Die ARD hat beim vieldiskutierten „Themenabend-Terror“ einen fiktiven Stoff mit einer Zuschauerabstimmung verbunden. Inwieweit ist das Medium TV geeignet für die Debatte um komplexe ethische Themen geeignet?
Dem Fernsehen kommt nach wie vor eine bedeutende Rolle als Leitmedium zu. Wenn es also darum geht, eine breite Öffentlichkeit für ein Thema zu interessieren, ist das Fernsehen der richtige Ort. Eine andere Frage in diesem Zusammenhang ist jedoch, ob das Fernsehen an sich das richtige Medium für differenzierte Debatten ist. Ich spreche hier von Debatten, nicht von Abstimmungen. Grundsätzlich spricht das Fernsehen eine breite Öffentlichkeit an. Kommunikation für und mit einer breiten Öffentlichkeit ist automatisch zu einem bestimmten Grad Laienkommunikation. Also allgemeinverständliche Kommunikation, die darüber hinaus hinreichend attraktiv gestaltet sein muss, um überhaupt die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen.
Das Fernsehen kann unter diesen Bedingungen ethische Debatten darstellen – vertiefende Einzelfragen können und sollten darüber hinaus in wissenschaftlichen Expertendiskursen behandelt werden. Bei Debatten zur Ethik geht es im Fernsehen jedoch immer nur um einen Medienbeitrag zur individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Es geht nicht um ethisch verbindliche Entscheidungen für alle und erst recht nicht um rechtliche Urteile.
Kritiker bezeichneten den Themenabend als „Populisten-Porno“, andere hielten dem Format zugute, dass tagelang über Grundgesetz und Werte diskutiert wurde. Wie sehen Sie das?
Der Beitrag ist mit guten Gründen in Bezug auf seine inhaltlichen und dramaturgischen Schwächen kritisiert worden. Diese Kritik gehört zu einer lebendigen Öffentlichkeit und kann als Teil des „Themenabend Terror“ bezeichnet werden. Die Kritiken in Bezug auf die Defizite in der Darstellung des rechtlichen Instrumentariums erscheinen mir stichhaltig. Für die ethische Diskussion kann ich dem nicht zustimmen. Die war auf einem für das Fernsehen beachtlich differenzierten und verständlichen Niveau.
Letztendlich muss man sich die Funktion eines Abstimmungs-Formats vor Augen führen: Die Generierung von Aufmerksamkeit ist das A und O im medialen Getriebe, worauf ja übrigens auch Ausdrücke wie „Populisten-Porno“ ein Hinweis sind.
Eine Diskussion mit einem ähnlichen Grad an Differenziertheit im Format einer Fachdiskussion (die dann in einem Spartenkanal gezeigt worden wäre) hätte weitaus weniger Personen angesprochen. Eine Abwägung zwischen der Komplexität des Themas einerseits und seiner Popularisierung andererseits ist hier weitgehend erfolgreich versucht worden – wenn auch mit dem gravierenden Mangel einer fehlerhaften Darstellung des Rechtssystems.
Wie sehr können solche interaktiven TV-Formate den demokratischen Kurs verändern?
Es ist für viele Zuschauerinnen und Zuschauer spannender, die eigene Meinung durch Abstimmung einzubringen als nur auf die passive Rolle des Publikums verwiesen zu sein. Zumal sich das Mediennutzungsverhalten durch die Sozialen Medien grundsätzlich geändert hat. Die Medien müssen auf veränderte technische Möglichkeiten und eine neue Kultur der Nutzerbeteiligung reagieren.
In diesem Zusammenhang ist es immer wieder wichtig deutlich zu machen, dass Medien der Meinungsbildung dienen und außerdem eine wichtige Funktion zur Kritik und Kontrolle der Politik einnehmen. Sie sind jedoch nicht dazu legitimiert, Politik direkt zu gestalten. Genauso wenig wie es legitim oder wünschenswert sein kann, politische Prozesse auf interaktive Abstimmungsverfahren zu reduzieren.
Top-Quoten und riesiges Medienecho. Wie sehr muss das klassische Fernsehen polarisieren, um sich in der neuen, digitalen Medienvielfalt zu behaupten?
Ich würde hier nicht von Polarisierung sprechen, denn es ging doch eher um eine differenzierte Darstellung verschiedener Positionen. Das große Echo wurde durch den spannenden Themenkomplex und das Format erzeugt. Auch wenn Zuschauerbeteiligungsverfahren im Fernsehen zeitweise für hohe Einschaltquoten sorgen können: Qualitätsmedien müssen eine kritische Distanz zu einer Beteiligungskultur wahren, in der Meinungsbildung auf ein einfaches Urteilen im Sinne von „Liken“ oder Sternchen-Verteilen hinausläuft. Die durch die Sozialen Medien vorangetriebene Praxis des ständigen Bewertens fördert nicht die Form der Meinungsbildung, die für politische Prozesse essentiell ist. Längerfristig behaupten kann sich das klassische Fernsehen nicht durch Polarisierungen und Abstimmungen, sondern durch Qualität in Journalismus, Berichterstattung und Unterhaltung.