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Automatisierte Verfahren dürfen nicht über die Meinungsfreiheit entscheiden

Wie die SPD die Debattenkultur im digitalen Raum stärken will

Dr. Jens Zimmermann - Digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Quelle: Juliusz Gastev Dr. Jens Zimmermann Digitalpolitischer Sprecher SPD-Bundestagsfraktion 15.09.2021
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"Unser Motiv war immer: Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik", sagt SPD-Digitalexperte Dr. Jens Zimmermann. Es brauche ein Recht auf digitale Bildung und Weiterbildung für alle Generationen. Zudem betont der Politiker die Bedeutung der öffentlich-rechtlichen und privaten Medien für den gesellschaftlichen Diskurs.







Der digitale Raum gibt jedem Nutzer die Möglichkeit sich zu äußern – zugleich bietet er Raum für Falsch-Informationen und persönliche Angriffe. Wie will Ihre Partei die Debattenkultur im digitalen Raum ganz grundsätzlich stärken?
Der digitale Raum eröffnet viele neue und positive Möglichkeiten der gesellschaftlichen Kommunikation und Teilhabe. Zugleich bietet er Raum für mehr oder weniger gezielte Falschinformationen, persönliche Angriffe, Diffamierungen und Hasskriminalität. Dies ist eine Gefährdung für jede und jeden Einzelnen und für die offene und demokratische Gesellschaft und für die demokratische Debattenkultur insgesamt. Wir müssen in aller Deutlichkeit klar machen, dass wir diese Debattenkultur nicht akzeptieren und aktiv gegenreden und richtigstellen. Auch müssen wir deutlich machen, dass wir strafrechtlich relevanten Taten nicht akzeptieren und nicht hinnehmen, sondern uns mit Nachdruck zur Wehr setzen, denn aus Worte werden oft Taten. Zur Meinungsfreiheit zählt auch der Schutz vor persönlichen Angriffen und Diffamierung. Dazu haben wir mit vielen gesetzgeberischen Maßnahmen den rechtlichen Rahmen geschaffen und den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz die notwendigen Instrumente gegeben, um konsequent gegen solche Straftaten vorgehen zu können.

In seiner letzten Entscheidung zum Rundfunkbeitrag hat das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung der Medien und insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Kampf gegen FakeNews betont. Wir dürfen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und auch die anderen Medien nicht länger als Staatsrundfunk und Lügenpresse diskkreditieren lassen und wir müssen den Journalistinnen und Journalisten den Schutz gewähren, ihren verfassungsrechtlichen Auftrag erfüllen zu können.

Unser Motiv war immer: Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik. Das gleiche gilt für die Medienpolitik. Sie dienen auch dazu, das offene demokratische Gespräch unserer Gesellschaft und die gesellschaftliche Selbstbeobachtung zu schützen und zu stärken.

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Experten beobachten die Tendenz, dass Nutzer sich im digitalen Raum gläsern oder sozial unter Druck fühlen und in der Folge selbst zensieren. Was bedeutet dieses "Social Cooling" aus Ihrer Sicht für die demokratische Debattenkultur?
Die Gefahr, dass Nutzerinnen und Nutzer sich im digitalen Raum gläsern und unter sozial unter Druck führen und sich in der Folge selbst zensieren, darf nicht unterschätzt werden. „Social Cooling“ kann nicht nur zu mehr Konformität führen, sondern zu „chilling“-Effekten, mit der Folge, dass die Bürgerinnen und Bürger sich selbst zensieren und sich nicht mehr trauen, ihre Kommunikationsfreiheiten und Freiheitsrechte auszuüben. Der so entstehende soziale Druck ist eine äußerst subtile und sich einschleichende Form der Kontrolle und gefährdet den gesellschaftlichen Diskurs und die offene und freie Debattenkultur - und damit die Grundpfeiler der offenen, pluralen und demokratischen Gesellschaft. Deswegen müssen wir die Menschen aller Generationen zur digitalen Selbständigkeit und zum selbstbestimmten Umgang mit den neuen Kommunikationsformen und -möglichkeiten im digitalen Raum befähigen. Notwendig ist darüber hinaus ein deutlicher Ausbau der Forschungsaktivitäten in diesem Bereich, was wiederum Zugang für Wissenschaft und Forschung zu den digitalen Plattformen voraussetzt. Mit der Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) haben wir bereits einen solchen Forschungszugang festgeschrieben. Auch im Rahmen des derzeit erarbeiteten Digital Service Act wird ein solche Forschungszugang etabliert werden. Wie wichtig ein solcher unabhängiger und unbehinderter Zugang für Wissenschaft und Forschung zeigen die Plattformen, allen voran Facebook, in immer wiederkehrender Regelmäßigkeit.

Wie lässt sich im Angesicht individueller Algorithmen-gesteuerter Anzeige von Inhalten auf großen Plattformen ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs aufrechterhalten?
Selbstlernende Systeme und Algorithmen steuern, welche Inhalte wir angezeigt bekommen und treffen Entscheidungen für eine Vielzahl von Menschen. Sie können unser Leben und unseren Alltag erleichtern. Sie müssen aber transparent und diskriminierungsfrei angelegt werden. Gerade mit Blick auf den ungehinderten, offenen und freien gesellschaftliche Diskurs können diese algorithmenbasierten Selektionskriterien eine Gefahr darstellen, wenn sie bestimmte Inhalte gewichten, priorisieren oder auch diskriminieren. Zielsetzung einer algorithmischen Entscheidung muss transparent, klar und überprüfbar definiert sein. Hierfür brauchen wir eine stringente Regulierung und Aufsicht.

Die Digitalisierung darf die Gesellschaft nicht spalten. Alle Bürger*innen sollen zur digitalen Selbständigkeit und Selbstbestimmung befähigt werden. Wir brauchen ein Recht auf digitale Bildung und Weiterbildung für alle Generationen. Gerade die Volkshochschulen sind ideale Orte, um digitale Bildung für alle Bürger*innen zu ermöglichen - kostengünstig, barrierefrei, inklusiv. Wir werden die Volkshochschulen mit einem Förderprogramm des Bundes in ihrer Entwicklung unterstützen.

Große Bedeutung für den gesellschaftliche Diskurs haben die öffentlich-rechtlichen und privaten Medien. Wir begrüßen die Überlegungen zu einer europäischen Medienplattform, die die Qualitätsinhalte der öffentlich-rechtlichen Medien Europas für alle Bürger*innen grenzüberschreitend zugänglich macht. Diese Plattform soll in der Folge auch für Partnerschaften mit Museen und anderen Kultureinrichtungen zugänglich sein. Ebenfalls begrüßen wir die verstärkte Veröffentlichung von Inhalten unter offenen und freien Lizenzen, um die Nutzung der Inhalte zum Beispiel im Rahmen freier Wissensprojekte (Wikipedia) oder auch im Schulunterricht leichter möglich zu machen. Dies soll zugleich ein Gegengewicht zu den privaten digitalen Plattformen sein. Zugleich müssen wir weiter über die Regelungen ringen, denen die privaten Plattformen angesichts ihrer Bedeutung für die öffentliche gesellschaftliche Kommunikation und die Meinungs- und Willensbildung haben, unterworfen werden müssen.

Nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz haben die großen Plattformen seit einiger Zeit die Aufgabe, möglicherweise strafbare Inhalte selbst zu löschen. Wie fällt Ihr Fazit mit der Umsetzung der Vorschriften aus?
Wir stehen für die digitale Souveränität von Bürger*innen und Verbraucher*innen ein. Wo globale Plattformkonzerne zu Monopolisten werden, bedrohen sie digitale Vielfalt und neigen dazu, nationalstaatliche Regeln zu umgehen. Wir werden deshalb gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten eine starke und präzise Regulierung schaffen, den Wettbewerb sichern und alternative Angebote fördern. Es braucht mehr Angebote mit hoher Datensouveränität.

Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hat Deutschland 2017 die Vorgaben der e-Commerce-Richtlinie zur Verantwortung der Plattformen (Notice&Takedown) bei der Bekämpfung von strafbaren Inhalten und zur besseren Rechtsdurchsetzung im Netz konkretisiert und 2020 maßgeblich weiterentwickelt. Dabei hat sich das Netzwerkdurchsetzungsgesetz bewährt. Um effektiver gegen Straftaten und insbesondere auch gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität im Netz vorzugehen und Betroffene besser zu schützen haben wir mit Blick auf die Sozialen Netzwerke kürzlich das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) weiterentwickelt und hier insbesondere die Meldewege für Betroffene vereinfacht und vereinheitlicht und Forscher*innen Zugang zu Daten der Netzwerke eingeräumt. Neu hinzugekommen ist zudem die Meldepflicht von strafrechtlich relevanten Inhalten an das BKA.

Mit dem Digital Service Act (DSA) soll die e-Commerce-Richtlinie abgelöst werden und eine zentrale und europaweit einheitliche Regelung für die Zukunft bezüglich der Verantwortlichkeit im Netz geschaffen werden. Dabei sollte – auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH - an den Grundprinzipien des Haftungsrechts festgelten und diese weiterentwickelt werden. Bezüglich der Hostprovider muss gelten: je neutraler der Provider, desto größer die Privilegierung, je aktiver dieser sich die Inhalte zu eigen macht, desto größer die Haftung. Auch an dem Prinzip das Kommunikation nicht grundsätzlich überwacht werden darf sollte festgehalten werden. Es dürfen nicht automatisierte Verfahren über die Meinungsfreiheit entscheiden. Die im Rahmen des DSA diskutierten Regelungsvorschläge orientieren sich in weiten Teilen an den deutschen Regelungen des NetzDG. Wir setzen uns für verbindliche und europaweit einheitliche Regelungen zur Verantwortung im ein.

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