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Twitter-Verbot im Bundestag wäre falsches Roll-back

Warum Transparenz kein Wert an sich ist

Martin Fuchs, Politikberater Quelle: Martin Fuchs Martin Fuchs Politikberater 10.01.2018
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Die mit dem Internet und insbesondere Smartphone einhergehende Beschleunigung führt dazu, dass weniger nachgedacht und mehr unreflektiert kommentiert wird", sagt Politikberater Martin Fuchs. Dies führt in seinen Augen zu einem Qualitätsverlust in der politischen Debatte und auch in der Politikgestaltung. Martin Fuchs berät Regierungen, Parlamente, Parteien und Verwaltungen in digitaler Kommunikation. Er ist zudem Lehrbeauftragter für Public Affairs an der Universität Passau und Dozent für Social Media und Politik an weiteren Hochschulen. Zudem ist er Gründer der Social-Media-Analyse-Plattform Pluragraph.de und Kolumnist. Er bloggt unter www.hamburger-wahlbeobachter.de.







Jeder Spruch, jede Verfehlung wird im Internet für große Zeiträume gespeichert. Wie verändern sich dadurch die Anforderungen an Politiker?
Auch schon in der Vor-Internet-Ära gab es umfangreiche Pressearchive in den Politikerpositionen und Aussagen archiviert wurden und zu gegebenen Zeitpunkt z. B. bei aktuellen Wiedersprüchen oder innerparteilichen Positionskämpfen öffentlich gemacht wurden. Durch die Digitalisierung wird es jedem Bürger nun erleichtert, Positionen und Aussagen aus der Vergangenheit schneller und einfacher zu finden und Politiker damit zu konfrontieren, keine Frage. Dadurch werden mehr Verfehlungen öffentlich. Die Arbeit von PolitikerInnen ändert dies m. E. aber wenig, denn gerade die digitale Kommunikation lebt von der reaktionsschnellen und emotionalen Kommunikation. Diese kann schnell mal über das Ziel hinausschießen. Aber das "Netz" hat auch mehr Toleranz gegen diese "Verfehlungen", die Halbwertszeit der möglichen Skandalisierung hat sich dadurch auch verkürzt. In den allerwenigsten Fällen werden Debatten über Verfehlungen in späteren Jahren nochmal skandalisiert, da schlicht und einfach zu viele aktuelle und neue Skandale den Diskursraum bestimmen. Alte Geschichten geraten da schneller in Vergessenheit.

Twittern zu jedem Anlass – Politiker müssen immer schneller auf Ereignisse reagieren. Wie wirken sich Geschwindigkeit und Verkürzung auf die Politik aus?
Digital kompetente Politiker twittern eben nicht zu jedem beliebigen Ereignis. Sondern nur zu Themen, die sie auch betreffen. Aber die mit dem Internet und insbesondere Smartphone einhergehende Beschleunigung führt dazu, dass weniger nachgedacht und mehr unreflektiert kommentiert wird. Dies führt in meinen Augen klar zu einem Qualitätsverlust in der politischen Debatte und auch in der Politikgestaltung (Gesetze). Eine große Mitschuld tragen hierbei die Medien, die genau diese Logik des immer schneller werdenden und nach immer neuen Geschichten lechzenden Journalismus am Laufen halten. Ich beobachte in der politischen Sphäre aber ein Umdenken, Politiker versuchen sich bewusst zu entschleunigen und nicht jede Möglichkeit der schnellen Kommentierung wahrzunehmen, um sich wieder Freiräume zum (nach)denken zu erkämpfen.

Oft werden (soziale) Medien auch direkt aus Sitzungen, Verhandlungen oder Konferenzen bedient. Was bedeutet das für die Arbeit von Politikern?
Politik wird immer transparenter. Transparenz an sich ist aber kein Wert an sich. Aber in vielen Bereichen hat es meiner Ansicht nach das Verständnis für Politik verbessert, in jedem Fall bei der kleinen Gruppe der Bürger, die diese Transparenzangebote auch nutzt. Aber Politik braucht Rückzugsräume für Verhandlungen, Reflexion und nicht inszenierte Debatten. Diese Räume wird es weitergeben und sie werden immer wichtiger. Zudem muss man bedenken, dass die Informationen die transparent gemacht werden, immer einem Ziel folgen, in den meisten Fällen geht es darum, Einfluss auf die parallel stattfindende (nicht)-öffentliche Debatte zu nehmen und seine Position damit zu stärken. Dieses Spiel gab es aber auch schon vor dem Internet, wenn Informationen via Telefon oder Zettelwirtschaft an Journalisten durchgestochen wurden. Die parallele Kommentierung von Debatten durch den Second Screen finde ich aber sehr gut, so wird der Diskursraum vergrößert für Personen, die nicht aktiv in der Debatte eingebunden sind und/oder nicht vor Ort sind. Ich finde auch das sich die Wahrnehmung der Plenardebatten durch die parallele Kommentierung durch Abgeordnete auf Twitter stark vergrößert hat und dies eine positive Ergänzung darstellt. Deshalb ist ein diskutiertes Twitter-Verbot im Bundestag eine falsches Roll-back. Für die tägliche Arbeit von Politikern stellt dieser zusätzliche Diskursraum eine erhöhte Belastung dar, nicht jeder Politiker will das und deshalb nutzt auch nicht jeder Politiker diese Möglichkeiten. Bisher hat der Verzicht noch keine Konsequenzen für Karriere und Aufstiegsmöglichkeiten im politischen Raum.

In sozialen Medien können Politiker mit Wählern in Kontakt treten, direkte Zustimmung oder Ablehnung erleben. Ist das ein Vorteil für die Arbeit von Politiker oder nur zusätzliche Belastung?
Jeder Politiker geht anders mit Feedback um. Aber grundlegend freut sich jeder über positive Zustimmung, die wiederum motivierend wirken kann. Insbesondere wenn Minderheitenpositionen vertreten werden. Mit negativem Feedback, das zudem auch noch öffentlich geäußert wird haben viele Politiker Probleme. Hier beobachte ich schon eine gewisse Schere im Kopf, das bestimmte Themen nicht mehr oder nicht mehr in der eigentlichen Form kommuniziert werden, um möglicher Kritik zu entgehen. Diese Einschränkung sehe ich kritisch. Aber jeder erfahrene Politiker weiß, dass das Feedback über Social Media nur ein Ausschnitt der Gesellschaft darstellt und dass man dieses nicht überbewerten darf, auch andere Kanäle und Diskursräume sind genauso wichtig wie das öffentliche Feedback aus der Bevölkerung.

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