Streaming-Dienste vermelden Rekord-Abo-Zahlen, Podcasts boomen – Audio-Inhalte sind groß im Kommen. Insbesondere die jungen Hörer - die Kinder und die Jugendlichen - wenden sich dabei nach aktuellen Untersuchungen zunehmend Online-Audio-Angeboten zu. Wo bleibt da das klassische lineare Radio? Wird es zu einem Medium der Alten?
So einfach ist es nicht. Denn Siegfried Schneider, zum Zeitpunkt unserer Fachdebatte Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), hält fest: „Auch lineares Radio gibt es online – und ist damit ein Online-Audio-Angebot.“ Er verweist auf Studien, nach denen immer mehr Menschen in Deutschland zumindest gelegentlich Radio über das Internet hören. Nach dem neuen Online-Audio-Monitor über die Hälfte der ab 14-Jährigen (53,3 %). Weit überdurchschnittlich viele Hörerinnen und Hörer erreicht nach diesen Daten lineares Webradio unter den 14- bis 29-Jährigen - fast zwei von drei (63,1 %), das sind anteilig ebenso viele wie bei den 30- bis 49-Jährigen (64,2 %). Der jungen Zielgruppe pauschal zu unterstellen, sie sei für lineare Medienangebote nicht mehr empfänglich, treffe also nicht zu. Schneider betont: „Auch die unter 30-Jährigen hören am häufigsten die etablierten Simulcast-Sender, also vertraute Marken.“
Prof. Dr. Paul D. Bartsch von der FH Merseburg beobachtet einen Trend, den es seit zehn, fünfzehn Jahren im Bereich Fernsehen gibt: „Junge Leute nutzen weniger das klassische TV-Programm-Format, sondern stärker die Mediatheken und Abrufangebote auf diversen Plattformen, was zeitliche Unabhängigkeit und damit größere Flexibilität ermöglicht. Die klassischen Medien verlieren so ihre zeitstrukturierende Funktion, was ich persönlich ein wenig bedaure.“ Für den - Professor für Erziehungswissenschaft wird das klassische Radio immer mehr Teil einer auch von den Sendern angestrebten Trimedialität: TV / Radio / Online. In diesem Verbund aber könne das Radio seine Berechtigung nur behalten, wenn es sich auf seine originären Stärken besinne. Es gelte, abwechslungsreiche und anspruchsvolle Unterhaltung mit gut recherchierten und hör(er)gerecht aufbereiteten Wortbeiträgen zu verbinden.
Das wissen auch die Programm-Macher. Für Birgitta Kaßeckert, Leiterin Kinderprogramm beim BR, ist das Kinderprogramm ist eine Königsdisziplin: „Unsere Zielgruppe (3-13) ist sehr heterogen - und wenn es der Kundschaft nicht gefällt, ist sie weg!“ Man müsse also wissen, wie unsere Zielgruppe ticke. Dabei hilft das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) oder das User Lab, das Nutzer der Programme befragt. Im direkten Kontakt mit der Zielgruppe könne man Inhalte evaluieren, überprüfen und nachjustieren. Gutes Kinderprogramm spiegele dabei die Vielfalt des Lebens und ermöglicht Kindern, an diesem aktiv teilzuhaben. „Kinderprogramm muss also viel leisten: Spaß machen und dabei entspannen, die Phantasie anregen, erklären, wie und warum unsere komplexe Welt so funktioniert, ermutigen, Fragen beantworten oder Impulse für Fragen setzen, die Kinder stellen können“ Das funktioniere nur, wenn die jungen Hörer sich mit den Inhalten identifizieren können. Die Ansprache müsse daher auf Augenhöhe der Kinder stattfinden und ihre Lebenswelt abbilden.
Für Jörgpeter von Clarenau von der NDR Mikado Redaktion ist am wichtigsten: „Kindersendungen müssen auffallen. Deshalb gehören sie mitten ins Radiogeschehen eines Senders.“ Bei den Sendungen komme es vor allem auf Glaubwürdigkeit in Ton und Inhalt an. Aus seiner Erfahrung mögen Kinder es, wenn das Radio, das so konkurrenzlos wie kein anderes Medium Nähe aufbauen kann, sie beim Entdecken der Welt begleitet. Dass dies, je nach Vermittlungsanliegen, mal ernsthaft, mal spaßbetont, mal journalistisch, mal künstlerisch vonstattengeht, macht dieses Ressort für ihn zu einem der reizvollsten in der Radiowelt.
Anja Hagemeier ist Abteilungsleiterin Familie & Kinder im rbb und sie richtet den Blick auf die die Eltern als wichtige „Gatekeeper“. „Sie entscheiden meist, was, wann und wie lange gehört wird.“ In ihrem Haus ermöglicht ein regelmäßiges Qualitätsmanagement und die Auseinandersetzung mit der Zielgruppe und deren Eltern, auf die Bedürfnisse einzugehen. Häufig würden die Sendungen über verschiedene Devices Online in der ARD-Audiothek abgerufen, ob im Auto oder beim Zubettgehen. „Wir bieten Verlässlichkeit, denn täglich wird unser Programm nicht nur linear, sondern auch digital veröffentlicht.“
André Gierke von der Funkhaus Halle GmbH & Co. KG, die Programme wie 89.0 RTL und Radio Brocken produziert entscheidet das, was Radio schon immer ausmacht: „Selbst am Puls der Zeit bleiben, Trends als erstes (mit)entdecken und setzen aber auch die Zusammenarbeit mit Multiplikatoren suchen.“ Warum solle man nicht einem Influencer eine eigene Radioshow geben, sein Haus hat das bei 89.0 RTL mit einem bekannten Instagram- und TikTok-Influencer bereits erfolgreich umgesetzt. Darüber baut das Unternehmen Reichweite auf diversen Plattformen wie YouTube, Instagram oder auch TikTok aus und ist mit seinen Programmen da, wo die junge Generation ist, als Teil ihrer digitalen Welt. Darüber hinaus gebe es auch weiterhin exklusive Erlebnisse nur im Radio mit den Musikstars von heute. „Je uniquer der Content, den wir bieten können, umso relevanter sind wir auch in der jungen Zielgruppe.“ Von der Politik wünscht er sich eine faire Regulierung im Verhältnis zu den internationalen Techplattformen sowie eine adäquate Auffindbarkeit aller Radioangebote auf diesen Plattformen. „Gerade für uns Privatradios im teils ungleichen Wettbewerb mit den ARD-Radioangeboten bedarf es Schutz und Unterstützung seitens der Politik, damit wir auf dieser Basis unsere neuen digitalen Geschäftsmodelle für vor allem junge heranwachsende Zielgruppen überhaupt finanzieren und realisieren zu können.“
Nicht bei den Inhalten wird auf junge Zielgruppen geachtet. Christine Albrecht ist Geschäftsführerin der Alan Electronis GmbH mit den Marken Albrecht, Albrecht Audio und Midland. In ihrem Unternehmen steht bei der Entwicklung von Geräten schon länger die ganze Familie im Fokus. Neben Design-Radios bietet der Hersteller zum Beispiel auch für Senioren Geräte mit großem Display und Knöpfen sowie einem vereinfachten Bedienmodus an. Je nach Alter sei dies auch für Kinder eine sinnvolle Funktion. „Die Kinder können die Geräte kinderleicht selbst bedienen, die Eltern müssen keine Angst haben, dass das Gerät verstellt wird.“ DAB+ und Streaming sind aus ihrer Sicht - insbesondere für die jüngere Generation - wichtige Themen. Der Ausbau des Digitalradioangebotes in Verbindung mit dem klaren und deutlich rauschfreieren Empfang spreche immer mehr Hörer an – ganz gleich ob Klein oder Groß. Sie verweist auf die vielen digitalen Kindersender, die ganz unkompliziert als Favoriten auf den Direktwahltasten des Radios hinterlegt werden können.



