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Verbraucherschützer fordern pauschalisierten Schadenersatz im Kartellgesetz

Welchen Rahmen die Internetriesen am Markt brauchen

Dr. Miika Blinn, Team Digitales und Medien Geschäftsbereich Verbraucherpolitik, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Quelle: Gert Baumbach Dr. Miika Blinn Referent Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. 08.02.2018
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Aus Verbrauchersicht hat Dr. Miika Blinn vom Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. jede Menge Anregungen für ein modernes Kartellrecht, das den Herausforderungen der digitalen Welt gerecht wird. Er sieht aber auch, dass die Politik - zumindest in Deutschland - sich bewegt.







Die Politik strebt angesichts der Marktmacht einzelner Internetkonzerne eine Modernisierung des Kartellrechts in Bezug auf die Digitalisierung und Globalisierung der Wirtschaftswelt an. Was wären Ihre wichtigsten Forderungen für eine solche Modernisierung?
Verbraucher können sich erst rechtlich effektiv gegen Kartellverstöße wehren, wenn es die Möglichkeit zur Bündelung ihrer Ansprüche gibt – beispielsweise durch eine Musterfeststellungsklage. Dann müsste nicht mehr jeder Verbraucher einzeln seinen Schaden einklagen, das machen die Wenigsten. Zentrale Rechtsfragen könnten in einem einzigen Verfahren gebündelt werden. Betroffene Verbraucher könnten sich dieser einen Musterklage anschließen.

Außerdem sollten im Kartellrecht Beweiserleichterungen und gesetzliche Vermutungen zur Schadenshöhe verankert werden. Denn wenn jeder Verbraucher konkret nachweisen muss, welcher Schaden ihm durch ein Kartell entstanden ist, ist es sehr schwierig, Geld zurückzuerhalten. Der vzbv fordert deshalb einen pauschalisierten Schadenersatz im Kartellgesetz.

Einige Experten fordern eine eigene Regulierungsbehörde für das Internet, weil die klassischen Institutionen inhaltlich, rechtlich und personell nicht für die schnelle digitale Welt geschaffen seien. Wie sehen Sie das?
Die digitale Welt wird ja bereits von spezialisierten Institutionen reguliert und hier bewegt sich auch etwas: Seit letztem Jahr kann das Bundeskartellamt seine Ermittlungsbefugnisse gezielter zugunsten des Verbraucherschutzes einsetzen. Das Amt hat bereits zwei Sektoruntersuchungen initiiert. In den Märkten für Smart-TVs und Vergleichsportalen wird gezielt nach Verbraucherschutzverstößen gefahndet. Dabei hat das Amt ganz andere Möglichkeiten, um versteckte Rechtsverstöße aufzudecken als die Verbraucherzentralen, weil es eher hinter den Kulissen der Anbieter blicken kann. Das ist eine sinnvolle Ergänzung der zivilrechtlichen Rechtsdurchsetzung der Verbraucherzentralen.

Soziale Netzwerke leben vom Austausch einer möglichst breiten Nutzerschaft. Wie könnten sich solche Angebote kartellrechtlich regulieren lassen, ohne ihren Sinn zu verlieren?
Die marktmächtige Stellung einer Plattform ist an sich nicht verwerflich, ihr Missbrauch aber schon. Beispielsweise, wenn Nutzern zu hohe Preise abgenötigt werden oder sie unfairen AGBs zustimmen müssen, weil es keine sinnvolle Alternative gibt, auf die sie ausweichen können. Solche unfairen Praktiken kann man untersagen, ohne dass die Nutzer beeinträchtigt werden. Im Gegenteil.

Außerdem ist es wichtig, dass diese Plattformen angreifbar bleiben, indem Nutzer leicht die Plattform wechseln können. In der Realität sind Verbraucher aber oft bei einem Anbieter gefangen: Wenn sie wechseln, verlieren sie Ihre Daten, Kontakte und Bewertungen. Deshalb sollte die in der EU-Datenschutzgrundverordnung vorgesehene Datenportabilität effektiv angewandt werden: Nutzer müssen ihre Daten einfach auf eine andere Plattform übertragen können. Dann könnten Start-ups leichter Nutzer gewinnen, und die Etablierten unter Druck setzen.

Die Internetriesen wachsen auch, weil sie Start-ups kaufen, bevor diese zu echten Konkurrenten heranwachsen – wie lässt sich das kartellrechtlich steuern?
Facebook hat 2014 WhatsApp für 19 Milliarden Dollar gekauft, um auf seine Nutzer und Daten Zugriff zu bekommen. Da kam der Verdacht auf, dass ein möglicher Konkurrent weggekauft wurde. Weil WhatsApp keinen nennenswerten Umsatz hatte, konnte das Bundeskartellamt nicht eingreifen, selbst wenn es gewollt hätte.

Mittlerweile hat in Deutschland die Politik reagiert: Jetzt ist es dem Bundeskartellamt erlaubt eine Fusion zu prüfen, wenn der Kaufpreis eine gewisse Höhe überschreitet. Das ist prinzipiell gut, weil der Preis den Wert der Daten, der Nutzer und die wirtschaftliche Bedeutung des gekauften Unternehmens abbildet. Dann kann die Behörde prüfen, ob nicht einfach ein Konkurrent aus dem Markt gekauft wird. In der EU fehlt eine solche Kaufpreisschwelle noch. Die bräuchten wir aber, damit auch die Kommission solche Fusionen leichter prüfen kann.

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