Menue-Button
← FACHDEBATTE Interview

Über das Potential von Biokunststoffen

Effizientes Recycling ist unabdingbar für Nachhaltigkeit

Jasmin Boße, wissenschaftlich-technische Mitarbeiterin am Umweltbundesamt (UBA) Quelle: UBA Jasmin Boße wissenschaftlich-technische Mitarbeiterin Umweltbundesamt (UBA) 30.11.2023
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Rempe
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
ZUR FACHDEBATTE

"Um die Nachhaltigkeit alternativer Kunststoffe zu gewährleisten, muss der gesamte Lebenszyklus betrachtet werden", weiß Jasmin Boße, wissenschaftlich-technische Mitarbeiterin am Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau. Das reiche von der Auswahl der Rohstoffe bis hin zum fachgerechten Recycling nach Ablauf der möglichst langen Nutzungsdauer.







Wie kann man sicherstellen, dass alternative Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wirklich nachhaltig sind?
Um die Nachhaltigkeit alternativer Kunststoffe zu gewährleisten, muss der gesamte Lebenszyklus betrachtet werden. Dies umfasst die Rohstoffgewinnung, die Herstellung, die Nutzungsdauer und die Entsorgung. Falls biobasierte Kunststoffe eingesetzt werden, sollten die Rohstoffe hierfür aus Abfallstoffen oder Nebenprodukten der Land- oder Forstwirtschaft bzw. aus Verarbeitungsprozessen wie der Lebensmittelindustrie stammen. Wichtig ist, eine direkte Konkurrenz zu Nahrungsmitteln oder negative Umwelteffekte durch zusätzlichen Anbau zu vermeiden. Auch der Anbau selbst sollte nachhaltig sein. Düngemittel, Pestizideinsatz oder direkte und indirekte Landnutzungsänderungen haben einen stark negativen Einfluss auf die Ökobilanz biobasierter Kunststoffe. Schließlich müssen sie energieeffizient produziert und möglichst in bestehende Recyclingkreisläufe integriert werden. Denn je länger ein Material im Kreislauf gehalten wird, desto besser ist das für die ökologische Performance.

JETZT HERUNTERLADEN

DIE DOKUMENTATION DIESER FACHDEBATTE

DIE DOKUMENTATION ENTHÄLT

alle Debattenbeiträge ungekürzt im Original
Übersicht aller aktiven Debattenteilnehmer
Summary für Ihr Top-Management
MEHR ERFAHREN


Stehen wir in Sachen Biokunststoffe vor einer neuen Tank-oder-Teller-Diskussion?
Diese Diskussion ist bei biobasierten Kunststoffen wichtig, weil der Anbau von Rohstoffen für Kunststoffe direkt mit der Nahrungsmittelproduktion konkurrieren kann. Um dieses Problem zu vermeiden, ist es wichtig, nicht-konkurrierende Rohstoffe wie zum Beispiel landwirtschaftliche Reststoffe zu verwenden. Es ist jedoch auch in diesem Fall von großer Bedeutung zu prüfen, ob es keine Konkurrenz gibt, beispielsweise hinsichtlich deren Verwendung als Tierfutter.

Wie steht es bei Biokunststoffen um das Prinzip der Kaskadennutzung, das in ihrem Fall bedeuten würde, sie zunächst stofflich in langlebigen und reparierbaren Produkten einzusetzen, später zu recyceln und zuletzt energetisch zu verwerten?
Das Prinzip der Kaskadennutzung ist von zentraler Bedeutung für die Nachhaltigkeit von Produkten generell und auch solchen aus biobasierten Kunststoffen. Dieses Prinzip verlangt, dass Produkte möglichst lange im Kreislauf gehalten werden, bevor sie energetisch verwertet werden. Bei biobasierten Kunststoffen, welche die gleiche chemische Struktur wie ihre fossilbasierten Pendants haben (sog. Drop-In Kunststoffe, zum Beispiel Bio-Polyethylen (Bio-PE)) kann diese Kaskade gut funktionieren, denn sie verhalten sich genauso wie die jeweiligen konventionellen Kunststoffe und können auch gemeinsam mit diesen recycelt werden. Anders ist dies bei bioabbaubaren Kunststoffen (zum Beispiel Polylactide (PLA)). Diese haben eine andere chemische Struktur und andere Eigenschaften. Dadurch können sie das etablierte Kunststoffrecycling negativ beeinflussen. Spezifisch auf bioabbaubare Kunststoffe ausgerichtete Recyclingsysteme gibt es (bislang) nicht. Der biologische Abbau wiederum widerspricht dem Prinzip der Kaskadennutzung. Die ökologischen Vorteile einer wiederholten stofflichen Nutzung gehen durch die Kompostierung verloren. Da hierbei auch kein wertvoller Humus oder eine Düngerwirkung entsteht, ist die Kompostierung von abbaubaren Kunststoffen zudem nicht als Recycling zu betrachten, sondern als Beseitigung einzustufen. Nicht zuletzt erlaubt die Bioabfallverordnung auch nicht die Entsorgung von bioabbaubaren Kunststoffen über die Biotonne – mit Ausnahme von abbaubaren Abfallsammelbeuteln.

Muss in diesem Zusammenhang die Frage eines effizienten und umfassenden Recyclingsystems stärker in den Vordergrund rücken?
Effizientes Recycling ist für die Nachhaltigkeit von Kunststoffen, unabhängig von der Rohstoffquelle unabdingbar. Dies erfordert sowohl eine geeignete Sammel-, Sortier- und Recyclinginfrastruktur als auch ein darauf abgestimmtes Produktdesign. Die Kreislaufführung von Kunststoffen ist aus Sicht des Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutzes sinnvoller als der biologische Abbau, bei dem ein aufwändig hergestelltes Material zu Wasser und CO2 zerfällt und damit verlorengeht. Aus unserer Sicht sollten bioabbaubare Kunststoffe daher nur dort eingesetzt werden, wo die Bioabbaubarkeit einen notwendigen Zweck darstellt, zum Beispiel im medizinischen Bereich (u.a. selbstauflösendes / resorbierbares Nahtmaterial) oder dort, wo Einträge in die Umwelt unvermeidbar sind (z.B. Schutzseile an Fischernetzen, die beim Schleppen über den Meeresgrund Abrieb von Kunststoffpartikeln verursachen, sogenannte „Dolly-Ropes“) .

Abschließend ist zu sagen, dass Biokunststoffe durchaus das Potential haben, einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und zur Ressourcenschonung zu leisten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie aus Abfall- respektive Reststoffen gewonnen werden und recyclingfähig sind. Allerdings sind sie kein Allheilmittel und sollten als Teil eines breiteren nachhaltigen Systems betrachtet werden. Die Forschung und Entwicklung im Bereich der Biokunststoffe sollte weiter vorangetrieben werden, um ihre Umweltauswirkungen zu minimieren. Nur so können sie eine echte Alternative für einen Teilbereich der erdölbasierten Kunststoffe darstellen.

■■■ WEITERE BEITRÄGE DIESER FACHDEBATTE

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Janine Korduan
Referentin Kreislaufwirtschaft
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

Janine Korduan, Referentin für Kreislaufwirtschaft beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Kunststoff | Biokunststoff

Bio-Plastik weckt falsche Hoffnungen

Warum neuartige Kunststoffe nur eine ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Janine Korduan
Referentin Kreislaufwirtschaft
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Dr. Ron Brinitzer
Geschäftsführer
Kunststoffland NRW

Dr. Ron Brinitzer, Geschäftsführer von kunststoffland NRW
Kunststoff | Biokunststoff

Recyclingmengen müssen drastisch ■ ■ ■

Wie Kunststoffe zu mehr Nachhaltigkeit beitragen ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Dr. Ron Brinitzer
Geschäftsführer
Kunststoffland NRW

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Dr. Inna Bretz
Abteilungsleiterin
Fraunhofer UMSICHT

Dr. Inna Bretz, Abteilungsleiterin Zirkuläre und Biobasierte Kunststoffe, Fraunhofer Institut UMSICHT
Kunststoff | Biokunststoff

Nachhaltige Kunststoffwirtschaft kann ■ ■ ■

Warum Langlebigkeit eine bislang ungenutzte ■ ■ ■

EIN DEBATTENBEITRAG VON
Dr. Inna Bretz
Abteilungsleiterin
Fraunhofer UMSICHT

ZUR FACHDEBATTE

ÜBER UNSERE FACHDEBATTEN

Meinungsbarometer.info ist die Plattform für Fachdebatten in der digitalen Welt. Unsere Fachdebatten vernetzen Meinungen, Wissen & Köpfe und richten sich an Entscheider auf allen Fach- und Führungsebenen. Unsere Fachdebatten vereinen die hellsten Köpfe, die sich in herausragender Weise mit den drängendsten Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

überparteilich, branchenübergreifend, interdisziplinär

Unsere Fachdebatten fördern Wissensaustausch, Meinungsbildung sowie Entscheidungsfindung in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Gesellschaft. Sie stehen für neue Erkenntnisse aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit unseren Fachdebatten wollen wir den respektvollen Austausch von Argumenten auf Augenhöhe ermöglichen - faktenbasiert, in gegenseitiger Wertschätzung und ohne Ausklammerung kontroverser Meinungen.

kompetent, konstruktiv, reichweitenstark

Bei uns debattieren Spitzenpolitiker aus ganz Europa, Führungskräfte der Wirtschaft, namhafte Wissenschaftler, Top-Entscheider der Medienbranche, Vordenker aus allen gesellschaftlichen Bereichen sowie internationale und nationale Fachjournalisten. Wir haben bereits mehr als 600 Fachdebatten mit über 20 Millionen Teilnahmen online abgewickelt.

nachhaltig und budgetschonend

Mit unseren Fachdebatten setzen wir auf Nachhaltigkeit. Unsere Fachdebatten schonen nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch das eigene Budget. Sie helfen, aufwendige Veranstaltungen und überflüssige Geschäftsreisen zu reduzieren – und trotzdem die angestrebten Kommunikationsziele zu erreichen.

mehr als nur ein Tweet

Unsere Fachdebatten sind mehr als nur ein flüchtiger Tweet, ein oberflächlicher Post oder ein eifriger Klick auf den Gefällt-mir-Button. Im Zeitalter von X (ehemals Twitter), Facebook & Co. und der zunehmenden Verkürzung, Verkümmerung und Verrohung von Sprache wollen wir ein Zeichen setzen für die Entwicklung einer neuen Debattenkultur im Internet. Wir wollen das gesamte Potential von Sprache nutzen, verständlich und respektvoll miteinander zu kommunizieren.