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Zahl weiblicher Gamer wird steigen

Warum die Diagnose Spielsucht bei Jugendlichen aber schwierig ist

Christian Groß, Vorstandsmitglied im Fachverband Medienabhängigkeit Quelle: Fachverband Medienabhängigkeit Christian Groß Vorstand Fachverband Medienabhängigkeit 11.01.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Die alarmierenden Zahlen der DAK-Studie zur Computerspielsucht sind für Christian Groß, Vorstandsmitglied im Fachverband Medienabhängigkeit, ein Beleg, dass "junge Menschen frühzeitig mit einem möglichen Suchtmittel in Kontakt kommen." Dennoch rät er zur Vorsicht bei der Interpretation der Zahlen.







5,7 % der Deutschen zwischen 12 bis 25 Jahren sind süchtig nach Computerspielen. Wie bewerten Sie diese Zahl?
Aus psychotherapeutischer Sicht erscheint eine Diagnose Mediensucht/Computerspielsucht vor dem 18. Lebensjahr in den meisten Fällen nicht sinnvoll. Viele Kinder und Jugendliche spielen heute über Phasen ihrer Adoleszenz intensiv, reduzieren ihren Konsum in Folge des Erwachsenwerdens jedoch selbstständig wieder. Insofern sind die vorgelegten Zahlen kritisch zu betrachten. Ich würde hier eher von einem missbräuchlichen Nutzungsverhalten sprechen, dass sich im Erwachsenenalter zu einer Suchterkrankung manifestieren kann. Schaut man auf die Zahlen medienabhängiger Personen in der Gesamtbevölkerung, so sprechen wir von etwa 1% – 1,5%.

Dennoch geben die Zahlen einen Hinweis darauf, dass hier junge Menschen frühzeitig mit einem möglichen Suchtmittel in Kontakt kommen. Diese jungen Menschen sind aufgrund ihres Alters entwicklungspsychologisch noch nicht in der Lage, den eigenen Konsum angemessen und kritisch zu hinterfragen. Wenn Sie sich andere legale Suchtmittel wie beispielsweise Alkohol, Nikotin oder auch das pathologische Glücksspielen anschauen, so haben wir nicht ohne Grund Kontrollmechanismen, die den Konsum einschränken.

Computerspielen gilt heute als das normalste der Welt und kaum ein Kind oder Jugendlicher verzichtet darauf. Eltern wissen häufig viel zu wenig über die Gefahren der virtuellen Welt und insbesondere über die Suchtmechanismen diverser Games. Bis ein problematisches Nutzungsverhalten erkannt wird, vergehen oft Jahre, wodurch sich dieses bereits manifestiert hat. Nicht nur in Deutschland existiert demnach ein großer Nachholbedarf an familiärer Medienerziehung und Medienkompetenzbildung. Sind Kinder bereits in jungem Alter mit einem möglichen Suchtmittel konfrontiert, so liegt es in der gesellschaftlichen Verantwortung Risiken zu benennen, vor diesen aufzuklären und einen kompetenten Umgang mit den neuen Medien zu etablieren.

Mit 8,4 % sind Jungs und junge Männer beinahe doppelt so oft betroffen wie Mädchen und junge Frauen. Wie erklären Sie sich diesen großen Unterschied?
Computerspiele betreffend mag diese Zahl zutreffend sein, schauen Sie jedoch in andere Onlinebereiche wie beispielsweise social networks, so finden Sie einen pathologischen Nutzungsgebrauch mehrheitlich bei jungen Frauen. Computerspiele bieten Belohnungseffekte, die aktuell noch vorwiegend Männer ansprechen. Visualisierte Erfolge im Game, der persönliche Status in Teams oder auch der Bekanntheitsgrad des eigenen Charakters/Avatars schaffen eine virtuelle Challenge, in der sich männliche Personen miteinander messen können. Des Weiteren spielen die meisten Männer aus anderen Motiven als Frauen. Für Männer zählt im Game vorwiegend ein Leistungsgedanke - es geht darum möglichst der Beste zu sein. Bei Frauen wiederum finden sich die Motive des Spielens eher in den sozialen Bereichen oder dem Bedürfnis von Ablenkung und Unterhaltung. Ähnliche Unterschiede zeigen sich auch im Spielverhalten von pathologischen Glücksspielern/-innen. Die Gaming-Industrie ist sich dieser Unterschiede seit Jahren bewusst und forciert demnach nicht zufällig soziale Faktoren, Belohnungsmechanismen und Endlosspielsysteme. Der/die Spieler/-in sollen möglichst lange am Spielen gehalten, möglichst häufig belohnt und möglichst sozial eingebunden werden. In Zukunft können wir also durchaus einen weiteren Zuwachs an weiblichen Gamern erwarten.

In ersten Reaktionen fordern einzelne Experten schärfere Altersfreigaben für Computerspiele. Wie stehen Sie dazu? Haben Sie ggf. andere Vorschläge?
Schärfere Altersfreigaben können ein wichtiger Teil eines großen Mosaiks sein - isoliert werden sie jedoch wenig ändern. Vielmehr brauchen wir eine Erziehung zur Medienkompetenz, um sowohl die faszinierenden Möglichkeiten der neuen Medien zu nutzen und gleichzeitig die Gefahren zu berücksichtigen. Wir brauchen sinnvolle Präventionskonzepte, die Eltern aufklären und Kindern ermöglichen Medien angemessen zu nutzen. Wir brauchen mehr gut durchdachte Beratungs- und Behandlungskonzepte für Angehörige und Betroffene von Medienabhängigkeit und wir brauchen insgesamt mehr gesellschaftliches Interesse für das Thema. Hierzu gehört auch eine frühzeitige Aufklärung, die unserer Ansicht nach für die Eltern bereits in den Kindertageseinrichtungen beginnen sollte.
An dieser Stelle verweise ich auch auf das Positionspapier des Fachverbandes Medienabhängigkeit e.V., welches darauf im Detail eingeht.
http://www.fv-medienabhaengigkeit.de/fileadmin/images/Dateien/Position_spielimmanente_Faktoren_02-2015.pdf

Immer mehr immer jüngere Deutsche besitzen Smartphones. Welchen Einfluss auf die Computerspielsucht erwarten Sie dadurch?
Smartphones gehören heute zu unserer Realität. Wir sind quasi auf die „kleinen Helfer“ angewiesen und machen uns in gewisser Weise von Ihnen abhängig. Sie sind oft die schnellste Möglichkeit der Unterhaltung oder Ablenkung und stellen immer öfter den Erstkontakt mit den digitalen Medien dar. Auch Spiele gehören dabei in immer größerem Maße dazu. Ob jedoch eine Person sich zunehmend in ihr Smartphone bzw. Computerspiele vertieft und somit der Realität entflieht, hängt oft von vielen weiteren Faktoren ab. Hier spielen besonders bio-psycho-soziale Faktoren eine Rolle. So ist beispielsweise eine Person, die frühzeitig Ausgrenzung in sozialen Kontakten erlebt hat, wesentlich mehr gefährdet, die Kontrolle über ihr Mediennutzungsverhalten zu verlieren, als eine Person die sich in einem tragfähigen sozialen Netzwerk bewegt. Kurz gesagt: Smartphones bieten wie Computerspiele auch eine Möglichkeit der Realität zu entfliehen, sie sind jedoch nicht die Ursache der Flucht.

Was empfehlen Sie betroffenen Eltern?
Zunächst einmal Interesse für das eigene Kind und die virtuelle Welt zu entwickeln. Wir erleben es immer wieder, dass Eltern keine oder nur geringfügige Kenntnis von dem haben, was ihre Kinder online tun. Sie resignieren in der ständigen Auseinandersetzung um Spiel- und Nutzungszeiten. Dabei wird häufig außer Acht gelassen, wie wichtig beispielsweise die soziale Vernetzung, virtuelle Anerkennung oder auch der eigene soziale Status des Kindes im Netz geworden sind. Wird dies durch die Eltern in Form einer Beschränkung bedroht, reagiert das Kind folgerichtig mit Abwehr. Es kommt zu immer wiederkehrenden Konflikten, die das Kind weiter von den Eltern entfernen und in die virtuelle Welt entfliehen lassen. Dort fühlen sich die betroffenen Kinder in der Regel verstanden und unterstützt. Es ist daher notwendig, wieder eine verständnisvolle Beziehung zu seinem Kind aufzubauen. Nur so besteht die Möglichkeit, langfristig den Medienkonsum mit dem eigenen Kind kritisch zu reflektieren und nachhaltig im Sinne einer medienkompetenten Nutzung zu verändern. In Deutschland gibt es mittlerweile ein gutes Netzwerk an Beratungs- und Behandlungsstellen. Auf der Seite des Fachverbandes Medienabhängigkeit e.V. (www.fv-medienabhaengigkeit.de) können sich Eltern und Betroffene in der Rubrik „Hilfe finden“ informieren. Zudem sind in jüngerer Vergangenheit Publikationen von Fachverbandsmitgliedern erschienen, die sich an Familien, Berater, Therapeuten und Betroffene richten.

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