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Ein Drittel der EU-Bürger wünscht Zugriff auf ausländische Inhalte

Wie in Europa Filme aus den Partnerländern geschaut werden

Tiemo Wölken, Mitglied des Europäischen Parlaments, Fraktion S&D Quelle: Fraktion S&D Tiemo Wölken Mitglied des Europäischen Parlaments Fraktion S&D 01.06.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Die bestehende Rechtszersplitterung im Urheberrecht führt zu hohen Transaktionskosten", beklagt Tiemo Wölken (SPD), Berichterstatter im zuständigen Ausschuss des Europaparlaments. "Durch die fehlenden legalen Zugriffsmöglichkeiten können die Werke ihren gesellschaftlichen Wert nicht vollends ausschöpfen."







Bei der EU ist die Aufhebung des Territorialprinzips im Gespräch – danach müssten TV-Sender die Online-Rechte eines Films nur noch für ein EU-Mitgliedsland erwerben und könnten diesen dann in der ganzen EU zugänglich machen. Was halten Sie davon?
In der aktuellen Diskussion wird vieles miteinander vermengt. Was den Bereich der so genannten KabSatOnline Verordnung anbelangt, geht es weder im Vorschlag der Kommission, noch in meinem Berichtsentwurf um die Einführung einer einzigen paneuropäischen Lizenz. Vielmehr geht es darum zu klären, welches der unterschiedlichen nationalen Urheberrechtssysteme anzuwenden ist, nämlich das des „Ursprungslands“. Die bestehende Rechtszersplitterung im Urheberrecht führt zu hohen Transaktionskosten. Durch diese werden Rundfunkveranstalter davon abgehalten, einen grenzüberschreitenden Zugriff zu gewährleisten. 82 Prozent der öffentlichen und 62 Prozent der privaten Rundfunkveranstalter verwenden irgendeine Form des Geoblockings. Die Zahl der Menschen, die sich über so genannte VPN-Zugänge Inhalte erschließen macht deutlich, dass es ein Bedürfnis nach legalen Zugängen gibt. Durch die fehlenden legalen Zugriffsmöglichkeiten können die Werke ihren gesellschaftlichen Wert nicht vollends ausschöpfen.

Die Produzenten wehren sich. Wie sehr bedroht eine Aufhebung des Territorialprinzips die Filmwirtschaft in Europa?
Wie bereits oben dargestellt wird das Territorialitätsprinzip nicht aufgehoben. Vielmehr bleibt auf Grund der weiterhin bestehenden Vertragsfreiheit eine territoriale Rechteverwertung möglich. Was die oftmals vorgetragene Angst betrifft, dass das Wettbewerbsrecht die territoriale Rechteverwertung unmöglich macht, so möchte ich an dieser Stelle auf die Murphy-Entscheidung des EuGH* hinweisen. In dieser wird ausdrücklich festgestellt, dass Exklusivvereinbarungen bezüglich eines einzelnen Sendemitgliedsstaats als solche, nicht automatisch zur Annahme eines Verstoßes gegen Wettbewerbsrecht führen. Vielmehr müssen zusätzliche Faktoren eine solche Annahme rechtfertigen.

Was stimmt ist, dass durch die Ausweitung des Ursprungslandprinzips nun der wettbewerbsrechtliche Rechtfertigungsgrund des Fehlens notwendiger Ausstrahlungsrechte entfällt. Allerdings sind andere legitime Interessen denkbar, die Geoblocking-Maßnahmen weiterhin rechtfertigen, wie etwa lokale Interessen und kulturelle Vorlieben.

Inwieweit ist der Filmmarkt in der EU überhaupt ein gemeinsamer?
Bisher würde ich meinen, dass ein gemeinsamer Filmmarkt nicht existiert. Studienergebnissen zu Folge werden 67 % aller Filme und Serien nur in einem einzigen Mitgliedsstaat ausgestrahlt.**

Von einem EU-weiten Zugriff auf die Online Dienste der Rundfunkanbieter würden insbesondere auch Zuschauer profitieren, die ihren Wohnsitz in einem anderen EU-Land gewählt haben. Welche wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung spielt diese Nutzergruppe?
Von einem EU-weiten Zugriff profitieren sowohl Bürger und Bürgerinnen, die in ein anderes EU-Land ausgewandert sind sowie deren Nachkommen, als auch etwa die Bevölkerungsgruppen, die sprachlichen Minderheiten angehören, in Grenzregionen leben oder aber eine Fremdsprache ausbauen möchten. Einer Studie zu Folge haben 41 Prozent der Nutzer Interesse am Zugriff auf Mediatheken vom EU-Ausland und 35 Prozent Interesse am Zugriff auf Inhalte aus dem EU-Ausland. Dies ist über ein Drittel der Unionsbevölkerung und somit eine wirtschaftlich wie kulturell nicht zu verkennende Größe.

*EuGH Urteil vom 4.10.2011, C-403/08 und C-429/08, Erwägungsgründe 137 f.
** "Films on television – Free report by the European Audiovisual Observatory for MIPCOM (2016)".

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