In einem ersten Entwurf für eine Digitalstrategie der Bundesregierung heißt es nach Medienberichten, Deutschland stehe bei der Digitalisierung seit Jahren nur im Mittelfeld. Wie gefährdet sehen Sie die Zukunft des Landes?
Zusammen mit Kolleg*innen am ifo Institut habe ich mir in einer Benchmarking-Studie die Position Deutschlands im internationalen Vergleich genauer angesehen und das Bild ist differenzierter. Deutschland hat einen vergleichsweise kleinen IT-Sektor, was vor allem auf mangelnde Gründungsaktivitäten zurückzuführen ist. Deutschland macht insbesondere zu wenig aus seinen Daten. Datenbasierte Geschäftsmodelle werden in Zukunft aber viel zur Wertschöpfung eines Landes beitragen. Die großen Plattform-basierten Geschäftsmodelle sind fest in amerikanischer Hand. Deutschland belegt aber erfolgreich Nischen, insbesondere bei den industriellen Internet-of-Things-Plattformen. Insgesamt steht das Verarbeitenden Gewerbe bei den digitalen Kompetenzen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im internationalen Vergleich sehr gut dar. Nachholbedarf besteht da vor allem bei den Dienstleistern. Die digitale Infrastruktur ist für ein Flächenland wie Deutschland besser als ihr Ruf. Erheblicher Nachholbedarf besteht bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, der Schulen und des Gesundheitssystems.
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Ende 2025 soll die Hälfte aller Haushalte mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard versorgt sein. Wie bewerten Sie dieses Ziel?
Ich halte die starke Infrastrukturfokussierung der Politik für nicht zielführend. Deutschland steht bei den leitungsgebundenen Breitbandanschlüssen ganz gut dar. Gering ist sicherlich noch die Verbreitung der Gigabit Anschlüsse in Deutschland. Diese werden aber heute noch begrenzt nachgefragt. Beim 5G Ausbau ist Deutschland vorne mit dabei. Man darf neben dem Infrastrukturausbau nicht die Nutzer der Infrastruktur aus den Augen verlieren: Wie bekommen wir mehr IT Gründungen? Wie schaffen wir mehr datenbasierte Geschäftsmodelle in Deutschland? Oder wie erreichen wir die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung?
Für die digitale Verwaltung soll es eine sichere digitale Identität geben. Welche Herausforderung sehen Sie diesbezüglich?
Die sichere digitale Identität gibt es in anderen Ländern doch schon längst. Technisch sehe ich hier kein Problem. Die größte Herausforderung in Deutschland ist, dass wir in der öffentlichen Verwaltung eine Vielzahl von nicht miteinander verbunden IT-Systemen haben. Das ist nicht nur Ergebnis des Föderalismus und mangelnder Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, sondern auch das Ergebnis von Ressortgrenzen und damit unterschiedlichen Zuständigkeiten bei öffentlichen Dienstleistungen. Die Schaffung von Standards, damit diese Systeme interagieren, ist die größte Herausforderung der nächsten Jahre. Erst durch das Zusammenführen von Daten in der öffentlichen Verwaltung können digitale öffentliche Dienstleistungen zum Vorteil der Bevölkerung entstehen.
Was sollte unbedingt noch in der endgültigen Digitalstrategie stehen - und was keinesfalls?
Die Deutschen wollen ihre Daten nicht teilen. Im Eurobarometer wurden Europäer befragt, ob sie persönliche Daten unter Wahrung von Datensicherheit teilen würden, um die medizinische Versorgung zu verbessern, die Energieeffizienz zu verbessern, um Maßnahmen zur Krisen- und Pandemiebekämpfung zu verbessern, um den öffentlichen Verkehr zu verbessern und die Luftverschmutzung zu verringern. Die Deutschen liegen bei all diesen Fragen auf den hintersten Plätzen. Am liebsten würden die Deutschen keinerlei persönliche Daten für welche Zwecke auch immer teilen. Die Digitalstrategie muss dazu genutzt werden, einen offenen Diskurs in Deutschland darüber zu führen, wie weit Datenschutz gehen sollte (mit entsprechenden Konsequenzen für entgangenes Wachstum und Wohlstand) und wie ein wachstumsfreundliches Datenschutzregime aussehen könnte.