Nach einer Deezer-Studie hören Deutsche im Schnitt mit 31 Jahren auf, neue Musik zu entdecken – wie bewerten Sie das?
Ehrlich gesagt muss ich zugeben, dass ich das nach Beobachtungen in meinem Umfeld nicht bestätigen kann. Auch Menschen, die weit über dem ermittelten Jahresschnitt von 31 liegen, interessieren sich meines Erachtens für neue Musik. Die einen mehr, die anderen weniger. Die meisten Menschen wollen doch auch gar nicht nur in der Vergangenheit steckenbleiben oder sich ausschließlich mit Vertrautem abgeben. Ich glaube, die menschliche Neugier nach „Neuem“ lässt das auch gar nicht zu. Die Frage ist meines Erachtens eher, wie definiere ich „neue Musik“? Natürlich hat sich ein erwachsener Mensch irgendwann musikalisch „gefestigt“, hat seine Vorlieben und spezielle Genres für sich reserviert. In diesem Umfeld jedoch glaube ich schon, dass viele Menschen weiterhin Interesse an neuer Musik haben, so lange es den persönlichen Geschmack trifft.
Als Begründung geben die Probanden unter anderem die schiere Masse an verfügbarer Musik an – warum kann ausgerechnet Vielfalt zum Ende der Neugier führen?
Tatsächlich ist das offenbar wirklich ein Problem. Die Flut von heute immer und überall verfügbarer Musik überfordert viele Leute. Die Suche nach „passender Musik nach meinem Geschmack“ kann manchmal auch frustrierend sein – zu groß ist die Auswahl, zu oft landet man bei qualitativ fragwürdigen Stücken. Umso wichtiger wird hier meines Erachtens die Aufgabe eines Kurators. Die Bewertung und Einordnung von Musik kann hier eine große Hilfe sein. Im Übrigen eine Aufgabe, die das Radio seit vielen Jahrzehnten übernimmt: welche Musik empfehle ich meinen Hörern, welche Songs sind es „wert“ im Programm gespielt zu werden?
Was bedeutet die mangelnde Neugier der Deutschen ab Anfang 30 für ein Radioprogramm?
Radio spielt noch immer eine wichtige Rolle für den Konsumenten, wenn es darum geht, neue Musik zu entdecken. Vor einiger Zeit habe ich eine andere Studie eines Streaminganbieters gelesen, aus der eindeutig hervorging, dass Radio das Entdecker-Medium Nummer 1 ist. Erst nachdem bestimmte Stücke im Radio liefen, verzeichnete auch der Streamingdienst erhöhte Nachfragen dazu. Ich glaube, wir sind inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem sich Deezer, Spotify, Apple Music oder Amazon Music auf der einen und das Radio auf der anderen Seite nicht mehr nur ausschließlich als Konkurrenten oder gegenseitige Gefahr betrachten sollten. Erste Kooperationen zeigen ja bereits, dass eine Co-Existenz nicht nur möglich, sondern sogar sinnvoll ist. Warum sollte man nicht dem Radiopublikum seine gewohnte Musik in kuratierten Listen auf anderen Plattformen anbieten und andersrum seitens Streamingdienst Radioprogramme empfehlen? Wir stehen da sicher noch am Anfang, aber mittelfristig könnten hier fruchtbare Zusammenarbeiten entstehen.
Um die Frage abschließend zu beantworten: ich halte es für fatal, im Radio neue Musik zu ignorieren. Es muss natürlich zum Programm passen und nicht für jede Station gibt es ausreichend stimmige neue Musiktitel. Aber auch hier kann man beispielsweise mithilfe von Spezialsendungen dem interessierten Hörer eine Plattform geben.
58 % der Befragten geben an, sich zu wünschen, mehr Musik zu entdecken – welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Wie gesagt – die Flut an neuen Produkten ist enorm. Neben den Streamingdiensten steht hier vor allem das Radio in der Pflicht, diese Flut zu sichten, einzuordnen und zu empfehlen. Und „neue Musik entdecken“ bedeutet ja auch nicht zwingend, nur neu-veröffentlichte Musik vorzustellen. Auch Titel, die längst einige Jahre auf dem Buckel haben, können ja (wieder-)entdeckt werden. Hierin sehe ich in erster Linie die Aufgabe einer kompetenten Musikredaktion – auch noch auf lange Sicht in den kommenden Jahren.