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Interview20.08.2019

Charts als Selbstvergewisserung in den Popmusikkulturen

Wie sich die Bedeutung der Rankings in der digitalen Welt verändern

Prof. Dr. Christoph Jacke, Studiengangsleiter Populäre Musik und Medien (BA/MA) an der Universität Paderborn Quelle: Universität Paderborn Prof. Dr. Christoph Jacke Professor Universität Paderborn
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Im Grunde ist eine Diversifizierung der popmusikalischen Chartsmöglichkeiten geradezu demokratisierend, doch geht ein Maß an Orientierung und Konsens verloren", erklärt Prof. Dr. Christoph Jacke. Die Entwicklungen rund um die Charts können aus seiner Sicht geradezu typisch für aktuelle, größere gesellschaftliche Entwicklungen gelesen werden. Der Paderborner Forscher ist erster Vorsitzender der deutschsprachigen Sektion der "International Association for the Study of Popular Music" (IASPM D-A-CH).*





In einer Reportage hat ein Hacker bekannt, im großen Stil die Single-Charts zu manipulieren – welchen Wert haben Hitlisten Angesichts dessen noch?
Zunächst einmal erscheint es logisch, dass auch im Digitalen gewissermaßen Gesetze unterlaufen oder gehackt werden. Werden diese manipuliert, schwindet kultürlich das Vertrauen oder sogar der Glaube an sie, was sowohl progressive (neue Gesetze oder Kulturen) als auch regressive (Ängste, Verlust) Irritationen bedeuten kann. Hitlisten waren immer opak und ein Stückweit manipulierbar, intransparent vor allem für die Kunden selbst, insofern kann hier Bedeutungsverlust eben positiv als Befreiung von Vorgaben sowie negativ als Verlust von Orientierung gesehen werden. Dieser Bereich kann hier geradezu typisch für aktuelle, größere gesellschaftliche Entwicklungen gelesen werden.

Wie sollten und können sich Hitlisten vor Manipulation schützen?
Sicherlich sind hier Mehraugenprinzipien und computerisierte Prüfverfahren bzw. Kombinationen daraus schon recht zuverlässig. Wie immer gilt aber eine grundlegende Manipulierbarkeit, sobald Menschen und Technik im Spiel sind, also immer. Speziell gegen digitalisierte, computerisierte Störungen werden sicherlich zunehmend Schutz- und Überprüfungsverfahren entwickelt, die dann wiederum gehackt werden können.

Inzwischen gibt es neben den offiziellen Charts auch die Hitlisten von Streaming- oder Download-Portalen du alle möglichen anderen Charts. Wie beeinflusst das den Stellenwert der offiziellen Charts?
Wie in vielen anderen gesellschaftliche Bereichen sind wir von Listen, Rankings und Charts, also kompetitiven Verfahren, umgeben, um Vergleichbarkeit herstellen zu können, oder kommerzialisiert auch zu sollen. In den Popmusikkulturen dienen diese der Selbstvergewisserung v.a. für die Märkte und natürlich auch diverser Anreiz- und Aufmerksamkeitssysteme: Erfolgreich sein, weil die Musik als erfolgreich ausgeflaggt wird. Im Grunde ist eine Diversifizierung der popmusikalischen Chartsmöglichkeiten geradezu demokratisierend, doch geht ein Maß an Orientierung und Konsens verloren, der Glaube an 'die einen offiziellen Charts', so er denn vorhanden war.

Der mögliche Manipulations-Skandal wirft auch die Frage nach der gerechten Verteilung der Streaming-Erlöse auf. Wie stehen Sie zu Forderungen, die Erlöse nutzerbasiert (die Abo-Einnahmen des jeweiligen Nutzers an die von ihm abgerufenen Künstler zu verteilen) auszuschütten?
Die eigentlichen Produzierenden des Inhalts, also der Musik, sollten m.E. vorrangig vergütet werden, denn dieses sind die Kreativen, alle anderen sind Distribuierende, also Vermittelnde und Vertreibende, die im Plattform-Kaptalismus nicht bevorzugt werden sollten. Die Verteilung zwischen Kreativen oder Vermittelnden ist dann eine Vereinbarungsfrage, sollen etwa die 'Großen' auch an 'Kleinere' verteilen, das wäre geradezu solidarisch. Das könnten ja auch die Kundinnen und Kunden bestimmen.

 

 

* siehe:
www.uni-paderborn/musik
www.iaspm-dach.net
www.christophjacke.de

 

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