Nach aktuellen Daten wenden sich junge Hörer zunehmend Online-Audio-Angeboten zu. Welche Rolle spielt das klassische lineare Radio im Medienmix aus Ihrer Sicht?
Dieser Trend holt eigentlich nur nach, was seit zehn, fünfzehn Jahren im Bereich Fernsehen zu beobachten ist: Junge Leute nutzen weniger das klassische TV-Programm-Format, sondern stärker die Mediatheken und Abrufangebote auf diversen Plattformen, was zeitliche Unabhängigkeit und damit größere Flexibilität ermöglicht. Die klassischen Medien verlieren so ihre zeitstrukturierende Funktion, was ich persönlich ein wenig bedaure. Und das klassische Radio wird immer mehr Teil einer auch von den Sendern angestrebten Trimedialität: TV / Radio / Online. In diesem Verbund aber kann das Radio seine Berechtigung nur behalten, wenn es sich auf seine originären Stärken besinnt: Abwechslungsreiche und anspruchsvolle Unterhaltung mit gut recherchierten und hör(er)gerecht aufbereiteten Wortbeiträgen zu verbinden.
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Bei den Kern-Inhalten Livestyle und Musik entdeckt die junge Generation neue Trends häufig auf Plattformen wie Tik Tok. Wie wirkt sich die stärkere visuelle Präsentation solcher Inhalte auf die jungen Mediennutzer aus?
Unsere Gegenwart ist stark durch visuelle Reize und Kommunikationsangebote geprägt; das (insbesondere geschriebene) Wort hat es bei den Jüngeren schwerer. Ihren Niederschlag finden diese visuellen Angebote häufig im Verhalten und im Habitus Jugendlicher, indem das Gesehene imitiert oder zumindest als Anleitung genommen wird. Das ist insgesamt nicht neu, hat sich aber durch die Digitalisierung (und die dadurch vereinfachten Möglichkeiten, über Stand- und Bewegtbilder bzw. Animationen zu kommunizieren) zweifellos verstärkt.
Klassische Radio-Vollprogramme senden neben Musik auch Nachrichten und Informationen – wie kann und sollte die Politik helfen, dass solche Inhalte auch künftig junge Zielgruppen erreichen?
Zunächst mal ist es Aufgabe der Sendeanstalten, ihrer Verantwortlichen und der gestaltenden Personen, ihre Angebote auch für junge Adressaten attraktiv zu machen. Ich weiß auch, dass dort darüber viel nachgedacht, gestritten und erprobt wird. Wichtig ist dabei, die Relevanz von Informationen und Nachrichten für die Zielgruppe(n) im Blick zu behalten. Es reicht oft nicht mehr, einen Fakt zu benennen oder ein Ereignis sachlich wiederzugeben. Man muss dem Hörer, der Hörerin das Gefühl geben, hej, das hier hat etwas mit dir zu tun! Das könnte und sollte dich betreffen, auch wenn es zunächst weit weg erscheint. Zudem sollte die Darstellung beim Rezipienten die Lust auf eigene Aktivitäten wecken – keine fertigen Weisheiten, sondern offene, vielleicht auch provokante Angebote.
Die Politik kann helfen, indem sie den rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmen für derartige Angebote schafft, ohne bevormundend oder einengend zu wirken. Die Sicherstellung des Rundfunkbeitrags ist dabei unerlässlich.
Welche Chancen sehen Sie in neuen Online-Formaten, Online-Spartenkanäle oder Podcasts, um junge Zielgruppen mit hochwertigen Audio-Inhalten zu versorgen?
Darin sehe ich prinzipiell große Chancen, weil derartige Angebote den sich ändernden Mediennutzungsgewohnheiten junger Menschen entgegenkommen. So lassen sich junge Rezipientinnen und Rezipienten auch auf längere, vertiefende Inhalte sein, weil diese ihren Interessen entsprechen, die eben ein Spartenkanal oder ein bestimmtes Podcast-Format besser bedienen kann als das breiter ausgerichtete klassische Vollprogramm. Zugleich vergrößert dies natürlich auch die Gefahr, dass sich die Informationsblase, in der ich mich bewege, immer mehr verfestigt und andere Inhalte kaum noch die Chance haben, zu mir vorzudringen. Dafür sorgt auch gerade die Vernetzung formell unterschiedlicher, aber inhaltlich gleichgerichteter Medienformate (Spartenradio + Podcast + SocialMedia-Kanäle + Webangebot); ich bin dann quasi in einem selbstreferentiellen System unterwegs, einer Echokammer, die mich zwar bestätigt, aber nicht unbedingt Objektivität und Vielfalt stärkt.