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Ruiniert die EU den europäischen Film?

Warum die Aufhebung des Territorialprinzips ein Desaster wäre

Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft Quelle: SPIO Tom Wagner 13.06.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Alfred Holighaus, Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, hält nichts von den Plänen der EU, das sogenannte Territorialprinzip aufzuheben. Gehen die EU-Pläne auf, dann müssten künftig die TV-Sender die Online-Rechte eines Films nur noch für ein EU-Mitgliedsland erwerben und könnten diesen dann in der ganzen EU zugänglich machen. Das würde nach Einschätzung von Alfred Holighaus die ganze Filmwirtschaft in Europa ruinieren.







Bei der EU ist die Aufhebung des Territorialprinzips im Gespräch – danach müssten TV-Sender die Online-Rechte eines Films nur noch für ein EU-Mitgliedsland erwerben und könnten diesen dann in der ganzen EU zugänglich machen. Was halten Sie davon?
Davon halte ich gar nichts, weil es dafür keinen guten Grund gibt. Schon die Folgenabschätzung der Gesetzesinitiative konnte keinen belastbaren Nachweis eines akuten Handlungsbedarfs erbringen: Es wurde weder eine herausragende Nachfrage europäischer Verbraucher nach grenzüberschreitenden Onlinediensten nachgewiesen, noch konnte belegt werden, inwiefern der EU-weite Rechteerwerb solcher Onlinedienste für TV-Sender unter den momentanen Voraussetzungen besonders schwierig sei.
Diese Erkenntnisse kann die Filmwirtschaft durch ihre alltäglichen Erfahrungen im operativen Geschäft nur bestätigen. Schon jetzt kann ein TV-Sender alle zur Auswertung erforderlichen Rechte eines Films direkt vom Produzenten erhalten. Dieser wird, je nachdem ob die Lizenzvergabe für seine Finanzierungsstrategie sinnvoll ist und die Konditionen stimmen, diese Rechte auch vergeben. Es liegt schließlich in seinem wirtschaftlichen Interesse, über eine große Zuschauerreichweite die Investitionen in ein Filmwerk – im Durchschnitt 6,1 Millionen Euro – wieder einzuspielen. Solche ökonomischen Entscheidungen werden mit der Einführung eines pauschalen Ursprungslandprinzips jedoch untergraben. Dann funktioniert der Lizenzhandel plötzlich frei nach dem Motto: Buy one, get 27 on top.

Die Produzenten wehren sich. Wie sehr bedroht eine Aufhebung des Territorialprinzips die Filmwirtschaft in Europa?
Eine Einschränkung des Territorialitätsprinzips betrifft nicht nur die Produzenten, sondern würde der gesamten europäischen Filmwirtschaft, von den Urhebern und ausübenden Künstlern bis zu den Verleihern und Kinobetreibern, massiv schaden. Deshalb warnt die Branche geeint, also gewerke- und länderübergreifend, vor dem aktuell diskutierten Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission.
Dazu muss man verstehen, wie audiovisuelle Inhalte finanziert werden: Neben Eigenkapital der Produzenten, öffentlicher Förderungen und Senderbeteiligung spielt insbesondere der Vorverkauf von zeitlich und räumlich exklusiven Auswertungslizenzen an Verleiher und internationale Koproduktionspartner eine wichtige Rolle für die Filmproduktion. Solche Presales helfen nicht nur, das Risiko der kostenintensiven Filmherstellung auf mehreren Schultern zu verteilen. Sie ermöglichen dem Produzenten außerdem in einer sehr frühen Produktionsphase, die beteiligten Filmschaffenden zu bezahlen und damit das Filmprojekt überhaupt zu realisieren. Ohne exklusive Auswertungsmöglichkeiten der immer wichtiger werdenden Online-Rechte lassen sich diese Investitionen jedoch weder kalkulieren noch recoupen.
Wenn unabhängige Filmunternehmen aber keine alternativen Finanzierungspartner für ihre Projekte gewinnen können, führt dies dazu, dass in Europa keine unabhängig entwickelten Filme mehr hergestellt werden können, sondern nur noch Auftragsproduktionen – sei es von Sendern, Plattformen oder Studios. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Beschäftigungsmöglichkeiten unabhängiger Filmemacher, sondern auch auf ihre künstlerische Freiheit und damit natürlich auch auf die kulturelle Vielfalt.

Inwieweit ist der Filmmarkt in der EU überhaupt ein gemeinsamer?
Auf der Produktionsebene arbeiten wir so europäisch wie kaum eine andere Branche. Mehr als die Hälfte der deutschen Kinofilme wird als europäische Koproduktionen finanziert und produziert. Die Geschichten geben das her und die Vorteile liegen auf der Hand: Koproduzenten zum Beispiel aus Frankreich oder Italien können durch Rechteverkäufe in ihren Lizenzgebieten und Bewilligungen nationaler Förderungen zusätzliche Finanzmittel in die Produktion einbringen. So kommt es, dass einer internationalen Koproduktion durchschnittlich 11,3 Millionen Euro zur Verfügung stehen – im Vergleich zum Durchschnittsbudget von 2,3 Millionen Euro eines rein deutsch finanzierten Kinofilms.
Bei der Auswertung solcher Koproduktionen müssen dann nicht nur verschiedene gesetzliche Regelungen der EU-Mitgliedsländer beachtet werden, wann bzw. wie lange ein Film im Kino, Fernsehen oder auf VoD zu sehen ist. Die Auswertung in einzelnen EU-Mitgliedsändern hängt aber auch von den jeweiligen Sehgewohnheiten, Feiertagen, der Relation zu den heimischen Produktionen oder anderen Faktoren ab, die für einen Filmstart von Bedeutung sind. Wenn wir Filme auf Reise schicken, müssen wir uns immer auch auf kulturelle Besonderheiten des jeweiligen Landes einlassen und unser Publikum gezielt ansprechen. Eine bloße Einstellung von Filmen ins Netz führt jedenfalls nicht zum automatischen Abruf und Nutzen der Verbraucher. Und für EU-Mitgliedsstaaten, in denen keine gezielte Auswertung vorgenommen wird, gibt es Plattformen wie Pantaflix, über die dann auch in diesen Ländern die Filme zugänglich gemacht werden.

Von einer Aufhebung des Territorialprinzips würden insbesondere auch Zuschauer profitieren, die ihren Wohnsitz in einem anderen EU-Land gewählt haben. Welche wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung spielt diese Nutzergruppe?
Natürlich spielt das Kino, spielen die Filme als Kulturbotschafter eine bedeutende Rolle für den gesellschaftlichen Austausch. Sie vermitteln Werte, sorgen für gegenseitiges Verständnis und zeigen uns eine Vielfalt an Lebensentwürfen. Wenn jedoch insbesondere lokale Inhalte nicht mehr produziert werden, weil sie nicht mehr territorial ausgewertet werden können, steht genau diese Vielfalt der filmischen Stoffe und Perspektiven auf dem Spiel! Nichts könnte die politische Zielsetzung, den Bürgern – sei es nun im EU-In- oder Ausland – mehr europäische Inhalte zugänglich zu machen, mehr gefährden und sogar ad absurdum führen. Außerdem reicht es einfach nicht aus, einen Film online zu stellen. Es bedarf auch einer gezielten Ansprache des Zuschauers, der profitieren will und soll. Wir müssen offensiv Aufmerksamkeit für den Film wecken. Denn wir werden heutzutage überflutet von Informationen und audiovisuellen Angeboten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass ein Film sein Publikum wirklich findet. Es genügt nicht und es bringt niemandem etwas, wenn der Zuschauer potentiell die Möglichkeit hat, auf einen Film stoßen zu können.

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