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Das Handy als digitales Schweizer Taschenmesser des 21. Jahrhunderts

Wie wir unsere Smartphone-Nutzung besser kontrollieren können

Prof. Dr. Leonard Reinecke, Johannes Gutenberg-Universität Mainz Quelle: Richard Lemke Prof. Dr. Leonard Reinecke Forscher Johannes Gutenberg-Universität Mainz 06.03.2018
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Zu oft haben wir das Gefühl, wir müssten zum Smartphone greifen, obwohl das unseren eigenen Interessen widerspricht oder mit anderen Bedürfnissen kollidiert", sagt der Mainzer Professor Leonard Reinecke. Digitales Fasten hilft dagegen häufig nur temporär.







Viele Menschen finden ihren Internetkonsum zu hoch und versuchen diesen einzuschränken. Welches Maß an Digital Detox empfehlen Sie?
Ich habe ein Problem mit dem Begriff Digital Detox. Dieser unterstellt, dass ein Zuviel an Internet- oder Smartphone-Nutzung zu digitalem Stress führt. Ich glaube aber, dass die Menge an einkommenden Nachrichten oder Kommunikationsinhalten häufig gar nicht das Problem darstellt.

Menschen sind individuell sehr verschieden, auch in dem, was sie überfordert. Das eigentliche Problem scheint mir das Gefühl zu sein, dass Internetnutzung nicht mehr selbstbestimmt erfolgt und wir uns gewissermaßen vom Smartphone unterjocht fühlen. Zu oft haben wir das Gefühl, wir müssten zum Smartphone greifen, obwohl das unseren eigenen Interessen widerspricht oder mit anderen Bedürfnissen kollidiert. Insofern hilft Digital Detox im Sinne von reiner Nutzungsreduktion nicht nachhaltig. Wir müssen uns vielmehr fragen, in welcher Situation wir das Smartphone wie nutzen. Nur so können wir wieder mehr Selbstbestimmtheit erlangen.

Nach einer Bitkom-Untersuchung hat jeder siebte Befragte es schon einmal mit Digital Detox versucht, ist aber gescheitert. Warum können so viele Menschen nicht von ihren digitalen Devices lassen?
Das sehe ich vor allem zwei Gründe. Der erste Grund liegt in uns selbst. Das Smartphone bietet als digitales Schweizer Taschenmesser des 21. Jahrhunderts ganz viele Vorteile und positive Aspekte. Es versetzt uns in die Lage, ständig orts- du zeitsouverän zu kommunizieren oder auf Medieninhalte zuzugreifen. Es ist ein sehr potentes Mittel, um unsere situativen Bedürfnisse zu befriedigen. Dementsprechend schmerzt der Verzicht auf die Nutzung. Smartphone-Nutzung erfolgt außerdem in vielen Fällen hochgradig habituell, also gewohnheitsmäßig. Wir hinterfragen das gar nicht mehr. Damit verlieren wir die bewusste Kontrolle über die Nutzung. Ich spreche in diesem Zusammenhang übrigens nicht von Sucht. Nur rund 1-3 Prozent der Nutzer sind nach verschiedenen Studien internetsüchtig. Bei den anderen liegt nur die erwähnte habituelle Nutzung vor, aber keine Sucht im pathologischen Sinne.

Der zweite Grund, warum wir immer wieder zum Smartphone greifen, liegt in unserem sozialen Umfeld. Häufig haben wir selbst gar nicht das Bedürfnis, ununterbrochen erreichbar zu sein. Vielmehr beschleicht uns das Gefühl, dass die Verfügbarkeit von uns erwartet wird – von unserem Freundeskreis, von unseren Verwandten oder von Kollegen und dem Arbeitsumfeld. Durch diese sozialen Zwänge haben wir den Eindruck, wir könnten nicht frei über unsere Smartphone-Nutzung entscheiden.

Für die digitale Enthaltsamkeit gibt es sogar digitale Apps. Wie sinnvoll ist Software, die Software-Nutzung verhindert?
Software und Tools können eine Hilfestellung sein. Gerade wenn Nutzer den Beschluss gefasst haben, ihren digitalen Lebensstil zu verändern. Das ist am Anfang schwierig, weil wir Gewohnheiten umstellen und Alltagsroutinen durchbrechen müssen. Da können Tools unterstützend wirken. Viel wichtiger ist allerdings das kritische Hinterfragen der eigenen Gewohnheiten – wann kommt mir die Smartphone-Nutzung wirklich zugute und wann nicht? Folge ich äußeren Zwängen, die meinen Interessen in Wahrheit zuwiderlaufen? Selbstreflektion ist der entscheidende Aspekt, Apps können aber auf dem Weg zu einer selbstbestimmteren, kontrollierten Smartphone-Nutzung helfen.

Inzwischen gibt es auch Reiseanbieter, die Ziele ohne Netzempfang im Programm haben. Hilft Flucht, oder befördert sie nur einen Jojo-Effekt, wie er vom „echten“ Fasten bekannt ist?
Zunächst ist das natürlich ein interessantes Geschäftsmodell. Ein Hotel oder einen Reiseveranstalter dafür zu bezahlen, dass er mir die Smartphone-Nutzung verbietet, ist ja eigentlich absurd. Doch es korrespondiert mit dem Bedürfnis nach Entschleunigung und dem verbreiteten Trend zu Wellness und Entspannung. Allerdings – und da sind wir wieder beim Ausgangspunkt und meinen Problemen mit dem Begriff Digital Detox – bringt digitales Fasten überhaupt nichts, wenn es nicht mit einer Lebensstil-Änderung einhergeht. Vielleicht ist ein Urlaub ohne Smartphone erholsam, er wird aber an den Lebensgewohnheiten und dem sozialen Druck im Alltag nichts ändern.

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