In welchen Bereichen liegen die größten Herausforderungen bei der Digitalisierung der Stromherstellung und -verteilung?
Es gibt viele Herausforderungen, wir haben die aus unserer Sicht größten kurz skizziert:
Ohne Frage, die Energiewende findet im Verteilnetz statt. 95 Prozent aller Erneuerbare-Energien-Anlagen sind in Deutschland an das Verteilnetz angeschlossen und es werden immer mehr. Besonders in Baden-Württemberg, denn im Mai 2022 wurde hier die PV-Pflicht für neue Wohngebäude eingeführt. Zudem steigt der Wunsch der Bevölkerung nach Autarkie und Nachhaltigkeit.
Das führt dazu, dass wir von Netze BW bei Anfragen zu Netzanschlüssen für PV-Anlagen und Wallboxen im Vergleich zum Vorjahr einen Zuwachs von bis zu 80 Prozent verzeichnen. Das ist ohne Digitalisierung nicht zu schaffen. Um unseren Kund*innen bei steigender Nachfrage trotzdem den besten Service zu bieten, wollen wir mit Hilfe von digitalen und ineinandergreifenden Werkzeugen den Prozess – von der Anmeldung bis zur Installation einer Wallbox, PV-Anlage oder anderen Hausanschlüssen – automatisiert, einfacher und intuitiver gestalten.
Aber nicht nur die Anzahl dezentraler Erzeugungsanlagen wie PV nimmt zu, sondern auch die von Wärmepumpen, Elektrofahrzeugen und Speichern. Die Folge: der Koordinierungsaufwand im Gesamtsystem und gerade in der Niederspannungsebene erhöht sich enorm.
Informationen über die tatsächliche Auslastung der Verteilnetze werden für uns als Netzbetreiber daher immer wichtiger. Denn sie sind Grundlage für einen effizienten und vorausschauenden Netzausbau und -betrieb. Digitalisierung kann dabei helfen, „Licht“ ins Verteilnetz zu bringen und die Lastflüsse besser zu bewerten. Die erforderliche Transparenz in der unteren Spannungsebene ist jedoch noch nicht wie benötigt gegeben.
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Als Problem gilt die zeitliche Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Quellen: Wie muss ein System gestaltet sein, dass deutschlandweit (europaweit) für stabile Netze sorgt?
Um die zuvor erwähnten Herausforderungen anzugehen, haben wir von Netze BW NETZlabore und Projekte initiiert, die nicht nur Transparenz ins Verteilnetz bringen, sondern auch den Stromverbrauch und -Einspeisung optimal aufeinander abstimmen. So können wir das Netz in Spitzenzeiten mit all seinen neuen Erzeugungsanlagen und Verbrauchern (wie E-Autos) entlasten.
In Freiamt erprobt das vom BMWK geförderte Projekt flexQgrid im NETZlabor Freiamt, wie lokal erzeugter Strom aus erneuerbaren Energien durch die flexible Nutzung von Batteriespeichern, Elektrofahrzeugen und Wärmestromanlagen optimal in das Stromnetz integrieren werden kann und inwiefern sich die Anlagen dabei intelligent und ohne Komforteinbußen koordinieren lassen. Ziel ist es, Überlastungen im Stromnetz zu vermeiden, bevor sie auftreten. Weitere Infos auf: www.netze-bw.de/unsernetz/innovationen/flexqgrid
DA/RE - Die Netzsicherheits-Initiative BW: Im Projekt DA/RE entwickeln wir gemeinsam mit TransnetBW eine digitale Plattform, auf der sich Maßnahmen zur Netzstabilisierung über alle Netzebenen hinweg koordinieren lassen. Über die DA/RE Plattform sollen Verteilnetz- und Übertragungsnetzbetreiber kontinuierlich Daten austauschen, damit Erzeugungsanlagen optimal zur Netzstabilisierung eingesetzt werden können. Weitere Infos auf: www.netze-bw.de/unsernetz/netzinnovationen/digitalisierung/da-re
#NETZlive: Auch beim Projekt NETZlive geht es darum, das Verteilnetz auf die Anforderungen von morgen auszurichten. Mit Hilfe von Messungen, Prognosen, Netzdaten und intelligenten Algorithmen wollen wir alle Spannungsebenen transparenter und „digitaler“ machen. Weitere Infos auf: www.netze-bw.de/unsernetz/netzinnovationen/digitalisierung/netzlive
Sind diesbezügliche Modernisierungsinvestitionen – unter Beachtung der Sicherheit der Netze vor unbefugten Eingriffen Dritter –, kurz- bzw. mittelfristig machbar? (Wo wird konkret in Digitalisierung von Betriebsmitteln investiert?)
Wir von Netze BW setzen durch Investitionen auf die Modernisierung unseres Stromnetzes und in die dazugehörige Infrastruktur. Hier ausgewählte Beispiele:
„Schaltanlage der Zukunft in Burladingen“: In der schwäbischen Kleinstadt Burladingen wird die neue gasisolierte Hochspannungsanlage besonders umweltfreundlich betrieben, da auf das Isoliergas Schwefelhexafluorid (SF6) verzichtet und stattdessen aufbereitete Luft (Clean Air) verwendet wird. Außerdem setzen wir auf 110-kV-Vakuum-Leistungsschalter. Weitere Infos auf: www.netze-bw.de/unternehmen/nachhaltigkeit/energiewende/umspannwerk-burladingen
Als einer der ersten Verteilnetzbetreiber Deutschlands haben wir zudem großflächig in die Digitalisierung unserer Ortsnetzstationen investiert. Dafür setzen wir auf den gemeinsam mit dem EnBW Start-up SMIGHT entwickelten Stromsensor „SMIGHT Grid“. Der neuartige Sensor misst die jeweilige Stromstärke an den einzelnen Abgängen – also den Kabeln, über die der Strom von der Ortsnetzstation zu den Haushalten transportiert wird - und überträgt diese verschlüsselt in Echtzeit über das Mobilfunknetz an SMIGHT. Dort werden die Daten auf einer IoT-Plattform gespeichert, ausgewertet und dem Netzbetreiber anschließend in einem Web-Portal zur Verfügung gestellt. Wir planen zum Ende des Jahres hin mit insgesamt 1000 ausgerüsteten Stationen, die ca. 8000 Sensoren enthalten und sind damit marktführend in Deutschland. Weitere Infos auf: www.netze-bw.de/News/Stromsensor-liefert-Echtzeitdaten-Netzauslastung
Seit Anfang 2022 verbauen wir außerdem ferngemeldete und ferngesteuerte Umspannstationen (FFU) in unserem Netzgebiet.
Wie können Staat und Verwaltung die Branche unterstützen?
Hier ist vor allem der Bund gefragt. Er muss dringend die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, damit die neuen intelligenten Stromzähler – Smart Meter – schnellstmöglich flächendeckend eingebaut werden können. Aktuell ist die Einbauverpflichtung für Messstellenbetreiber, wie Netze BW, zurückgenommen. Es gilt eine Übergangsregelung, die aber nur ein temporärer Zustand sein kann. Um wieder Geschwindigkeit beim Rollout zu erhalten, muss die Einbauverpflichtung wieder in Kraft gesetzt und nach dem Stufenmodell des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vorgenommen werden. Jede weitere Verzögerung gefährdet die ehrgeizigen Ziele der deutschen Energiewende. Diese besagen unter anderem, dass bis 2032 keine alten Stromzähler mehr in den Kellern hängen dürfen.
Ein weiterer darauf aufbauender Punkt ist: Damit die Verkehrs- und Wärmewende gelingen kann, braucht es die schnelle und versorgungssichere Netzintegration von flexiblen Verbrauchseinrichtungen, wie Ladeeinrichtungen und Wärmepumpen in die Verteilnetze. Ein wesentlicher Eckpfeiler, damit dies erfolgreich gelingt, ist die Ausgestaltung des sogenannten § 14a EnWG, die netzdienliche Steuerung von flexiblen Verbrauchern. Mit der letzten Novellierung des EnWG im Juli hat die Bundesnetzagentur die Festlegungskompetenz hierfür erhalten. Es ist nun an ihr hier zügig und zielorientiert eine Ausgestaltung vorzunehmen, die einerseits die schnelle Integration der neuen Verbraucher in die Verteilnetze ermöglicht und andererseits den sicheren Netzbetrieb stets gewährleistet. Hier stehen wir im Dialog und unterstützen mit unseren gemachten Erfahrungen aus diversen NETZlaboren und Studien. Denn bei den ambitionierten Zuwachsraten der Bundesregierung für Wärmepumpen und E-Mobilität wird es nicht möglich sein, die Integration dieser neuen Verbraucher in die Niederspannungsnetze innerhalb des kurzen Zeitraums allein mit Netzausbau stets sicher gewährleisten zu können.
Neben den zuvor erwähnten Punkten ist es auch erforderlich, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Anlagen zur Herstellung von Strom aus erneuerbaren Energien und Ausbau von Netzen beschleunigt werden.