Im Rahmen der Energiewende mit der CO2-freien Energieversorgung ab 2045 wird die bisher zentrale leitungsgebundene Stromversorgung auf Basis von fossilen und nuklearen Energieträgern durch eine dezentrale, stark schwankende Einspeisung von erneuerbaren Energien in die Stromnetze abgelöst und gleichzeitig von der Übertragungsebene auf die Verteilnetzebene hin verlagert.
Digitalisierung der Energiewirtschaft
Dies erfordert eine ganzheitliche, netzübergreifende intelligente strombasierte regelungstechnische Optimierungsstrategie der Energieunternehmen, um einen reduzierten Stromnetzausbau zu erreichen und eine effiziente Energieversorgung zu ermöglichen. Die regelungstechnische Optimierung beruht dabei auf einer modellbasierten vorausschauenden Regelung, der sogenannten modellprädiktiven Regelung, auf Basis von künstlichen neuronalen Netzen. Der Erfolg der Optimierung wird im Wesentlichen von der Modellgüte des verwendeten Rechenprogramms und einer hinreichend guten Vorhersage von Stromerzeugung und -verbrauch und damit einhergehend vom Wettergeschehen, wie. z.B. dem Windaufkommen und der Sonneneinstrahlung, abhängen. Die Regelung des Gesamtsystems wird internetbasiert erfolgen. Wie Untersuchungen in Echtzeit beim Forschungsprojekt „RegEnKibo“ gezeigt haben, sind hier noch erhebliche Anstrengungen zu leisten, damit dies dann unterbrechungsfrei geschieht und ein unbefugter Eingriff von außen unterbleibt.
Was das Zusammenschalten der einzelnen Stromnetze in der neuen Energiewelt betrifft, bietet sich die Umsetzung des zellularen Ansatzes zu einem zellularen Energiesystem an. Überlegungen hierzu und Handlungsempfehlungen zur Gestaltung eines zellularen Energiesystems gibt es vom VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main. Auch befassen sich Forschungsprojekte mit dieser Thematik, wie. z.B. das Projekt „RegEnZell“ in Rheinland-Pfalz. Das zellulare Energiesystem kann sowohl deutschlandweit als auch europaweit umgesetzt werden.
Neben der unerlässlichen Digitalisierung der leitungsgebundenen Energieversorgung ist auch ein Hauptaugenmerk auf die Energiespeicherung zu richten. Diese ist notwendig, weil die zukünftige Energieversorgung, die neben der eigentlichen Stromversorgung dann auch den Verkehrsbereich, den Industrie- und Handelsbereich sowie den Wärmebereich mit abdeckt, sich im Wesentlichen auf die volatile Stromzeugung aus Wind und Sonnenenergie stützt und mit dem von der Stromerzeugung unabhängigen Stromverbrauch abzugleichen ist. Hier wird auch eine zukünftig flexibler gestaltete Nachfrage nach Strom wenig ändern. Die Energiespeicherung kann dabei auf unterschiedliche Weise erfolgen, beginnend von der Batterie bis hin zur Power-to-Gas-Technologie. Sie muß zwei Hauptaufgaben erfüllen: die Ein- und Ausspeicherung von großen Energiemengen ermöglichen und die Energiespeicherung über einen längeren Zeitraum von einigen Tagen bis zu mehreren Wochen gewährleisten.
Wichtig bei all dem Gesagten ist es, in der Energiewirtschaft einen technischen Konsens zu finden, damit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Entscheidungen treffen können, um die notwendigen Technologien und damit die Energiewende schnell voranzubringen.
(Nahezu) autark mit der Power-to-Gas Technologie
Eine Gemeinde möchte nahezu unabhängig werden mit Hilfe von Erneuerbaren Energien: dazu baut sie beispielsweise einen Windpark, einen PV-Park und installiert viele PV-Anlagen auf öffentliche und private Liegenschaften. Alle diese Anlagen erzeugen Strom und speisen diesen in das örtliche Stromnetz ein, der von der einheimischen Industrie, Gewerbebetrieben und natürlich von Privatpersonen und Familien verbraucht wird. Leider produzieren die Anlagen nur Strom, wenn ausreichend Wind vorhanden ist bzw. die Sonne scheint; es wird also nicht unbedingt dann Strom erzeugt, wenn er gerade gebraucht wird. Da es zurzeit keine effizienten Methoden zur Stromspeicherung gibt, muß überschüssiger Strom für wenig Geld ans allgemeine Stromnetz abgegeben werden; im Gegensatz dazu muß zu wenig produzierter Strom für viel Geld aus dem allgemeinen Stromnetz bezogen werden.
Die Gemeinde unterhält auf der anderen Seite auch ein Gasnetz mit einem effektiven Gasspeicher, der viel Energie speichern kann, um wiederum Privatverbraucher, Gewerbekunden und Industrie mit Heiz- und Produktionsgas zu versorgen. Es gilt nun, den überschüssigen Strom geschickt in Gas umzuwandeln, um dieses einspeichern zu können, und umgekehrt, bei Bedarf dieses eingespeicherte Gas wieder zu Strom zurück zu umwandeln, was man mit Power-to-Gas Technologie bezeichnet. Damit würde auch eine Vielzahl von Übertragungsnetzen obsolet, um den Strom hin- und herzutransportieren.
Die Physik ist schnell erklärt: Mit Hilfe des grün erzeugten Stroms läßt sich durch sogenannte Elektrolyse einfaches Wasser (Formel: H20) in Wasserstoff (H2) und reinen Sauerstoff (O2) trennen; dabei entsteht zusätzlich Wärme, die man darüber hinaus zum Heizen nutzen kann. Im Anschluß wird dieser Wasserstoff mit Kohlendioxid (CO2) zu Methan (CH4) umgewandelt, also zu Gas, das dann bequem in unterirdischen Speichern beliebig lange eingelagert werden kann. Das benötigte Kohlendioxid wird beispielsweise in einer Biogasanlage erzeugt; der gesamte Vorgang bezeichnet man als Methanisierung und als Nebenprodukt entsteht wiederum nutzbare Wärme.
Umgekehrt wird das eingelagerte Gas in einem Blockheizkraftwerk verbrannt, das dann Generatoren zur Stromgewinnung antreibt; auch hier entsteht als Nebenprodukt nutzbare Wärme, mit der man zum Beispiel Hallenbäder, Kindergärten und öffentliche Gebäude beheizen kann.
Dieser Kreislauf kann aber nur dann funktionieren, wenn die einzelnen Komponenten durch ein „cleveres Netz“, ein sogenanntes Smart Grid, miteinander verbunden werden und gut aufeinander abgestimmt sind. Um dieses System optimal zu regeln, müssen ständig neue Echtdaten wie aktuelle Wetterwerte, Wetterprognosen und natürlich das Verbrauchsverhalten der Privatpersonen, der Gewerbekunden und der Industrie einfließen. Damit kann auch spontan und zeitnah auf Probleme wie z.B. Unwetter reagiert werden; Voraussetzung ist also eine technologische Aufrüstung, sprich Digitalisierung unserer Netze. Sollte es trotzdem zu unerwarteten Störungen kommen, so steht immer noch das allgemeine Stromnetz zur Verfügung, aus dem im Bedarfsfall Strom entnommen werden kann.
Die Energiewende könnte dahingehend fortschreiten, daß, wie oben beschrieben, viele einzelne solcher autarken „Energiezellen“ entstehen, die im Idealfall alle miteinander vernetzt sind, um im Bedarfsfall in der „Nachbarzelle“ aushelfen zu können. In einer Energiezelle findet also das clevere Zusammenspiel aus Erneuerbaren Energien, Umwandlung von Strom zu Gas, intelligenter Einspeicherung und einem Smart Grid statt.
Über die Autoren
Prof. Dr. M.Sc. Peter Missal ist ehemaliger Geschäftsführer des Energieversorgungsunternehmens e.rp GmbH in Alzey. Er fungiert als Lehrbeauftragter an der TH Bingen sowie an der DHBW in Mannheim; in Mannheim verantwortet er im Studiengang Energiewirtschaft die Vorlesungen Gas, Konzessionsrecht und Energieumweltrecht. Darüber hinaus ist er Mitglied der Arbeitsgruppe PtG (VDI-Richtlinienreihe 4635 PtX).
Prof. Dr. rer. nat. Rolf Litzenberger war nach dem Studium der Technomathematik im Fachbereich Mathematik der TU Kaiserslautern tätig. Seine Dissertation behandelt eine genaue Berechnung des Gravitationsfeldes der Erde mit Hilfe harmonischer Wavelets. Nach seiner Promotion wechselte er als Controller und Regulierungsmanager zu einem mittelständischen Energieversorgungsunternehmen. Im Januar 2010 wurde er zum Professor an die Duale Hochschule Baden-Württemberg DHBW in Mannheim berufen. Dort hat er den neuen Studiengang Energiewirtschaft aufgebaut und fungiert als Studiengangsleiter.