Das EU-Parlament hat die umstrittene Urheberrechts-Richtlinie vorerst abgelehnt - wie bewerten Sie das?
Dass das EU-Parlament die Urheberrechtsreform in dieser Form erst einmal aufgehalten hat, ist die einzig richtige Entscheidung gewesen und auch das, was wir als LOAD e.V. zusammen mit den digitalpolitischen Vereinen cnetz und D64, sowie dem CSUnet in einem Offenen Brief von den Parlamentariern gefordert haben. Dass das Urheberrecht eine Anpassung an die digitale Welt braucht und dass die Urheber(!) besser entlohnt werden sollen, steht außer Frage. Die Artikel 11 und 13, die die Einführung eines Leistungsschutzrechts sowie Uploadfilter, bzw. wie es so schön umschrieben wird, die "content recognition technologies" fordern, stehen jedoch in keinem Verhältnis zum gewünschten besseren Schutz und Entlohnung von Urhebern(!). Schlimmer noch, sie gefährden ein freies und offenes Netz und damit die Meinungs- und Informationsfreiheit aller Bürgerinnen und Bürger Europas.
Ein besonders umstrittener Punkt war das sogenannte Leistungsschutzrecht - wie sollte dieses aus Ihrer Sicht ausgestaltet sein?
Dass das Leistungsschutzrecht nicht den gewünschten Effekt erzielt, sondern sein Ziel völlig verfehlt, können wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien sehen. Auch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) dürfte dies wissen, verweigert aber auch nach fünf Jahren weiterhin eine abschließende Bewertung heraus zu geben - trotz mehrfacher Nachfrage von Abgeordneten. Ein "Leistungsschutzrecht für Presseverleger", wie es im Ganzen heißt, fördert in erster Linie weder die Urheber, noch unterstützt es Kreative in irgendeiner Weise. Es dient vornehmlich den Presseverlegern, also Lizenzinhabern. Dass Urheber durch das Leistungsschutzrecht in Deutschland oder in Spanien besser entlohnt werden konnten, konnte bisher nicht belegt werden, was zeigt, dass es den Befürwortern eben nicht um die Besserstellung der Kreativen geht, sondern um finanzielle Vorteile für Rechteinhaber. Eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie kommt auf ähnliche Ergebnisse.
Presseverleger stören sich daran, dass Suchmaschinen wie Google unter anderem in ihrer News-Suche bereits die Überschrift und kurze Textausschnitte der Artikel zeigen und dem Nutzer so bereits Informationen mitteilen, der so im Zweifelsfall die eigentliche News-Seite nicht mehr besucht und dem Anbieter daher Einnahmen aus Werbung etc. abhandenkommen. Leider ist die Problematik, die sich hier durch die notwendige Lizenzierung der Presseangebote ergibt, zu komplex um sie hier kurz zu erläutern. Hinweisen möchte ich aber vor allem darauf, dass es für große Verlage, die in Sprachen publizieren, die in Europa viel gesprochen werden, deutlich einfacher sein wird, Lizenzen an Google, Facebook und Co. zu verkaufen, als es das für Nischenanbieter in wenig gesprochenen europäischen Sprachen gehen wird. Dass diese Richtlinie aber für alle(!) Europäerinnen und Europäer gelten wird, wird in der Debatte zu häufig vergessen.
Außerdem wird zu wenig auf gängige Alternativen geschaut, die bereits jetzt erfolgreich angewendet werden: Ein Lösungsvorschlag für die Presseverleger, die nicht möchten, dass Google (und andere) ihre Artikel indexieren, ist z.B. eine rechtsverbindliche robot.txt-Datei, wie sie der Vorsitzende des Bundestagsausschusses Digitale Agenda, Jimmy Schulz MdB, vorschlägt. In einer robot.txt-Datei kann schon heute jeder Webseiten-Anbieter Regeln für die Nutzung seines Inhaltes definieren und so Crawlern den Weg weisen, was eine Suchmaschine indexieren darf und was nicht. Bisher ist es eher ein Gentleman`s Agreement, dass sich Suchmaschinen an die Vorgaben einer robots.txt-Datei halten. In Zeiten in denen sowieso immer mehr Code zum Gesetz wird, sollte es hier die Möglichkeit einer rechtlichen Einforderung geben, damit Presseverleger bestimmen können, über welche Kanäle Nutzer auf ihre Inhalte stoßen können und über welche nicht.
Daneben gab es viel Kritik für die Upload-Filter, mit denen Plattform-Betreiber das Hochladen urheberrechtlich geschützter Inhalte verhindern sollen. Welche Regelung wäre dafür die richtige?
Die in der Richtlinie geforderten "content recognition technologies" können in letzter Konsequenz nur Uploadfilter sein, auch wenn diese im Text nicht direkt erwähnt werden. Eine andere "Technologie" zur Überprüfung von Inhalten als die Erkennung über Algorithmen und damit eine künstliche Intelligenz gibt es bis dato nicht.
Uploadfilter stellen eine Zensur dar, da sie zu Overblocking führen und somit massiv die Meinungs- und Informationsfreiheit einschränken. Dass die technischen Möglichkeiten dafür bereits vorhanden seien, wie es die Richtlinie behauptet wird, kann so nicht stehen gelassen werden. Jüngst musste selbst Facebook feststellen, dass fälschlicherweise diverse Werbeanzeigen nicht genehmigt wurden, weil die Algorithmen nicht in der Lage waren, politische Werbung korrekt als solche zu identifizieren, was auch an der mangelnden Fähigkeit liegt, Begriffe und zugehörige Bilder richtig zu erkennen und vor allem zu kontextualisieren. Auch von Google wissen wir, dass Bilder nicht richtig erkannt werden können. Bekannt ist zum Beispiel der Fall, dass eine abgebildete schwarze Frau vom Algorithmus fälschlicherweise als Affe identifiziert wurde. Wenn bereits zwei der größten und fortschrittlichsten Unternehmen nicht in der Lage sind, eine Technologie für die Bilderkennung bereitzustellen, die einwandfrei funktioniert, wie sollen dies kleinere Plattformen schaffen, bzw. neue Plattformen, die sich nicht in der (völlig unsystematischen) Ausnahmeliste der Richtlinie befinden? Abgesehen von der schieren Unmöglichkeit, Lizenzen für alle(!) urheberrechtlich geschützten Werke zu erwerben um die hochgeladenen Inhalte von Usern zu überprüfen und ggf. freizugeben oder eben den Upload zu verhindern.
Statt Uploadfiltern sollten wir über ein Fair-Use-Prinzip nach US-amerikanischem Vorbild diskutieren, Creative Commons fördern und über alternative Lizenzmodelle nachdenken, die an die Komplexitäten und Bedürfnisse einer digitalen Welt angepasst sind. Auch ein Recht auf Remix sollte dringend diskutiert werden. Rechteinhaber sollten zudem überlegen, wie sie Nutzen aus Remixen ziehen können. Fans, die ihre Leidenschaft mit Fanfiktion, GIFs und Memes ausdrücken und verbreiten können, tragen zu einer weitaus größeren Verbindung und Identifikation mit dem ursprünglichen Werk bei und treten so eher als Botschafter für dieses ein, sodass noch mehr Menschen begeistert werden können - man denke an die zahlreichen Influencer in den sozialen Medien. Weil jemand einen Filmausschnitt als drei-sekündiges GIF bereits sah, wird er oder sie aufgrund dessen eher nicht beschließen, bereits genügend gesehen zu haben und daher den gesamten Film nicht im Kino zu sehen.
Uploadfilter sind nicht vereinbar mit bisherigem EU-Recht, sie widersprechen der Europäischen Grundrechte Charta und stellen eine Zensurinfrastruktur dar, die es zwingend erforderlich macht, dass wir in liberalen Demokratien leben. Bei einem Blick nach Osteuropa, aber auch nach Südeuropa müssen hier erhebliche Bedenken kommen. Die Einschränkung der Pressefreiheit unter Victor Orbán und der Austausch der Journalisten beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk in Polen durch die PiS sollte uns alarmieren.
Im September will sich das EU-Parlament erneut mit der Urheberrechts-Richtlinie befassen. Welche Regeln sollten unbedingt europäisches Recht werden?
Wie bereits dargelegt, braucht es ein Urheberrecht, das die Anliegen von Nutzern und Anbietern in Einklang bringt und vor allem die Urheber(!) stärkt und nicht in erster Linie die Rechteinhaber. Dafür sind weder das Leistungsschutzrecht noch Uploadfilter geeignet, weswegen sie dringend aus der Richtlinie gestrichen werden müssen. Ein rechtlicher Anspruch auf Vorgaben in einer robot.txt-Datei wäre ein sinnvoller Vorschlag, um selbstbestimmt steuern zu können, welche Inhalte wo angezeigt werden dürfen.
Bei einem Fair-Use-Prinzip nach US-amerikanischem Vorbild, einem Recht auf Remix oder ganz neuen Lizenzierungsmodellen sollte aber in jedem Fall darauf geachtet werden, dass die Vorgaben in Europa einheitlich sind. In der jetzigen Fassung haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Ausnahmen beim Zitatrecht nach ihren eigenen Vorstellungen, d.h. vermutlich auf Basis der bisherigen Regelungen zu treffen. Hier gibt es - wie zu erwarten - erhebliche Unterschiede. Frankreich kennt beispielsweise kein Bild-Zitatrecht. Einem einheitlichen digitalen Binnenmarkt kämen wir so nicht näher, dies sollte aber unser dringliches Ziel sein.
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