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Über die stark zersplitterte Verwaltungslandschaft in Deutschland

Was Nürnberg Smartes tut - und was der Bund besser regeln sollte

Olaf Kuch - Leiter des Direktoriums Bürgerservice, Digitales und Recht, Stadt Nürnberg Quelle: Stadt Nürnberg Olaf Kuch Leiter des Direktoriums Bürgerservice, Digitales und Recht Stadt Nürnberg 29.11.2023
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Olaf Kuch, Leiter des Direktoriums Bürgerservice, Digitales und Recht der Stadt Nürnberg betont, "dass Digitalisierung kein Selbstzweck sein darf, sondern Nutzen kreieren muss, für die Bürgerinnen und Bürger wie auch intern für die Verwaltung." Er plädiert für angepasste rechtliche Regeln,  denn: "Wir könnten technisch längst mehr als wir rechtlich dürfen."







Ihre Stadt gehört zu den smartesten in Deutschland. Welche Anstrengungen haben Sie in der letzten Zeit dafür unternommen?
Zunächst möchte ich betonen, dass die Stadt Nürnberg vor vielen Jahren – also lange vor dem OZG* – begonnen hatte, geeignete Vorgänge und Verwaltungsleistungen zu identifizieren und online möglich zu machen. Das war gerade zu Beginn sehr mühsam und man musste auch vielen internen Hindernissen mit langem Atem begegnen. Das war aber sicherlich unser Fundament, auf das wir aufbauen konnten.

Deswegen waren wir in der letzten Zeit auch nicht rein „OZG-getrieben“, sondern konnten unseren Kurs beständig weiter verfolgen. Dies bedeutet insbesondere, dass Digitalisierung kein Selbstzweck sein darf, sondern Nutzen kreieren muss, für die Bürgerinnen und Bürger wie auch intern für die Verwaltung. Hinzu kommt, dass ohne eine Überprüfung der Prozesse keine Digitalisierung sinnvoll umsetzbar ist; es macht keinerlei Sinn, schlechte bzw. überholte Prozesse nur digital nachzubauen. Schließlich muss Digitalisierung umfassend gedacht werden, nicht nur „vom Bürger zur Rathauspforte“, sondern digitaler Eingang, Übernahme in ein Dokumentenmanagementsystem, digitale Bearbeitung mit Schnittstellen oder RPA-Verbindung zu Fachverfahren und idealerweise digitaler Ausgang (wo möglich). Unser Bürgerkonto „mein Nürnberg“ bietet uns diese Möglichkeiten.

All das hat wohl dazu beigetragen, dass wir viele und auch gute, kundenfreundliche Online-Verfahren zur Verfügung stellen können und nicht noch schnell vor der Deadline Ende 2022 mit pdf-Formularen hantieren mussten.

Welche Projekte wollen Sie als nächstes angehen?
Aktuell steht natürlich die Einbindung von KI in die Verwaltungsvorgänge an, davor unmittelbar mehr Service durch Chat- und/oder Voicebots, Videoberatung oder –antragstellung.

Neben den technischen und organisatorischen Maßnahmen ist aber auch wichtig, über Spitzenverbände und Politik weiter darauf zu drängen, dass wir rechtlich/gesetzlich mehr dürfen, was wir technisch längst könnten; ich denke hier insbesondere an Massenverfahren wie Melderecht und Pass-und Ausweisrecht. Die wenigen Piloten bleiben hinter den Erwartungen zurück.

Denn selbst bei Dienstleitungen/Produkten, bei denen eine Vorsprache (noch) zwingend nötig ist (z.B. Fingerabdrucknahme bei Pass und Personalweis) wäre es sinnvoll, rund um den analogen Teil mehr (digitale) Erleichterungen anzubieten. Ich denke hier an eine Ausweitung unserer Ausweisautomaten, eine Art „Packstation“ für Behördendokumente oder Online-Terminsysteme, Video-ID-Verfahren, Zustellung von Pass und Ausweis direkt durch die Bundesdruckerei usw.. Es gibt hier zwar Ansätze, die aber praxistauglicher sein müssten.

Das Ranking betrachtet deutsche Städte - wie sehen Sie Ihre Kommune im Europa-weiten Vergleich aufgestellt?
Der Vergleich an sich ist schon schwierig, er hängt ganz entscheidend bereits von Faktoren ab, die ganz abseits der Digitalisierung liegen. Ich rede hier von der föderalen Struktur Deutschlands oder der Delegation staatlicher Aufgaben an die Kommunen. So ist die Verwaltungslandschaft stark zersplittert, durch die Hoheit der Länder im Bereich des Verwaltungsvollzugs und des Aufbaus der Behörden und nicht zuletzt durch die kommunale Selbstverwaltung hat sich ein „Flickerlteppich“ an Richtlinien, Zuständigkeiten, Umsetzungsregelungen und technischen (Insel-)Lösungen über Jahrzehnte ergeben. Deshalb ist ein nationaler Vergleich schon schwierig; international können wir uns (leider) nicht mit Ländern wie Dänemark oder den baltischen Staaten vergleichen, wo viel aus einem Guss erfolgen kann. Dieses Problem ist erkannt, kann aber natürlich nicht schnell und unaufwändig beseitigt werden.

Welche Unterstützung würden Sie sich bei Ihren Maßnahmen von Land, Bund und EU wünschen?
Durch die mehr oder weniger erfolgreiche Umsetzung des OZG bis Ende 2022 sind ja zahlreiche Baustellen deutlich geworden. Es braucht mehr Koordination, mehr Möglichkeiten zur Nutzung einheitlicher Dienste und Assistenten, die ohne großen Aufwand bei Entwicklung und Beschaffung (Stichwort Vergaberecht) für die Behörden vor Ort - und das sind in der Regel die Kommunen - zur Verfügung stehen. Es muss nicht jede Kommune ihr eigenes Bürgerportal betreiben. Ich stelle oft die Frage, warum es bei bundesgesetzlich vorgegebenen Dienstleistungen oder Produkten nicht bundesweit ein einheitliches Portal gibt, das vom Bund zur Verfügung gestellt und gepflegt wird. Die Übertragung solcher Aufgaben auf die Kommunen mag ihre Wurzeln in der örtlichen Nähe der Rathäuser zu den Bürgerinnen und Bürgern haben, im digitalen Zeitalter gilt dies längst nicht mehr. Und das kommunale Selbstverständnis hängt sicherlich nicht an der Antragstellung einzelner Bürgerdienstleitungen.

Zudem wäre es hilfreich, wenn wir die gesetzlichen an die technischen Möglichkeiten anpassen würden. Wir könnten technisch längst mehr als wir rechtlich dürfen.

 * Onlinezugangsgesetz

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