Ein regelrechtes Regulierungsfeuerwerk hat die EU auf die großen Plattformen im Internet losgelassen. Der Digital Services Act und der Digital Markets Act sollen für mehr Ordnung auf dem Markt sorgen. Das bewegt auch die hiesige Wirtschaft. Oliver J. Süme, Vorstandsvorsitzender von eco – Verband der Internetwirtschaft, begrüßt insbesondere, „dass der DSA die Grundsäulen der eCommerce Richtlinie – wie die Haftungsbeschränkung auf Basis von Notice und Takedown, das Ursprungslandprinzip und das Verbot allgemeiner Überwachung – beibehält bzw. auf diesen aufbaut“. Ebenso begrüßt er ausdrücklich, „dass der DSA, die bisher geregelten Diensteanbieter – Caching-, Hosting- und Zugangsanbieter – nun um Plattformen erweitert“. Damit sei eine der wesentlichen Forderungen des Verbandes erfüllt. Und damit werde die Möglichkeit eröffnet denjenigen Rechtssicherheit bei ihren Aktivitäten zu geben, die mehr können, mehr wissen und auch mehr tun wollen, ohne zugleich die Geschäftsgrundlage für diejenigen zu kompromittieren, die weder die Inhalte kennen noch über die finanziellen oder personellen Ressourcen zur Inhaltsregulierung verfügen.
Katharina Rieke vom Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) verweist auf das Funktionieren der Abläufe. Trotz des hohen Stellenwerts dieser Gesetzgebung hätten es die EU-Institutionen geschafft, den DSA und den DMA in einer Rekordzeit zu verabschieden. „Zwei Jahre vom Kommissionsvorschlag bis hin zum verabschiedeten Gesetzespaket, das ist in der Europäischen Union leider nicht die Norm.“ Aus ihrer Sicht trägt die neue horizontal angelegte Gesetzgebung dazu bei, einen Schritt in Richtung Level-Playing-Field zu gehen. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass insbesondere beim DSA nicht nur große Online-Plattformen betroffen sind. „Im Rahmen des DSA gibt es viele Anforderungen, die von vielen anderen Internetunternehmen erfüllt werden müssen. Insofern muss auch jedes europäische Unternehmen aus der digitalen Wirtschaft prüfen, ob es in den Anwendungsbereich fällt.“
Auch Patrick Häuser vom Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi) sieht die neuen Regeln als einen wichtigen Meilenstein europäischer Gesetzgebung. Denn mit den neuen Plattformregulierungen aus DMA und DSA habe die EU die Tür zu mehr digitaler Souveränität, also einer selbstbestimmten Gestaltung der Digitalisierung, aufgestoßen. Häufig werde aber vergessen, dass die Digitalwirtschaft in Deutschland und Europa mittelständisch geprägt ist. „So werden beispielsweise von den 10.000 digitalen Plattformen in Europa 9.000 von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) betrieben. Beherrscht wird der Markt in Europa aber bislang dennoch von großen Digitalkonzernen, insbesondere aus den USA.“ Deren dominante Position sei unter anderem durch sogenannte Lock-In-Effekte nahezu unangreifbar geworden. Das hemme mittelfristig digitale Innovationen hierzulande. Mit den eben skizzierten neuen Regeln werde nun endlich ein fairer Wettbewerb um die besten digitalen Lösungen und Produkte möglich.
Der Europa-Abgeordnete Andreas Schwab (EVP) betont die Bedeutung der Regeln. „Der DMA ist weltweit das erste Gesetz, dass solche Marktstrukturen digitaler Märkte grundlegend reformiert, um diese Probleme anzugehen.“ Die europäische Idee der sozialen Marktwirtschaft es eben, den freien Wettbewerb mit Marktregeln zu sichern, sodass sich die besten und nicht die größten Unternehmen durchsetzen. Dieser Grundsatz gelte zukünftig wieder in der Digitalwirtschaft. Das könne auch eine Signalwirkung über Europa hinaus entfalten, in den USA, UK, Korea und anderswo werden ähnliche Gesetze diskutiert.
Auch sein sozialdemokratischer Parlamentskollege René Repasi sieht dank der Regeln fairen und mehr Wettbewerb, sowie mehr Klarheit und Transparenz. „Am Ende wird dies zu einer besseren Auswahl und Schutz für Verbraucher:innen führen, die Geschäftsideen europäischer Unternehmen stärken“. Herausforderungen sieht er aber einmal beim Regulierer. Denn dieser müsse die Regeln für DSA und DMA jetzt mit Leben füllen. „Ob die personelle Aufstockung der zuständigen Abteilungen bei der Europäischen Kommission hierfür ausreicht, bin ich mir noch unsicher.“
Auch Prof. Dr. Henning Vöpel vom Centrum für Europäische Politik sieht da noch Probleme. Er prognostiziert, dass die rechtliche Durchsetzung aufgrund geringer Kapazitäten sehr schwierig sein wird. Außerdem zeige das aktuelle Beispiel ChatGPT, dass plötzlich neue Innovationen auftreten können, die durch die bestehende Regulierung nicht abgedeckt sind. „Ich hätte mir insgesamt einen weniger komplexen, dafür robusteren Regulierungsansatz gewünscht, denn wir kennen die digitale Zukunft kaum. Wir erleben ja gerade eine enorme Beschleunigung und eine neue Qualität der technologischen Entwicklung.“ Die nächste Phase der Digitalisierung könne man möglicherweise das „Quantenzeitalter“ nennen, in dem Quantentechnologien zu Quantensprüngen in den Technologien führen werden. Das lange erwartete Rennen der Plattformen um künstliche Intelligenz gehe gerade los. „Es kann sein, dass die großen US-Tech-Player durch den Technologieschub sogar einen Machtzuwachs bekommen werden.“
Prof. Achim Wambach, Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung hält es für eine Illusion, anzunehmen, dass zunehmende Regulierung des digitalen Sektors eine Hilfe für kleine europäische Plattformen wäre. „Vermutlich ist eher das Gegenteil der Fall – große Plattformunternehmen können leichter mit den vielfältigen Auflagen umgehen als kleine Startups“. Regulierung sollte daher aus seiner Sicht immer auch die kleinen Unternehmen berücksichtigen etwa durch Schwellenwerte, unterhalb derer die Regulierungen nur eingeschränkt gelten. Auch Reallabore (wie bspw. die „Regulatory Sandbox“) können nach Ansicht des Forschers helfen, „wenn sie es kleineren Unternehmen ermöglichen, temporär mit geringeren Auflagen operieren zu dürfen“.
Prof. Dr. Michael Beurskens von der Uni Passau blickt auf die Chancen. So könnten langfristig neue Wettbewerber - aus der EU, aber ebenso aus Drittstaaten - auf den Markt kommen. „Die großen Anbieter werden durch strenge Regeln und Pflichten zur Öffnung ihrer Plattformen gezügelt, so dass die wilden Startups ohne derartige Vorgaben eine echte Chance erhalten.“ Gleichzeitig werde die Welt vielleicht ein wenig offener – mehr Anbieter könnten ihre Produkte auf Onlineplattformen - wie Smartphones, App-Stores oder dem Amazon Marketplace - platzieren; Plattformen können aus seiner Sicht durchlässiger werden, etwa wenn man schneller von Whatsapp zu Signal und umgekehrt wechseln oder wie auch bei der Telefonie mit Nutzern eines anderen Anbieters kommunizieren könne. „Das Internet wird weniger stark von kommerziellen Interessen getrieben, sondern es werden die großen Anbieter durch den Digital Services Act in die Pflicht genommen.“