Jeder Spruch, jede Verfehlung wird im Internet für große Zeiträume gespeichert. Wie verändern sich dadurch die Anforderungen an Politiker?
An Politikerinnen und Politiker werden seit jeher hohe Erwartungen an ihr Verhalten, ihr Auftreten und ihre Äußerungen gestellt. Fehlverhalten wurde auch schon vor der Etablierung des Internets durch guten Journalismus und eine kritische Öffentlichkeit sanktioniert. Beispiele dafür gibt es viele, u.a. Franz Josef Strauß (1962, „Spiegel-Affäre“), Max Streibl (1993, „Amigo-Affäre“) oder jüngst Karl-Theodor zu Guttenberg. Doch im Zeitalter der Digitalisierung scheinen sich Kontrolle und vor allem die Skandalisierung in einen allgegenwärtigen Zustand verwandelt zu haben. Womit eine Vielzahl neuer Probleme – was ist wichtig, Persönlichkeitsrechte, Abbau von Autoritäten, Aufstieg des Wut- und Hassbürgers etc - aufgeworfen werden. Hinzu kommt: Das Internet vergisst nichts - auch wenn durch das EuGH mit dem „Recht auf Vergessen“ zum Schutz der Persönlichkeitsrechte das Auffinden von falschen, nicht relevanten oder aktuellen Informationen durch Löschung aus dem Index der großen Internetsuchmaschinen erschwert wird. Skandale können in vielen Fällen auch noch Jahre danach mit dem Namen der Politikerin oder des Politikers verbunden sein. Politikerinnen und Politiker leben öffentlicher, gefährlicher und sind verwundbarer; sie sind sich heute umso bewusster, dass sie Personen des öffentlichen Lebens sind und sich vor den negativen Seiten dieser Existenz bewußt schützen müssen. Spontane Handlungen sind die Ausnahme. Professionelle und kontrollierte Auftritte sind das Maß der Dinge. Das kann wiederum zu einer gewissen blutleere der Politik beitragen. Insofern kann man wohl die These vertreten, dass der Merkelismus, also das außerordentlich kontrollierte Auftreten der Kanzlerin, eine sicherheitsbetonte Antwort auf die Verwundbarkeiten des digitalen Zeitalter ist.
Twittern zu jedem Anlass; Politiker müssen immer schneller auf Ereignisse reagieren. Wie wirken sich Geschwindigkeit und Verkürzung auf die Politik aus?
Regieren über Twitter verändert den Politikbetrieb nachhaltig. Es gibt aber keine Pflicht zu twittern. Es gibt auch nur wenige Ereignisse, bei denen wirklich die absolute Schnelligkeit einen wirklichen Vorteil bedeutet. Von der Beobachtung könnte man sagen, dass populistische Politiker eher selbst auf Twitter setzen als solche, die den demokratischen Institutionen und Prozessen vertrauen.
In der deutschen Politikpraxis erkennen wir zwar eine zunehmende Nutzung sozialer Medien. Diese variiert jedoch nach wie vor stark zwischen den Altersgruppen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, wer auf den sozialen Medien schreibt: Sind es tatsächlich selbstverfasste Beiträge der Politikerinnen und Politiker oder stammt die überwiegende Anzahl der Posts aus dem Mitarbeiterstab. Nur eine Minderheit von Politikerinnen und Politiker sind letztlich selbst sehr aktiv.
Gleichwohl können Themen, die in sozialen Medien gesetzt werden, den Handlungszwang für die Konkurrenz erhöhen; nicht zuletzt, wenn diese zeitnah von den klassischen Medien aufgegriffen werden. Besonders herausfordernd sind die verkürzten Reaktionszeiten, die dazu führen, dass Politiker ständig zu einem Statement bereit sind, was den Druck erhöht, auf dem neuesten Stand zu sein.
Hinsichtlich der Beschleunigung der Politik ist also eine differenzierte Betrachtung angebracht. Dabei ist festzustellen, dass kritische Ereignisse, die eine besondere Aufmerksamkeit provozieren, zu einer verkürzten Reaktionszeit von Politikerinnen und Politikern bzw. den Parteien führen können. Was allerdings auch viele Probleme mit sich bringen kann. Der Stimmungslage ausgesetzt, starkes Halbwissen, Verschwörungstheorien der ersten Stunde etc. Dem gegenüber ist der „politische Normalbetrieb“, und damit der überwiegende Teil der politisch-parlamentarischen Praxis, die Tag für Tag vollzogen wird, weniger tangiert wird.
Oft werden (soziale) Medien auch direkt aus Sitzungen, Verhandlungen oder Konferenzen bedient. Was bedeutet das für die Arbeit von Politikern?
Politik braucht arkane Räume. Werden die dort vorhandenen Spielregeln verletzt, dann hat dies weitreichende Folgen. Eine Vorabveröffentlichung über soziale Medien oder die gezielte Verbreitung an Journalisten führt zu einem erheblichen Verlust der Vertrauens- und Handlungsbasis zwischen den beteiligten Akteuren. Insbesondere, wenn der Verursacher der Informationen unbekannt bleibt, entstehen Unsicherheit und wechselseitiges Misstrauen ist die Folge. Ein mögliches Scheitern von Verhandlungen die Konsequenz. Nicht nur die Arbeit der beteiligten Akteure wird in dieser Konstellation (nachhaltig) geschädigt, sondern auch die Räume der „inneren“ Meinungsbildung, also die arkanen Räume.
In sozialen Medien können Politiker mit Wählern in Kontakt treten, direkte Zustimmung oder Ablehnung erleben. Ist das ein Vorteil für die Arbeit von Politiker oder nur zusätzliche Belastung?
Die sogenannte Hatespeech ist in den letzten Jahren zunehmend salonfähig geworden, was insbesondere Politikerinnen und Politiker als Zielschreibe von verbalen Angriffen zu spüren bekommen. Dieses Verhalten wird nun mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches am Ende der vergangenen Legislaturperiode verabschiedet wurde, versucht einzudämmen. Neben den ohnehin bestehenden strafrechtlichen Instrumenten (von übler Nachrede über Volksverhetzung bis hin zu Bedrohung) werden jetzt auch die Plattformbetreiber in die Verantwortung genommen, um Hasskommentare kurzfristig zu löschen oder ein hohes Bußgeld in Kauf zu nehmen.
Doch darüber hinaus können im Internet auch inhaltlich konstruktive Debatten geführt werden. So kann der direkte Kontakt mit Wählerinnen und Wähler im Internet für Politikerinnen und Politiker durchaus auch gewinnbringend und positiv sein. Jüngere Wählerinnen und Wähler finden diese Angebote attraktiv und so eröffnen sich aus Sicht der Parteien Möglichkeiten, diese Klientel gezielter zu erreichen. Auf der anderen Seite sind für die Wählerinnen und Wähler die Hürden geringer, auch einmal ein persönliches Anliegen vorzutragen, selbst eine Frage zu stellen oder sich einfach nur über politische Positionen zu informieren.
Gleichwohl sind Meinungs- und Interessenkonfrontationen kein neues Phänomen, mit dem sich Politikerinnen und Politiker konfrontiert sehen. Denken wir z.B. an das Jahr 1991 und die Eier, die auf Helmut Kohl in Halle geworfen wurden oder 1999 an die Farbbeutel auf Joschka Fischer. Anstelle einer persönlichen Konfrontation mit Politikerinnen und Politikern aus der „Masse“ heraus, kann man sich heute jedoch hinter der Anonymität des Internets verstrecken. Zugleich bindet dies weitere Ressourcen der Politiker und ob sich durch ihre Aktivitäten im Internet irgendein Effekt bei ihnen oder bei den Wählerinnen und Wählern einstellt, bleibt fraglich. Social Media ist eine ambivalente, gleichwohl irreversible, Herausforderung.