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Später Jubeln mit digitalem TV?

Welche Techniken Bilder schneller auf den Schrim bringen

Prof. Dr. Thorsten Herfet, Professur für Nachrichtentechnik an der Universität des Saarlandes Quelle: Saar-Uni Prof. Dr. Thorsten Herfet Forscher Universität des Saarlandes 11.06.2018
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Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Kommen die Bilder von Fußball-Spielen schneller übers Internet oder übers Fernsehen auf den heimischen Bildschirm? Falsche Frage, sagt Latenz-Experte Prof. Dr. Thorsten Herfet von der Universität des Saarlandes, denn: "Latenzen in heutigen Systemen sind nur zu einem kleinen Teil der Übertragungstechnik selbst geschuldet."







Pünktlich zur Fußball-WM kommt eine superschnelle Technik für Live-Übertragungen im Internet auf den Markt. Jubeln Nutzer, die ein Low-Latency-Signal abrufen früher als klassische TV-Zuschauer?
Der Begriff Low-Latency – einer unserer Forschungsschwerpunkte – hat sich stark in das Bewusstsein gedrängt, wird jedoch auf unterschiedlichste Art und Weise benutzt (z. B. für das sog. Taktile Internet, welches in späteren Entwicklungsstufen von 5G Realität werden soll und für das die Latenzen bis in den einstelligen ms-Bereich hinuntergehen müssen).

Im Rundfunk bedeutet Low-Latency, dass Zuschauer bzw. Zuhörer sich erstens mit akzeptabler Geschwindigkeit einen Überblick über das laufende Programm verschaffen können (Zapping) und zweitens keine signifikante Verzögerung bezogen auf das Live-Geschehen spüren. Ersteres erfordert Latenzen von max. ca. einer halben Sekunde und letzteres hängt sehr stark von der Anwendung ab und kann von wenigen 100 ms (z. B. wenn Zuschauer bei einem Sportereignis parallel den Rundfunkbeitrag hören, um mehr Informationen über das oft weit entfernte Geschehen zu bekommen) bis hin zu einigen Sekunden gehen.

Und daher: Ja, Zuschauer, die über einen Übertragungsweg mit besonders kleiner Latenz zusehen oder zuhören, jubeln früher!

Der Unterschied zwischen den Übertragungswegen kann im Verhältnis zur UKW-Hörfunk-Übertragung bis zu einer Minute betragen – wie nahe kommt das Low-Latency-Signal an die Radioreportage heran?
Hier muss zunächst mit sehr vielen Vorurteilen aufgeräumt werden: Latenzen in heutigen Systemen sind nur zu einem kleinen Teil der Übertragungstechnik selbst geschuldet. Zum größten Teil hängen sie mit Effizienzabwägungen zusammen. So werden in der Videocodierung viele Bilder zu einer Gruppe zusammengefasst, um bei gegebener Datenrate die Qualität zu maximieren. Ein sichtbares Bild kann aber immer erst mit Empfang des Beginns einer solchen Gruppe erzeugt werden. Hier reden wir bereits von 0.5 Sekunden aufwärts. Hinzu kommt das statistische Multiplexing, da bei der digitalen Übertragung mehrere Programme in einem Datenstrom zusammengefasst und über einen längeren Zeitraum „ausgemittelt“ werden. Hier reden wir schnell von mehreren, teilweise mehr als 10 Sekunden. Daher sind bereits im normalen digitalen Fernsehen Verzögerungen von über 10 Sekunden Gang und Gäbe.

Nun ist die Internet-Übertragung „gefühlt“ langsam, weil der Nutzer die Pufferung, also das Sammeln und Zwischenspeichern von Video, bevor der Abspielvorgang startet, aktiv mitbekommt (die berühmte Sanduhr). In vielen Anwendungsszenarien (sog. Video on Demand, also das Abspielen vorhandener Videos in Nachrichtenportalen oder in Videoportalen wie Netflix oder Youtube) ist das auch akzeptabel. Diese Verzögerungen haben allerdings nur sehr bedingt mit dem Übertragungsweg „Internet“ zu tun, sondern mehr damit, dass die heute eingesetzten Verfahren (sog. DASH) für Video on Demand entwickelt wurden und für Live-Broadcast sozusagen „verbogen“ werden (wie übrigens das gesamte Internet für die Medienübertragung „verbogen“ wird, weil es eigentlich für abgeschlossene, kleine Dateien gedacht war und ausgelegt ist).

Die Frage „Wie nah kommt man heran?“ kann ich so beantworten, dass es rein technisch, insbesondere in kontrollierten Umgebungen, also für einen vom Internet-Provider angebotenen Fernsehempfang, sehr wohl möglich ist, deutlich schneller zu sein als die heute übliche terrestrische Fernsehübertragung. Selbst über offene Netze (sog. Over The Top Fernsehen) sind wenige Sekunden Latenz problemlos möglich. Fairerweise sollte ich aber erwähnen, dass auch die Latenzen der normalen digitalen Fernsehübertragung reduziert werden können – dies hatte bislang schlicht keine Priorität, denn für den normalen Fernsehkonsum musste man zwar schnell umschalten können (Zapping-Latenz), aber das gesehene Bild durfte ruhig ein paar oder sogar mehr als 10 Sekunden hinter der Realität sein. Hier gibt es neue Standardisierungsbemühungen, um auch über die normalen Kanäle niederige Latenzen zu ermöglichen. Ich würde diese Diskussion also gern von „Internet“ vs. „Rundfunk“ entkoppeln. Beide Wege sind wichtig und technisch in der Lage, die Inhalte mit niedriger Latenz zu liefern.

Manche Fans hören gern die Radioreportage zum Bewegtbild – mit welchen Tricks bekommt man das Gehörte synchron zum Gesehenen?
Ein Audiosignal ist mit heutiger Verarbeitungstechnik sehr problemlos zu verzögern. Der technisch einfachste Weg, Radioreportagen dem Fernsehsignal, egal über welchen Kanal und daher mit welcher Latenz es schlussendlich empfangen wird, anzugleichen, ist daher eine einstellbare Verzögerung in Radioempfängern. So etwas kennt der Kunde bereits von seiner Heimkino-Anlage: Bei nahezu jedem sog. AV-Receiver, also dem Gerät, welches den Fernsehton digital vom Fernsehgerät bekommt und auf viele – meisten 5+1 – Lautsprecher verteilt, gibt es einen Regler, der die Tonverzögerung an das Bild anpasst.

Selbstverständlich gibt es auch eine Reihe von Innovationen, welche diese Verzögerung durch sog. Korrelation der Signal automatisiert, aber bis in den Massenmakrt wird es noch ein bisschen dauern.

Abgesehen von Fußball-Übertragungen – für welche Anwendungen sind Low-Latency-Signale besonders wichtig?
Wie oben bereits erwähnt gibt es heute eine Vielzahl von Anwendungen, welche Latenzen benötigen, die sogar weit unterhalb derer für Fußball-Übertragungen liegen. Fahrerassistenz, also z. B. das video-basierte „Um-die-Ecke“-Sehen, benötigt Latenzen von wenigen 10 ms, und das erwähnte Taktile Internet, welches video-basierte Arbeit (zum Beispiel Laparoskopie in der Medizin oder Reparatur von Geräten an uneinsichtigen Stellen) ermöglichen soll und Latenzen im Bereich weniger ms erreichen muss, sind nur zwei von sehr vielen Beispielen.

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