In einem ersten Entwurf für eine Digitalstrategie der Bundesregierung heißt es nach Medienberichten, Deutschland stehe bei der Digitalisierung seit Jahren nur im Mittelfeld. Wie gefährdet sehen Sie die Zukunft des Landes?
Deutschland ist im internationalen Vergleich gerade auf dem besten Weg, in der digitalen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Mit der nationalen Digitalstrategie besteht nun möglicherweise die Chance, neue Impulse zu setzen und ein stimmiges und ambitioniertes Leitbild zu entwerfen. Der aktuelle Entwurf verliert sich jedoch im Klein-Klein von Einzelmaßnahmen einerseits und Wunschvorstellungen ohne konkrete nächste Schritte auf der anderen Seite. Alles in allem eher ein zaghaftes "Weiter-so" - und das reicht leider nicht.
Um wirklich Veränderungen zu erzielen, müssen zuallererst alle am Prozess Beteiligten ihre Perspektive kritisch hinterfragen und sich bemühen ganzheitlicher zu denken. Zwei Beispiele: Der im Entwurf beschriebene Abschnitt zur Smart City beschäftigt sich im feinsten Silodenken ausschließlich mit Bauplanung und Infrastrukturmanagement. Enorm wichtige Bereiche wie digitale Unterstützung bei Einbeziehung und Weiterentwicklung des existierenden Bestands, urbane Mobilität, soziales Miteinander, mobiles Arbeiten, lokale Wirtschaftskreisläufe, Sicherheit oder auch Resilienzstärkung spielen im Kapitel keine Rolle. Oder auch die fehlende Einbindung der Zivilgesellschaft. Zwar wird sie in der Beschreibung der Ausgangslage als wichtiger Akteur aufgezählt, auf den folgenden Seiten aber weitestgehend ignoriert und ihre Wirkmacht drastisch unterschätzt. Damit wird auch eine große Chance vergeben.
Genau hier liegt die zentrale Herausforderung: Wenn es die Bundesregierung nicht schafft, die digitale Transformation so zu gestalten, dass es spannender und aussichtsreicher ist, sich als Bürger:in zu öffnen und zu beteiligen als stattdessen Augen zu verschließen und Arme zu verschränken, landet das Papier genau wie all seine Vorgänger auf dem Stapel der Ablage P.
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Ende 2025 soll die Hälfte aller Haushalte mit Glasfaser und dem neuesten Mobilfunkstandard versorgt sein. Wie bewerten Sie dieses Ziel?
Der Ausbau der Infrastruktur ist wichtig, keine Frage. Aber der primäre Fokus auf Gigabit und 5G lenkt doch nur von den eigentlichen Herausforderungen ab: Nach wie vor riesengroße Funklöcher in weiten Teilen des ländlichen Raums, noch immer kein flächendeckendes WLAN in öffentlichen Verkehrsmitteln, vom fehlenden Wettbewerb der Telekommunikationsanbieter ganz zu schweigen. Hinzu kommen Probleme wie eine lückenhafte Datenlage zum aktuellen Stand des Ausbaus und ein überkomplexes Fördersystem.
Für die digitale Verwaltung soll es eine sichere digitale Identität geben. Welche Herausforderung sehen Sie diesbezüglich?
Ganz klar die Bereitschaft der Bevölkerung, da auch mitzumachen. Für das BMI und angeschlossene Planungsstellen klingt das Konzept nach dem Ziel ihrer Träume, aber für die Bürger:innen ist es potenziell auch nur eine ID mehr. Hier wird ganz eklatant die fehlende Einbindung der Zivilgesellschaft deutlich: Als Verwaltungsvorgang in Hinterzimmern ohne breite Einbeziehung der Öffentlichkeit geplant, fehlt zum gegenwärtigen Zeitpunkt jede Aussagefähigkeit zu Akzeptanz und Nutzer:innenfreundlichkeit der beabsichtigen Leistung. Es droht das gleiche Schicksal wie beim elektronischen Personalausweis und der digitalen Gesundheitsakte. Das viel angepriesene Once-Only-Prinzip ist bereits jetzt primär als Gelegenheit für Behörden enttarnt, sich ohne großen Verwaltungsaufwand umfassend Zugriff auf personenbezogene Daten zu verschaffen. Eine echte digitale souveräne Identität würde die Entscheidungsmacht über die eigenen Daten konsequenterweise ganz in die Hände der Bürger:innen legen.
Was sollte unbedingt noch in der endgültigen Digitalstrategie stehen - und was keinesfalls?
Grundsätzlich muss sich dort erstmal das Verständnis entwickeln, dass die Digitalisierung nichts ist, was wieder weg geht. Die digitale Transformation bedarf weniger marketing-optimierter Einzelmaßnahmen in bestimmten Bereichen des Staates als vielmehr ein Gesamtperspektive, wie wir die Gesellschaft von morgen digital gestalten wollen.
Dazu braucht es klare Leitlinien, die jedes Kind im Schlaf kann:
1. Dezentralisierung. Statt immer alles selber zu machen, müssen Strukturen und Rahmenbedingungen entwickelt werden, die zivilgesellschaftliche Akteure befähigen, selbst aktiv zu werden.
2. Dematerialisierung. Der Digitalcheck ist eine gute Sache, aber pdfs statt Papierformulare ausfüllen reicht nicht. Der ganze Prozess und seine Notwendigkeit müssen in Frage gestellt werden.
3. Rebound-Begrenzung. Bisher fehlt es völlig an einem Prozess der Vorhersagbarkeit, ob eine digitale Weiterentwicklung zu einer nachhaltigen Optimierung führt oder zum Gegenteil beiträgt.
4. Resilienz: Mechanismen implementieren, die konstante Erneuerung erfordern. Denn die Umgebung ändert sich ständig, während Regelungen und Gesetze statisch zunehmend einschränkender werden.
Außerdem müssen die Bürger:innen mitgenommen werden. Das kann beispielsweise durch Teilhabe an Prozessen über digitale Beiteiligungsformate gelingen. Aber auch das Einholen von regelmäßigem Feedback in der Bevölkerung und die Förderung von agilen Projekten mit offenem Ausgang sind hier hilfreich. Außerdem brauchen wir Fachkräfte für die digitalen Herausforderungen. Aber das Papier fokussiert sich im klassischen 1-Karriere-Denken ausschließlich auf Berufseinsteiger. Das ist zu wenig. Der Fokus müsste hier mehr auf Initiativen zum lebenslangen Lernen, Möglichkeiten zum Berufswechsel und Quereinstieg liegen. Dafür muss auch der Angst vor dem Wechsel genommen werden und digitale Macher:innen bestärkt werden - das gilt zum Beispiel auch in der Schule, wo es meist die engagierten Lehrer:innen sind, die das Thema persönlich angehen.
Und zum Schluss: Es braucht mehr Mut. Wie wäre es denn mit der klaren Kommunikation: Wir machen bis 2025 das Faxgerät in Behörden überflüssig.