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Algorithmen und persönliche Tipps für Musikentdecker

Wie Streaming die Branche verändert

Dr. Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) Quelle: BVMI/Markus Nass Dr. Florian Drücke Geschäftsführer Bundesverband Musikindustrie 03.12.2018
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Der Zugang zu mehr als 40 Millionen Songs für praktisch „Jedermann/frau“, ist für den BVMI-Vorstandsvorsitzenden Dr. Florian Drücke "in erster Linie positiv". Allerdings gibt es auch große Herausforderungen für die Branche, etwa die Aufmerksamkeit auf das noch Unbekannte zu lenken.







Nach einer Deezer-Studie hören Deutsche im Schnitt mit 31 Jahren auf, neue Musik zu entdecken – wie bewerten Sie das?
Zum einen sind naturgemäß in erster Linie junge Menschen auf der Suche nach Identität, sie wollen sich als Person definieren, dabei spielt Musik eine ganz wesentliche Rolle. Zum anderen hängt es vermutlich mit der Lebenssituation von Über-30-Jährigen zusammen, denen durch berufliche und familiäre Einbindung zunehmend schlicht die Zeit fehlt, aktiv nach neuer Musik und Künstler/innen zu suchen. In Deutschland liegt die Altersgrenze von 31 Jahren immerhin leicht über dem internationalen Durchschnitt, was möglicherweise mit den längeren Studien- und Ausbildungszeiten zu tun hat. Die gute Nachricht ist aber, dass es in der neuen Musiknutzungswelt viele neue Möglichkeiten gibt, über Empfehlungen Chancen und Anreize schaffen, so dass auch Menschen mit weniger Zeit und Ü-30 bequem neue, zu ihrem Geschmack passende Musik entdecken können. Hier die Aufmerksamkeit auf das noch Unbekannte zu lenken, gehört zu den Herausforderungen der Branche.
 
Als Begründung geben die Probanden unter anderem die schiere Masse an verfügbarer Musik an – warum kann ausgerechnet Vielfalt zum Ende der Neugier führen?
Der Zugang zu inzwischen mehr als 40 Millionen Songs für praktisch „Jedermann/frau“ ist meines Erachtens in erster Linie positiv, und es geht hier ja nicht um das Ende der Neugier, sondern einfach darum, dass man seine Aufmerksamkeit naturgemäß aufteilen muss. In einer Welt, in der so vieles parallel verfügbar ist, ist Aufmerksamkeit entsprechend die entscheidende Währung. Die Streamingdienste unterstützen die Konsument/innen beim Stöbern und Entdecken, indem sie die Musik nicht in einer riesigen unübersichtlichen Datenbank zur Verfügung stellen. Im Gegenteil: Es gibt neben individualisierten Vorschlägen Rubriken und kuratierte Playlists, zusammengestellt beispielsweise nach Genres, Stimmungen oder Aktivität, die die Menschen durch das musikalische Universum leiten und begleiten. Hier steht die Entwicklung erst am Anfang, die Entdeckungsfunktionen werden ständig weiter ausgebaut und immer weiter verfeinert. Es ist davon auszugehen, dass beispielsweise die zur Verfügung gestellten Informationen zu den Künstlerinnen und Künstlern oder redaktionelle Beiträge zunehmend interaktiver und personalisierter werden, was Fans aller Altersgruppen noch gezielter anspricht und sie dadurch noch besser abholt als bisher.
 
Was bedeutet die mangelnde Neugier der deutschen ab Anfang 30 für Musiker und Musikbranche?
Ich würde es, siehe oben, nicht mangelnde Neugier nennen, sondern einen vor allem durch die Lebenssituation bedingten Mangel an Zeit und Gelegenheit: 30- bis 50-Jährige haben in der Regel weniger Zeit, zwischen Job und Familie regelmäßig im Plattenladen zu stöbern – in der Bahn oder im Auto zum Beispiel aber ist durchaus Raum für virtuelles Stöbern. Und genau hier bieten Spotify, Apple, Amazon und Co das Potential, auch Erwachsene jenseits der 30 mit dem aktuellen Musikgeschehen zu verbinden. Durch die berühmt-berüchtigten Algorithmen können auch unbekannte Musikerinnen und Musiker einer passenden neuen Zielgruppe nahegebracht werden, solche Möglichkeiten gab es vorher praktisch nicht. In einer Gesellschaft, die immer älter wird, sind die Audio-Streaminganbieter schon aus wirtschaftlichem Interesse gehalten, alle Altersgruppen mit passender Musik anzusprechen. Das war technisch nie einfacher als jetzt. Aber auch der Faktor „Mensch“ ist von wesentlicher Bedeutung, nicht alles hängt an Algorithmen: Wie wichtig musikalische Empfehlungen von Freunden in den sozialen Netzwerken sind, hat gerade eine Studie unsere Dachverbandes IFPI gezeigt.
 
58 % der Befragten geben an, sich zu wünschen, mehr Musik zu entdecken – welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Go for it! Hier ist genau das Spielfeld für die Branche und ihre Partner. Diese 58 Prozent unterstreichen doch das oben Gesagte: dass es eben nicht primär fehlende Neugier ist, sondern eher, ganz praktisch, fehlende Zeit und Gelegenheit im Alltag. Die Technologie der Streamingdienste kann das in Teilen kompensieren und den Entdeckergeist in jedem Lebensalter befeuern. Das bedeutet eine große Chance für die Fans wie für die gesamte Musikbranche, digital wie analog, weil viele Menschen die neu entdeckte Musik nicht nur streamen, sondern sie unter Umständen auch als physischen Tonträger erwerben. Übrigens gehören zu den potenziellen Neuentdeckungen nicht nur aktuelle Hits, sondern auch längst veröffentlichte Songs aus dem sogenannten Backkatalog, weil sie durch das Wesen der Streamingdienste ständig verfügbar und, etwa durch Playlisting, auch immer wieder sicht- und hörbar werden können.

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