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Technik ist vom Gedankenlesen weit entfernt

Warum Facebook und Co auf absehbare Zeit nicht in unseren Kopf kommen

Prof. Dr.-Ing. Robert Riener, Head, Dept. of Health Sciences and Technology, Sensory-Motor Systems Lab, IRIS, ETH Zurich Quelle: ETH Zürich Prof. Dr.-Ing. Robert Riener Head, Dept. of Health Sciences and Technology Eidgenössische Technische Hochschule Zürich 18.05.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Es wird in den nächsten Jahrzehnten NICHT möglich sein, Gedanken, Gefühle, oder komplexe Bewegungsintentionen zu erfassen", prognostiziert der Züricher Experte Prof. Dr.-Ing. Robert Riener. Dafür gibt es mehrere Gründe.







Ein Schwerpunkt auf der Entwicklerkonferenz F8 von Facebook war Gedanken-gesteuerte Kommunikation. Was würde es bedeuten, wenn ein Unternehmen Zugriff auf unsere Gedanken bekäme?
Natürlich wäre es fatal, wenn Unternehmen, oder generell andere Menschen, Zugriff auf unsere Gedanken bekommen würden. Aber so einfach ist das nicht. Technisch ist man sehr weit davon entfernt und ich bezweifle, dass das überhaupt jemals gehen kann. Das Beste, was heute nichtinvasiv (d. h. durch äußerlich angebrachte Sensoren) funktioniert, ist die Erkennung binär gedachter Entscheidungen (ja/nein, links/rechts, oben/unten usw.) in mehreren (ca. 2-10) Kanälen (d. h. 2-10 binäre Gedanken können unabhängig voneinander, quasi gleichzeitig erkannt werden). Bei implantierten Systemen, d. h. chirurgisch in das Hirn eingebrachten Elektroden, gehen auch noch mehr Kanäle, so dass auf diese Weise z. B. gedachte Armbewegungen grob erkannt werden können. Das wurde in Tierexperimenten gemacht und nur in 1, 2 Menschen mit starker Behinderung. Ethisch ist es bedenklich, bei gesunden Menschen etwas zu implantieren; außer bei hochgradig gelähmten Menschen, die durch eine solche, neue Eingabemethode Vorteile für die Kommunikation oder Bedienung von Alltagsgeräten (Rollstuhl, Exoskelett, Küchengeräte) gewinnen.

Es wird in den nächsten Jahrzehnten NICHT möglich sein, Gedanken, Gefühle, oder komplexe Bewegungsintentionen zu erfassen. Denn diese Vorgänge im Gehirn sind kaum verstanden und finden in verschiedenen Bereichen des Hirns gleichzeitig statt, auch in den tiefen Hirnregionen (heute implantiert man vorrangig nur auf der Hirnrinde, d. h. oberflächig). Viele Gedanken und Gefühle sind ja auch so komplex, dass sie ein Mensch selber kaum versteht (man kann viele seiner Gefühle schlecht einordnen, schlecht fassen, geschweige denn in Text formulieren oder quantifizieren), so dass eine technische Erfassung eigentlich per definitionem nicht durchführbar ist. Und selbst wenn man ein Gefühl, einen Gedanken quantifizieren könnte, müsste die Information so reichhaltig, d.h. vielkanalig, sein dass die Sensorik dafür sehr groß und komplex würde, d. h. man bräuchte viele Tausende von Elektroden, mit Kabeln. Das schafft man weder implantiert noch von außen, und daran wird sich in den nächsten 50 Jahren sicherlich nichts ändern.

Als einen der Vorzüge preisen die Entwickler, dass verschiedensprachige Menschen leichter kommunizieren könnten. Wie könnte sich Kommunikation entwickeln, wenn Sprache nicht mehr nötig wäre?
Sprache ist ganz klar eine Barriere und wenn man es schafft, diese Barriere abzubauen, dann wäre das ein großer Vorteil, für Unternehmen, Privatpersonen und die gesamte Völkerverständigung. Erste gute Verfahren gibt es hierzu auch, wo z. B. geschriebener Text automatisch umgewandelt werden kann. Auch bei gesprochener Sprache funktioniert das bis zu einem gewissen Grad, wenn die Sprachqualität gut ist und man eine Verzögerung von wenigen Sekunden in Kauf nimmt.

Einen weiteren Schwerpunkt bildete Augmented/Virtual Reality. Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn ein soziales Netzwerk den Computer verlässt und seine AGB für eine sich vermischende virtuelle und reale Welt gelten?
Die Grenzen zwischen virtuellen und realen Welten sind heute schon vermischt. Man bewegt sich ja heute schon sehr häufig und intensiv in den sozialen Medien, verbindet sich per Bild und Ton, spricht und spielt im Internet mit und gegen andere Menschen. Es ist viel mehr, als ein Austausch von Information, sondern die virtuelle Vernetzung erzeugt Gefühle, schafft Arbeit, generiert sehr viel Geld, erzeugt positive wie negative Emotionen und Menschen finden ihr Glück und auch ihre Verzweiflung in dieser neuen, fremden Welt.

Wie entwickeln sich die berüchtigten Facebook-Filterblasen in diesem Szenario?
Gefährlich wird es, wenn Informationen sehr subjektiv werden und auf diese Weise divergierende Meinungen erzeugt werden, die Menschen polarisieren und somit gegeneinander aufwiegeln können. Kombiniert mit Chatbots und Fake-News, kann das sehr gefährlich werden und das Fundament unserer Demokratie gefährden.

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