Die EU-Digitalsteuer ist gescheitert. Wie bewerten Sie das?
Das Scheitern dieser Sondersteuer gibt zunächst erst einmal Anlass zur Hoffnung, dass es Wirtschaftspopulisten auf europäischer Ebene auch in Zukunft schwer haben, sich mit ihren Ideen durchzusetzen. Die Steuer für die Digitalwirtschaft hätte vor allem Kleine und Mittelständische Unternehmen (KMU) in Deutschland indirekt getroffen. Das Ende der Digitalsteuer-Initiative ist aber vor allem auch ein Gewinn für all diejenigen, die an einer evidenzbasierten europäischen Wirtschaftspolitik interessiert sind. Die Frage, ob Unternehmen – digital oder weniger digital – einen „gerechten Anteil“ an Steuern zahlen, ist natürlich berechtigt. Aber: Die Zahlen, die von der Steuerabteilung der EU-Kommission offensiv verbreitet wurden, sind höchst irreführend – und sie sollten in die Irre führen. Die EU-Kommission meint, digitale Unternehmen würden in der EU nur etwa 9% Steuern auf ihre Unternehmensgewinne zahlen. Die Zahlen basieren allerdings auf einem rein theoretischen Modell. Mit anderen Worten: Die Zahlen beziehen sich auf hypothetische Unternehmen. Die tatsächliche Steuerlast von realen Unternehmen wurde dabei absichtlich ausgeklammert und der Öffentlichkeit gegenüber bewusst verschwiegen. Die Autoren der Studie (ZEW-Mannheim und PWC), auf die sich die EU-Kommission bezieht, haben sich deshalb deutlich von der EU-Kommission distanziert. Sie haben mehrfach öffentlich klargestellt, dass digitale Unternehmen nicht unterbesteuert sind.
Tatsächlich ist häufig das Gegenteil der Fall: Viele große und traditionelle Unternehmen mit Hauptsitz in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien weisen sehr niedrige effektive Gewinnsteuersätze auf. Häufig sind die effektiven Steuerquoten weitaus niedriger als diejenigen der sog. Digitalriesen Google, Facebook und Amazon. Viele Digitalriesen weisen sogar deutliche höhere Steuerquoten auf als traditionelle Unternehmen wie beispielsweise Volkswagen oder die Deutsche Telekom – die sich im Übrigen zum Teil noch im deutschen Staatsbesitz befinden. Die Effektivsteuerquoten großer, internationaler Unternehmen machen aber vor allem eines deutlich: Es gibt keinen systematischen Unterschied in der Gesamtsteuerbelastung digitaler und traditioneller bzw. weniger digitaler Unternehmen.
Einzelne Länder, wie etwa Frankreich und Österreich, wollen nun nationale Digitalsteuern einführen. Was helfen nationale Alleingänge in Zeiten einer globalen Digitalwirtschaft?
Der Fokus der Debatte sollte zunächst erst einmal nicht auf der sog. „globalen Digitalwirtschaft“ oder selektiv auf bestimmten Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon liegen. Schließlich setzen auch immer mehr traditionelle Unternehmen, denken Sie an die deutschen Automobilhersteller, auf digitale Technologien und damit einhergehende neue globale Geschäftsmodelle. Weitgehend unberücksichtigt blieb in der Debatte bislang auch die Besteuerung traditioneller europäischer Unternehmen, die häufig sehr hohe Gewinne durch Exporte ins außereuropäische Ausland erwirtschaften, diese Gewinne aber fast ausschließlich in Europa, oder auch nur in einzelnen Mitgliedstaaten wie Deutschland, versteuern. Dies ist gerade auch bei mittelständischen Firmen der Fall, denn diese besitzen in der Regel keine steuerbaren Niederlassungen im Ausland. Nationale Sondersteuern würden deshalb nicht zu einem gerechteren globalen Steuersystem beitragen, denn dafür müssten die Rechte für die Besteuerung von Unternehmensgewinnen per se neu ausgehandelt werden.
Darüber hinaus verschweigen die Befürworter von Sondersteuern für die Digitalwirtschaft, dass die Steuerlast im Wesentlichen von den Nutzern digitaler Dienstleistungen getragen wird, also insbesondere auch von kleinen Unternehmen wie Gaststätten, Tourismusbetrieben, Einzelhändlern und Handwerkern, die ihre Leistungen im Internet vermarkten oder zumindest online bewerben. Diesen Unternehmen würde der Zugang zu potenziellen Kunden erschwert. Ihre Margen würden sinken. Gleichzeitig würden ausländische Unternehmen, die in ihrem Herkunftsland nicht die Last von Sondersteuern tragen müssten, ohne eigenes Zutun einen Wettbewerbsvorteil in dem Land erhalten, in dem die Steuer auf inländische Dienste erhoben wird. Ob dies alles im Interesse von Franzosen und Österreichern ist, halte ich für fragwürdig.
Eine große Lösung soll nun im Rahmen der OECD angegangen werden. Sehen Sie in absehbarer Zeit Chancen für eine Einigung auf dieser Ebene?
Nein. Eine Einigung auf OECD-Ebene halte ich für unwahrscheinlich. Die Vorschläge, die gegenwärtig diskutiert werden, wären zum Teil mit erheblichen Folgewirkungen sowohl für Unternehmen als auch für die Staatshaushalte der beteiligten Länder verbunden. Vereinfacht ausgedrückt drehen sich die Diskussionen um eine Neuverteilung von Besteuerungsrechten bzw. die Umverteilung des bestehenden Steueraufkommens. Bevölkerungsreiche Länder wie Indien und China drängen zum Beispiel auf eine Besteuerung, die stärker nutzer- oder konsumentenbasiert ist. Die heutigen Exportüberschussländer verteidigen weitgehend das gegenwärtige System der Gewinnbesteuerung am Ort der Wertschöpfung. Es werden aber auch Mischformen diskutiert, die allerdings aufgrund des extremen Informations- und internationalen Koordinierungsbedarfs in der Praxis nur sehr schwer umzusetzen wären. Diejenigen, die schon heute von der enormen Komplexität des internationalen Unternehmenssteuerrechts profitieren, also Steuerberater und Rechtsanwälte, wären wohl die größten Gewinner. Für die Unternehmen würde die Einhaltung noch komplexerer Regeln wahrscheinlich wesentlich kostspieliger werden, was sich negativ auf den internationalen Handel und internationale Investitionen auswirken würde.
Wie könnte sich auf anderem Wege mehr Steuergerechtigkeit für die Digitalriesen herstellen lassen?
Eine verantwortungsvolle, zukunftsfeste Steuerpolitik sollte sowohl auf deutscher als auch europäischer und globaler Ebene der Tatsache Rechnung tragen, dass selbst Steuerexperten große Schwierigkeiten haben, die hohe Komplexität des internationalen Unternehmenssteuersystems zu durchdringen. Die Komplexitätsspirale, die in der Vergangenheit im Wesentlichen von Fachministerien und Fachberatern aus der Privatwirtschaft – Steuerberater und Steuerfachanwälte – getrieben wurde, sollte aufgebrochen werden. Die Tatsache, dass die meisten gewählten Politiker die Undurchsichtigkeit des nationalen und internationalen Unternehmenssteuerrechts nicht einmal im Ansatz verstehen, sollte Grund genug sein für die Politik, endlich substantielle Reformen in Angriff zu nehmen. Ziel einer von Pragmatismus geleiteten Reform sollte es sein, das Unternehmenssteuerecht fundamental zu vereinfachen und global zu harmonisieren, wobei die Steuersätze in nationaler Kompetenz verbleiben sollten, um Steuerwettbewerb in Zukunft auch weiterhin zu ermöglichen.
Eine von Vernunft geleitete Reform sollte auf die Abschaffung von Unternehmenssteuern abzielen. Schließlich wird die effektive Last von Unternehmenssteuern größtenteils von Arbeitnehmern (durch niedrigere Löhne und Gehälter) und Verbrauchern (durch höhere Preise) getragen. Alternativ könnten Kapitaleinkommen, Arbeitseinkommen und Konsumausgaben – allesamt transparenter und in der Besteuerung fokussierter als Unternehmenssteuern – stärker oder weniger stark direkt besteuert werden. Würden wir heute vor der Frage stehen, ob überhaupt Steuern auf Unternehmensgewinne erhoben werden sollten, würde ein derartiges System kaum Aussichten auf Erfolg haben, genauso wenig wie Sondersteuern auf die Umsätze oder Gewinne von Unternehmen der Digitalwirtschaft.