In welchen Bereichen liegen die größten Herausforderungen bei der Digitalisierung der Stromherstellung und -verteilung?
Die grösste Herausforderung liegt sicherlich in der Erfassung und Nutzbarmachung digitaler Daten. Dabei gilt es zwischen den Wertschöpfungsstufen der Stromversorgung zu differenzieren. Bei grossen Produktionsanlagen und in den Übertragungsnetzen, oftmals auch schon in den regionalen Netzen ist die Digitalisierung und Messung eher weit fortgeschritten. In den tieferen Netzebenen sieht das anders aus. Hier besteht noch ein grösserer Handlungsbedarf, der pro Land zu differenzieren ist. Oft ist bei den Verteilnetzen die Mess- und Steuerungstechnik noch nicht weit verbreitet. Dies ist tendenziell auch der Fall bei kleineren dezentralen Produktionsanlagen, bei Verbrauchern und dezentralen Speichern. Daher kommt den intelligenten Messsystemen – den Smart Metern - so eine wichtige Rolle zu. Sie ermöglichen die Erfassung digitaler und belastbarer Daten mit relativ feinen Granularitäten (15 Minuten) und ermöglichen damit die zunehmende Digitalisierung der unteren Netzebenen sowie die Nutzung von Flexibilität (siehe nächste Frage). Vor Ort haben die Smart Meter eine Schnittstelle, die es ermöglicht Echtzeit-Daten auszulesen. Eine weitere grosse Herausforderung ist es, die Daten im Energiemarkt verfügbar zu halten. Während die Nutzung der Daten innerhalb des für die Messung verantwortlichen Unternehmens bereits vielversprechende Schritte macht, ist die Verfügbarmachung der Daten für Verbraucher, Produzenten und Dritte noch kaum fortgeschritten, z.B. sind REST-API eher die Ausnahme. Entsprechend werden Potentiale von Data Science und Künstlicher Intelligenz im Energiemarkt noch nicht gehoben.
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Als Problem gilt die zeitliche Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Quellen: Wie muss ein System gestaltet sein, dass deutschlandweit (europaweit) für stabile Netze sorgt?
Ich würde dies nicht als Problem bezeichnen, sondern eher als Herausforderung. Es geht um die Transformation also dem Umbau eines Systems, das historisch kaum dargebotsabhängige, dezentrale Produktion kannte. Nun gilt es technische Lösungen zu finden, die damit einhergehenden Anforderungen entsprechen und dabei den stabilen Betrieb jederzeit aufrecht zu erhalten. Dies gleicht einer «Operation am offenen Herzen» wann man so will. Typischerweise kann der Dargebotsabhängigkeit über Flexibilität begegnet werden. Flexibilität bezeichnet die gewollte Modulation bzw. Steuerung der Ein- oder Ausspeisung, sei es bei Erzeugern, Verbrauchern oder Speichern. Beispielhaft kann hier die Elektromobilität erwähnt werden. Die E-Mobile, welche für die Ladung an das Netz angeschlossen sind, können als eine grosse Batterie fungieren und das System ausregeln. Damit solche Lösungen sich entwickeln und effizient in das System und nicht zuletzt in den Markt integriert werden können ist eine zunehmende Digitalisierung, eine IT-gestützte Koordination der Akteure und ein gut organisierter Datenaustausch wichtig. Kurz gesagt braucht es zunehmend die Nutzung von Flexibilität auf der einen Seite und Digitalisierung und Marktintegration auf der anderen Seite, damit das System weiter stabil betrieben werden kann.
Sind diesbezügliche Modernisierungsinvestitionen – unter Beachtung der Sicherheit der Netze vor unbefugten Eingriffen Dritter –, kurz- bzw. mittelfristig machbar?
Die dafür notwendigen Investitionen sind die eine Seite. Finanzielle Mittel stehen gerade im infrastrukturellem Bereich des Energiesektors, also in den Netzen, eigentlich genügend zur Verfügung. Hier werden staatlich abgesicherte Gewinne erwirtschaftet. Die andere Seite sind die für eine zunehmende Digitalisierung notwendigen Anreize und dafür gegebenenfalls notwendige regulatorische Vorgaben. Oft besteht nicht genügend Druck, die betrieblichen Prozesse zu optimieren und Kosten zu sparen, wenn diese durch das regulatorische System mehr oder minder einfach auf die Kunden abgewälzt werden können. Offensiv formuliert könnte man auch fragen: warum sollte man digitalisieren und auf unter Umständen komplex erscheinende Automatisierung setzen, wenn es doch bis anhin funktioniert? Das ist auch eine unternehmenskulturelle Frage. Eine solche kolportierte Haltung zeigt ihre Ergebnisse nun besonders in der drohenden Krise. Man merkt auf einmal, dass viele Information nicht oder nicht in der benötigten Zeit und Granularität vorhanden sind. Bei allen Investitionen in Digitalisierung muss aber auch Cyber Security berücksichtigt werden. Ohne Massnahmen in diesem Bereich ist eine nachhaltige Digitalisierung nicht möglich, auch wenn diese Investitionen erstmal keine direkten Profite nach sich ziehen.
Wie können Staat und Verwaltung die Branche unterstützen?
Ich denke, die Frage muss erweitert werden. Die Branche besteht auch aus Unternehmen, die dem Staat gehören bzw. mindestens einen staatlichen Auftrag verfolgen. Man muss also auch in Analogie an JFK fragen, was die Branche für den Staat tun kann. Die zunehmend komplexe Welt ist kaum mehr für einen Akteur allein zu bewältigen, weswegen Public-Private Partnerships (PPP) an Bedeutung gewinnen. Gerade in den Vorbereitungen zur möglichen Notsituation in diesem Winter merkt man dies. Zum einen sollte die Branche daher mehr Informationen und Daten zur Verfügung stellen, damit die Transparenz im Sektor steigt und der Staat seine Aufgaben besser erfüllen kann. Von der anderen Seite kann der Staat mit klaren und stabilen Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass die nötigen und wichtigen Investitionen getätigt werden und der Endkunde bestmöglich seine Rechte in der Energieversorgung ausüben kann. Dies kollidiert schon mal mit Gewinninteressen, aber langfristig ist es für die Transformation und im Sinne des Klimaschutzes der richtige Weg.