Was bedeutet für Menschen mit einer körperlichen, sozialen oder geistigen Beeinträchtigung gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben?
Soziale Teilhabe ist wesentlich für unsere Lebensqualität, Gesundheit und unser seelisches Wohlbefinden. Momentan ist Deutschland noch weit entfernt davon, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu gleichberechtigter Teilhabe und Barrierefreiheit umzusetzen. Die neue Bundesregierung muss vor allem auch die immer noch ausstehende Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) endlich in Angriff nehmen.
Werden bestimmte Gruppen wie behinderte, ältere oder sozial benachteiligte Menschen ausgeschlossen, funktioniert eine Gesellschaft auf Dauer nicht. In der Behindertenpolitik ist Teilhabe zugleich ein Konzept für Selbstbestimmung und Eigenverantwortung: weg von der Fürsorge und Bevormundung, hin zur gleichberechtigten Teilhabe in allen Lebensbereichen.
Im Alltag bedeutet das, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen mit dabei sind, ihre Bedürfnisse stets mitgedacht werden, sie mitbestimmen und mitgestalten können – vom Arbeits- bis zum politischen und kulturellen Leben.
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Sind technische Neuerungen der Königsweg in Sachen Teilhabe? Oder können sich technische Lösungen auch als Inklusionshindernis erweisen?
Digitalisierung und technischer Fortschritt sind Querschnittsthemen, die Chancen und Risiken bieten. Technischer Wandel muss immer auch sozial gestaltet sein, sonst werden Menschen mit Behinderungen, Ältere oder Einkommensschwache von der Teilhabe ausgeschlossen. Momentan erleben wir, dass die Digitalisierung teils auch zu Rückschritten bei der Inklusion führt, etwa wenn Banken bei der Umstellung der Zahlungen auf das TAN-Verfahren mit dem Smartphone Barrierefreiheit bei der Programmierung nicht berücksichtigen. Auch Portale im Internet oder Bankautomaten sind für viele Menschen mit Behinderung nicht nutzbar. Doch den Anbietern drohen dafür keine Sanktionen.
Die neuen Technologien sind oft zu komplex oder zu teuer. Der Achte Altersbericht der Bundesregierung bezeichnet Digitalisierung als „neue Determinante sozialer Ungleichheit“. Auch der D21-Digital Index 2021 zeigt, dass zwar immerhin 70 Prozent der 70- bis 74-Jährigen online sind, bei den 75- bis 79-Jährigen sind es dagegen nur noch 48 Prozent.
Der technologische Fortschritt unterstützt andererseits das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen. Hilfsmittel wie elektrische Rollstühle sind fast eine Selbstverständlichkeit, und es steckt viel Forschung in neuen Materialien, die Prothesen leichter und stabiler machen. Computer ermöglichen es Eltern, mit ihren autistischen Kindern zu kommunizieren. Das Problem in der Praxis ist eher, ob man ein Hilfsmittel vom Sozialversicherungs- oder Sozialleistungsträger auch bewilligt bekommt. Hier verhilft unter anderem der VdK den Betroffenen mit seinem Sozialrechtsschutz zu ihrem Recht.
Bei aller Euphorie über die Vorteile der Digitalisierung, muss es auch kostengünstige analoge Angebote für alle geben, die die Digitalisierungsangebote nicht nutzen können oder wollen.
Was kann dafür getan werden, dass es in diesem Bereich mehr Innovationen gibt?
Ein Schlüssel ist die volle gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Behinderungen, um Bedarfe zu erkennen und Lösungen frühzeitig einzuplanen. Technologien können ein aktives und selbstbestimmtes Leben für Ältere, Menschen mit Behinderung und benachteiligte Menschen fördern. Der Staat und die nachgeordneten Behörden sollten es zur Pflicht machen, diese Nutzerinnen und Nutzern in die Entwicklung neuer digitaler oder sonstiger Angebote einzubeziehen.
Wie lässt sich das Zusammenspiel von neuer Technik und gesellschaftlicher Akzeptanz in Sachen Inklusion/Teilhabe optimal organisieren?
Vor allem durch eine gute digitale Infrastruktur. Hier sind vor allem Bund, Land und die Kommunen gefordert, den Ausbau flächendeckend voranzutreiben. Das Internet muss überall für jeden verfügbar sein. Der Auf- und Ausbau von WLAN-Hotspots alleine reicht nicht aus. In öffentlichen Einrichtungen wie Rathäusern, Gemeindezentren, Alten- und Servicezentren sollte das Internet kostenfrei sein. Weil sich nicht jeder privat einen PC oder ein Smartphone leisten kann, müssen die Anschaffung und Nutzung der notwendigen Endgeräte künftig als sozialrechtliche Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII gelten und finanziell unterstützt werden. Über niedrigschwellige kostenfreie Schulungen lassen Berührungsängste abbauen.
Nicht zu vergessen der barrierefreie Zugang: Auch die privaten Anbieter von Waren und Dienstleistungen müssen zur Barrierefreiheit und damit auch digitaler Barrierefreiheit verpflichtet werden. In Bayern steht beispielsweise im Digitalgesetz, dass von Barrierefreiheit abgesehen werden kann und zwar, wenn die Einhaltung aus finanziellen, wirtschaftlichen oder verwaltungsorganisatorischen Gründen unverhältnismäßig ist beziehungsweise eine unverhältnismäßige Belastung darstellt. Das kann so nicht bleiben. Wir brauchen staatliche Regelungen und ein Rügeverfahren wie zum Beispiel in Österreich.