Eine Deezer-Studie meißelt in Zahlen, was alle schon immer geahnt haben: Junge Leute entdecken Musik für sich, mit zunehmendem Alter hören sie, was sie schon immer hören. Mit 31 Jahren erlischt die Neugier nach neuer Musik bei den Deutschen weitgehend.
Gregor Friedel, Musikchef von SWR3 kennt den Effekt: „Am liebsten hören Menschen die Musik, die sie in ihrer Teenagerzeit gehört haben“. Er führt andere Studien ins Feld, nach denen das Interesse an Musik bei Menschen ab 23 Jahren bereits um 80% abnimmt. „Mit Anfang 20 ist man im „Festival-Alter“, die Musik spielte und spielt eine zentrale Rolle in der Sozialisation und dem Erwachsenwerden. Mit Ende der Ausbildung/des Studiums, Auszug aus dem Elternhaus, Kinder usw. rücken andere Dinge in den Vordergrund, die Lebenssituation ändert sich grundlegend“, erklärt Friedel. Insofern überrascht ihn das Ergebnis der Studie von Deezer bestenfalls darin, dass der Altersdurchschnitt eher hoch liegt.
Auch Tanja Ötövs, Head of Music bei Radio Hamburg erscheinen die Ergebnisse plausibel. „Als musikinteressierter Mensch ist man mit 31 Jahren wahrscheinlich schon randvoll mit jeder Menge Lieblingstiteln“. Da lasse dann die Begeisterung für neue Musik vielleicht ein wenig nach. „Viele Musiktitel erfüllen ja auch eine Art Tagebuchfunktion und sind so emotional angereichert.“ Da wundert sie Ötvös nicht, dass neue Titel diese Erinnerung oftmals nicht mehr schaffen.
Die Deezer-Studie kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass es u.a. gerade die Vielfalt ist, die Musikhörer verzweifeln lässt. Für Holger Lachmann, Musikchef von Antenne Brandenburg und radioBERLIN 88,8, ein wichtiger Fakt: „Die Flut von heute immer und überall verfügbarer Musik überfordert viele Leute.“ Zu groß sei die Auswahl, zu oft lande man bei qualitativ fragwürdigen Stücken. „Umso wichtiger wird hier meines Erachtens die Aufgabe eines Kurators“, fügt Lachmann an. Das sei im Übrigen eine Aufgabe, die das Radio seit vielen Jahrzehnten übernimmt.
Mark Schweitzer, Musikchef von RPR1 weist in diesen Zusammenhang darauf hin, dass es durch die Übersättigung es immer schwieriger werde über die Marktforschung mit den Probanden zu kommunizieren und z.B. bei Musiktests aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen. Die meiste Musik sei immer erst dann statistisch wertig, wenn sie Monate alt ist. „Hier ist auch bei der Musikauswahl sehr viel Gefühl und „Bauch“ gefragt“, betont Schweitzer.
Robert Morawa, Musikchef BAYERN 3 sieht in den Ergebnissen auch Chancen für das Radio. „Die Vielfalt an sich führt nicht zum Ende der Neugier, aber der Zeitaufwand, nach neuer Lieblingsmusik zu suchen, wächst dadurch.“ Diese Zeitinvestition würden nur Menschen aufbringen, die richtige Musikfans seien. Denn diesen mache schon die Suche nach neuer Musik Spaß. „Das bedeutet für mich vor allem, dass sich viele Musikkonsumenten wünschen, durch den Dschungel an Veröffentlichungen geführt zu werden“, resümiert Morawa, „Radio tut genau das“.