stellung bezogen und festgestellt, dass es eine Videoaufzeichnung, die keine Einblicke in die engere Privatsphäre gewährt, sondern lediglich Verkehrsvorgänge dokumentiert und eine mittelbare Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen seines Fahrzeugs zulässt, zu verwerten ist, wenn dies zur Verfolgung einer besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit erforderlich ist. So hat laut OLG Stuttgart unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Betroffenen das allgemeine Interesse an der Effektivität der Verfolgung von erheblichem Fehlverhalten im Straßenverkehr überwogen. Das OLG Nürnberg hat im August 2017 die Zulässigkeit kurzzeitiger Dashcam-Aufzeichnungen in einem Zivilverfahren bestätigt (vgl. NJW 2017, 3597-3602). Werden Dashcam-Aufnahmen aus einem konkreten Anlass, manuell oder automatisch mittels beispielsweise eines Erschütterungssensors gestartet, können sie die Voraussetzungen des BDSG (§ 6b Abs. 1 Nr. 3) zur Zulässigkeit ihrer Anfertigung erfüllen. Gleiches gilt, wenn die Aufnahme bei ausbleibendem Anlass kurzfristig immer wieder überschrieben wird.

Das BGH prüft aktuell die Verwertbarkeit der Aufnahmen von Dashcams bsw. bei Unfällen. Geklärt werden soll, ob Aufnahmen von Videokameras an Armaturenbrett und Windschutzscheibe als Beweis vor Gericht genutzt werden dürfen. Welche Auffassung vertreten Sie?
Der BGH hat in der Frage der Verwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen als Beweismittel in einem Unfallhaftpflichtprozess (VI ZR 233/17) seine Entscheidung für den 15. Mai 2018 angekündigt. Diese Entscheidung könnte wegweisenden Charakter haben, selbst wenn sie sich allein auf die gegenwärtige Rechtslage bezieht. Im Zivilprozess nach einem Verkehrsunfall stehen sich  bei der Verwendung von Videoaufzeichnungen verschiedene Interessen gegenüber, einerseits die Rechte der gefilmten Personen und andererseits das Interesse von Klägern und Gerichten, den Unfall wahrheitsgemäß aufzuklären. Aus meiner Sicht spricht viel für die in der jüngsten Zeit praktizierte und u. a. auch vom Deutschen Verkehrsgerichtstag 2016 als sachgerecht beurteilte Rechtslage: Dashcam-Aufzeichnungen sollten zulässig sein, wenn diese anlassbezogen, insbesondere bei einem (drohenden) Unfall, erfolgen oder, bei ausbleibendem Anlass, kurzfristig überschrieben werden.

Auch die Polizei rüstet zunehmend ihre Fahrzeuge mit Dashcams aus. Was steckt hinter der Initiative und wie wird der Verkehr dadurch sicherer, bzw. Verkehrssünder besser und schneller überführt?
Die Polizei NRW setzt derzeit zur Überwachung der Bildung von Rettungsgassen, nicht aber gezielt zur allgemeinen Verkehrsüberwachung, versuchsweise Onbard-Kameras ein, und dies ist auch sinnvoll. Eine Rettungsgasse dient der Durchfahrt von Polizei- und Hilfsfahrzeugen, um möglichst schnell und sicher eine Unfall- oder Gefahrenstelle zu erreichen. Durch das schnelle Eingreifen von Hilfskräften kann sie Leben retten und Gefahren für Leib oder Leben abwenden. Polizeiliche Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass die Verpflichtung durch die Fahrzeugführenden häufig nicht eingehalten wird. Ohne eine Anfertigung von Bildaufnahmen durch die Verwendung einer Onboard-Kamera im Polizeifahrzeug wäre eine personenbezogene Erfassung von Verstößen gegen die Pflicht zur Bildung der Rettungsgasse und deren rechtssichere Dokumentation zu Beweiszwecken im Rahmen von Ordnungswidrigkeitsverfahren wesentlich erschwert, da in einem laufenden Einsatzgeschehen die Hilfeleistungspflicht Vorrang hat. Die Maßnahme wird zielgerichtet gegen Verkehrsteilnehmende eingesetzt, die sich mit ihrem Fahrzeug regelwidrig in einer zu bildenden Rettungsgasse aufhalten.

Nach konkreter Prüfung im Einzelfall ist anlassbezogen eine optische Dokumentation jedoch auch von anderen Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten im Straßenverkehr möglich, die nicht im Zusammenhang mit der Rettungsgasse stehen. Das Wissen darum dürfte sich in der Öffentlichkeit präventiv auf eine höhere Regelbeachtung von Fahrzeugführern auswirken, wodurch ein Beitrag zu einer höheren Verkehrssicherheit geleistet werden könnte. Schließlich werden nach jüngster Verkehrsunfallstatistik (Unfalldaten in Deutschland für 2017) rund 92 Prozent der Verkehrsunfälle mit Personenschaden aufgrund von Fehlverhalten der Fahrzeugführer herbeigeführt.

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