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Technik in der Pflege braucht klare Richtlinien vom Gesetzgeber

Wie Apps und Robotik helfen können - und welche Erwartungen überzogen sind

Dr. Manfred Stegger - Vorstandsvorsitzender BIVA Pflegeschutzbund Quelle: BIVA Dr. Manfred Stegger Vorstandsvorsitzender BIVA Pflegeschutzbund 22.06.2020
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Mit Blick auf Assistenzsysteme in der Pflege betont der BIVA-Vorstandsvorsitzende Dr. Manfred Stegger: "Ihr Einsatz muss die Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen erhöhen und die Selbstbestimmtheit stärken." Zudem müssten Pflegende entlastet werden, um mehr Zeit für Betreuung und zwischenmenschliche Zuwendung zu haben. Vor der Anwendung solle man fünf Fragen beantworten.







Der Bundesrat hat eine Initiative zur Förderung für bessere Rahmenbedingungen für digitale Assistenzsysteme gestartet. Welchen Beitrag können solche Assistenzsysteme bei der Pflege leisten?
Vor dem Einsatz digitaler Assistenzsysteme gilt es fünf wichtige Fragen zu beantworten: Verbessert der Einsatz die körperliche Gesundheit des Pflegebedürftigen? Verbessert er das seelische Wohlbefinden des Pflegebedürftigen? Ist der Einsatz kostenneutral für die Pflegebedürftigen? Kann der Einsatz vom Pflegebedürftigen abgelehnt werden? Sorgt der Einsatz für mehr Transparenz in der Pflege?

Wenn diese Fragen mit Ja beantwortet werden, sehen wir zahlreiche sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten für digitale Assistenzsystem im Pflegebereich. Sie können es Pflegebedürftigen ermöglichen, länger in der eigenen Häuslichkeit zu verbleiben, sie können körperliche und geistige Einschränkungen teilweise ausgleichen und gesellschaftliche Teilhabe wieder möglich machen.

Die Erwartung mancher, ihr Einsatz könnte die eklatanten Probleme in der pflegerischen Versorgung und Betreuung lösen, sehen wir kritisch. Diese Probleme entstehen oftmals durch fehlendes Personal und schlechte Organisation in den Pflegeeinrichtungen. Assistenzsysteme können bei gleicher Lage neue und zusätzliche Problemen schaffen und für den Betroffenen die pflegerische Versorgung verschlechtern. Das gilt besonders dann, wenn der Einsatz der Assistenzsysteme vor allem aus ökonomischen Gründen erfolgt. Unser marktwirtschaftlich ausgerichtetes Pflegesystem legt den Entscheidern genau eine solche Überlegung nahe. Ihr Einsatz kann nur dann sinnvoll sein, wenn die Ziele gesichert sind. Ihr Einsatz muss die Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen erhöhen und die Selbstbestimmtheit stärken. Ihr Einsatz muss dafür sorgen, dass Pflegende entlastet werden, mit dem Ziel mehr Zeit für Betreuung und zwischenmenschliche Zuwendung zu haben, nicht aber, um sie zu ersetzen.

Für eine Reihe von Tätigkeiten in der Pflege gibt es inzwischen Roboter. Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich aus der Robotik in der Pflege?
Ein Einsatz von Robotik in der Pflege ist überall dort wünschenswert, wo das Zwischenmenschliche dadurch nicht zurücktreten muss, etwa bei schweren Arbeiten, beim Transport von Verpflegung, bei der Wäsche  oder ggf. als Unterstützung beim Heben schwerer Personen. Es gibt auch hilfreiche Systeme die nachts sich selbst oder andere gefährdende Heimbewohner (z.B. bei Demenz) überwachen. Bei solchem Einsatz von Robotern wird Personal entlastet. So können Freiräume entstehen, um individuell auf die pflegebedürftige Person einzugehen.

Kritisch zu sehen ist der Einsatz von Robotern bei körpernahen und sensiblen Leistungen, wie dem Darreichen von Nahrung, der Versorgung mit Medikamenten oder der Grundpflege. Roboter können nicht auf individuelle Bedürfnisse und Verhaltensweisen reagieren. Viele Menschen bewerten auf den Körper bezogene Leistungen durch Maschinen als entwürdigend oder haben Angst, dass Situationen entstehen, für die keine „Programmierung“ besteht und sie falsch oder grob behandelt werden.

Zahlreiche Verwaltungsvorgänge lassen sich in Software-Systemen abbilden. Inwieweit kann sich aus Ihrer Sicht der damit verbundene Investitions-, Prozessanpasssungs- und Schulungsaufwand auszahlen?
Für den Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ist die Pflegedokumentation von großer Bedeutung, um die Pflegequalität nach zu vollziehen. Eine fälschungssichere, digitale Eingabe der Informationen kann für deutlich mehr Transparenz sorgen. Diese Dokumentationen können darüber hinaus problemlos dem Betroffenen selbst oder Bevollmächtigten zur Einsicht übermittelt werden. Angehörige bzw. Bevollmächtigte könnten so kontinuierlich über die aktuelle Situation des Bewohners informiert werden, sofern er dies selbst wünscht. Darüber hinaus müssen alle ermittelten Daten von Sensoren und Kameras dem Heimbewohner aus Gründen des Datenschutzes jederzeit zugänglich sein.

Wie sollte das Pflege-Fachpersonal insgesamt auf dem Weg in die Digitalisierung begleitet werden?
Wie bei den Pflegebedürftigen, gibt es auch bei den Pflegekräften die Gefahr, dass Robotiksysteme keine Akzeptanz finden. Die Pflegekräfte fürchten eine rein ökonomisch getriebene Rationalisierung, nach der ihre Stelle durch Roboter ersetzt wird. Damit es nicht dazu kommt, sondern sich im Gegenteil die Arbeitsbedingungen tatsächlich verbessern, müssen hier klare Richtlinien vom Gesetzgeber festgelegt werden.

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