Die große europäische Jugend-Studie „Generation What“ zeigt ein dramatisches Misstrauen der jungen Menschen gegenüber von Institutionen. 84 % der Befragten aus Österreich haben kein oder überhaupt kein Vertrauen in die Politik, bei den Medien sind es 83 %. Woher kommt diese Vertrauenskrise?
Die Vertrauenskrise von Politik und Medien hat viele Gründe. Im Zentrum steht wohl dabei, dass generell in unserer Gesellschaft Kommunikation weitgehend als Manipulation betrieben wird. Kommunikation besteht heute aus Sprach- und Bildspielen, denen es primär darum geht, eine Realitätsdeutung im Sinne einer Interessensgruppe zu propagieren. Es geht also nicht um die Wahrheit, sondern um so genannte "Narrative", die entweder eine "alternative Wahrheit" konstituieren oder bestehende Realitäten verfremden und umzudeuten versuchen. Ein Beispiel dafür wäre, wenn die Politik von "Pensionsanpassungen" spricht, in Wirklichkeit aber Pensionskürzungen vorgenommen werden. Ein weiteres Problem ist die Informationsvielfalt. Die Überfülle an Botschaften, denen heute der Mensch ausgesetzt ist, kann nicht mehr überprüft oder kritisch hinterfragt werden. Und so resigniert der Mensch und nimmt eine "apathischen" Haltung zur Wahrheit ein, d. h. er überprüft überhaupt nichts mehr und gibt den Wahrheitsanspruch überhaupt auf, indem er gar nichts mehr glaubt. Die Wahrheit ist durch die postmoderne Sophistik, durch Framing- und Narrationstechniken, völlig erledigt worden. Vertrauen suchen deshalb junge Menschen vor allem in der ganz persönlichen kleinen Lebenswelt. Vertraut wird nur mehr den unmittelbar Nächsten, den engsten Freunden und den Menschen der eigenen Familie. Die Welt außerhalb des innersten Kreises der Beziehungen wird als "feindlich" wahrgenommen. Weil die persönliche Beziehung die einzige und letzte Quelle des Vertrauens und der Sicherheit ist, werden Vertrauensbrüche im privaten Kontext immer häufiger als Katastrophen erlebt, die in der Folge den jungen Menschen in tiefe Krisen stürzen können.
Was müssen die Politik und Medien leisten um aus dieser Vertrauenskrise herauszukommen?
Der Zug ist abgefahren. Politik und Medien stehen für immer auf verlorenen Posten. Sie haben ihr Image so massiv und grundlegend demoliert, dass die Glaubwürdigkeit nicht mehr so einfach zurückgewonnen werden kann. Die Zeit des Vertrauens in Systeme, Institutionen und vor allem in die Eliten ist wohl für immer vorüber. In diesem Zusammenhang muss man auch die Wettbewerbs- und Konkurrenzkultur würdigen. In einer solchen Kultur ist jedes Gegenüber außerhalb des innersten emotionalen Familien- und Freundeskreis ein potentieller Feind. In der postmoralischen Wettbewerbskultur gibt es deshalb kein "vernünftiges" Vertrauen mehr. Kinder müssen heute schon im Kindergarten und in der Schule lernen, dass Vertrauen sich nicht mehr lohnt, ein Fehler ist. Und Politiker, dass sie nur dann gewählt werden, wenn sie liefern, d. h. wenn sie den Menschen Statusgewinne, materielle Zuwächse und Unterhaltung bieten können. Wir leben in coolen Zeiten, in der das rationale Kalkül jede Form der emotionalen Hingabe zumindest überlagert. Vertrauen ist eine Form der emotionalen Hingabe. Unter Konkurrenzbedingungen kann das Vertrauen nicht handlungsleitend sein, weil es nicht zweckmäßig ist.
51 % der Befragten finden das Bildungssystem „ungerecht“ oder „eher ungerecht“ – in anderen Ländern (etwa Finnland, 15 %) sind es deutlich weniger. Was kann und sollte dagegen getan werden?
Bildung wird als ungerecht empfunden, weil sie keine Aufstiegsgarantie mehr verspricht. Bildung garantiert bestenfalls eine bessere Startposition im sich zunehmend verschärfenden Konkurrenzkampf um gute Arbeitsplätze. Mit einem Bachelor of arts hat man heute gute Chancen auf einen Billigjob als Pizza-Fahrer, auf mehr aber schon auch nicht. Bildungstitel die früher wertvoll waren, sind heute entwertet. Es gibt zu viele "Gebildete", der Markt ist überschwemmt. Die Folge davon: die Einzelware ist weniger Wert. Was ist also das Grundproblem? Die euphorischen Erwartungen der Marktteilnehmer und die harten Realitäten des Marktes klaffen auseinander. Das Ergebnis ist: die Enttäuschten finden das Bildungssystem ungerecht. Aber: ein marktwirtschaftlich ausgerichtetes Bildungssystem ist nur insofern gerecht, als sein Gerechtigkeitsbegriff auf dem Recht des Stärkeren aufruht. Der Starke gewinnt, der Schwache verliert, so ist der Markt. Nachdem die Schwachen immer in der Mehrheit sind, die Verlierer immer die Gewinner überwiegen, ist der allgemeine Grundtenor: Das Bildungssystem ist ungerecht. Zu einer Änderung kann es nur kommen, wenn ein anderer Gerechtigkeitsbegriff etabliert wird, der jenseits des Marktes zu suchen wäre. Aber die Gebiete jenseits des Marktes sind heute verfemte, delegitimierte Gebiete, die man nicht betreten sollte, wenn man nicht einen allgemeinen Ansehensverlust erleiden möchte.
30 % der Befragten glauben, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern. Wie bewerten Sie das?
Das wichtigste Werk der Soziologie die letzten Jahre ist das Buch "Die Abstiegsgesellschaft" von Oliver Nachtwey. Unsere Gesellschaft ist eine Abstiegsgesellschaft, in der der Abstieg wahrscheinlicher ist als der Aufsteig, vor allem für die Jungen. Während sich die 50+ noch oberhalb der Mitte halten können, driften große Teile der Jungen nach unten ab. Nachtwey entwickelt die Rolltreppenmatapher: Sie bedeutet, dass wir alle das Gefühl haben, auf einer nach unten fahrenden Rolltreppen ständig nach oben laufen zu müssen, wenn wir lediglich unseren Platz halten wollen. Wer nur kurz stehenbleibt, der verliert schon Statusplätze. Und so ist auch die Realität. 30% Prozent ist noch ein sehr geringer Wert, der der Realität nicht entspricht. Hier überschätzen viele Jugendlichen ihre Möglichkeiten. Es werden deutlich mehr von ihnen Opfer der Drift nach unten werden. Für viele wird der Kampf um obere Positionen in der Bildungs- und Berufshierarchie beim selbständigen Pizza-Lieferanten mit Stundenlohn von 4 Euro enden.