Die ARD hat beim vieldiskutierten „Themenabend-Terror“ einen fiktiven Stoff mit einer Zuschauerabstimmung verbunden. Inwieweit ist das Medium TV geeignet für die Debatte um komplexe ethische Themen?
Massenmedien wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen waren immer schon essentiell für die öffentliche Meinungsbildung. Dabei war die Differenzierung stets weniger wichtig als die grundsätzliche Thematisierung eines Problems. Der Diskurs fand dann auf der Straße, am Arbeitsplatz oder der Schule statt und wurde moderiert durch weitere TV-Formate. Die ARD hat das nochmals vorgemacht mit „Terror“ und anschließend „hart aber fair“. Das Problem ist nicht die Frage nach der letzten argumentativen Wendung im Film – Fernsehen ist kein Hochschulseminar. Aber was die vermeintliche Breitenwirkung in die Gesellschaft hinein angeht, da ist heute eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Das hatte sich schon mit der Vielfalt privater Sender geändert und heute erwächst den Massenmedien zusätzlich mit den Social Networks eine fatale Konkurrenz. Das allgemeine Lagerfeuer TV wird mehr und mehr von den individuellen Wunderkerzen im Netz abgelöst. Bei den unter 30-Jährigen ist die Netzaufmerksamkeit fast doppelt so groß wie die Fernsehnutzung. Insofern sollten wir bei 20 Prozent Marktanteil – heute ein Renner, aber nichts gegen Mondlandung oder Durbridge-Krimis – nicht zu euphorisch sein. Das Fernsehen ist ein wichtiger Impulsgeber, aber lange nicht mehr der Lehrer der Nation.
Kritiker bezeichneten den Themenabend als „Populisten-Porno“, andere hielten dem Format zugute, dass tagelang über Grundgesetz und Werte diskutiert wurde. Wie sehen Sie das?
Was soll das denn heißen „Populisten-Porno“? Niemand sollte die TV-Abstimmung als juristischen Feinschliff missverstehen. Es ging um die mediale Bewusstmachung eines moralischen Problems, nicht um Nachhilfe für überforderte Juristen. Dieses moralische Problem – was tun bei einem echten, d.h. unauflösbaren moralischen Dilemma, wenn Grundwerte gegeneinanderstehen? – wurde deutlich. Und die heftigen Auseinandersetzungen im Nachgang im Fernsehen, in Zeitungen und auch im Netz waren notwendig, um klar zu machen, dass es Fragestellungen gibt, bei denen jede juristische Lösung einen Rest an Zweifel und moralischer Schuld zurücklässt.
Wie sehr können solche interaktive TV-Formate den demokratischen Kurs verändern?
Gar nicht – weder war dies im öffentlich-rechtlichen Monopol so, noch ist das heute so im breit gefächerten on- und offline Medienmarkt. Der demokratische Kurs in einer repräsentativen Demokratie wie der unsrigen kennt weder das täglich hopp oder top für die politischen Eliten noch die plebiszitäre, also direkte Volksabstimmung über jede neue Straßenlaterne. Der mediale Diskurs über unsere politischen Ziele sowie die sozialen Standards und Idealvorstellungen unserer Gesellschaft bildet den wichtigen Hintergrund politischer Entscheidungen – darf sie aber nicht im tagtäglichen Kleinklein bestimmen. Bedenkenträger und Schreihälse sollen nach unserer Verfassung nicht das Heft des politischen Handelns in die Hand bekommen. Insofern ist mediale Auseinandersetzung wichtig und darf auch mal etwas lauter sein. Aber nicht die lautstarke Empörung verändert unser Land, sondern die mühsame und konkrete politische Arbeit in Kommunen, Ländern und im Bund. Wichtig ist daher, dass die maßgebenden Medien on- und offline diesen Zusammenhang immer wieder ins Gedächtnis rufen. Die Rede von den Medien als der 4. Gewalt war schon im 19. Jahrhundert falsch, als sie aufkam. Medien bieten höchstens Empörungspotential. Auf die Barrikaden gehen muss man schon selbst.
Top-Quoten und riesiges Medienecho. Wie sehr muss das klassische Fernsehen polarisieren, um sich in der neuen, digitalen Medienvielfalt zu behaupten?
Polarisieren tun doch schon die anderen, die Akteure auf online-Plattformen, in Kommentar-Spalten und kleinstgruppenfixierten Spartensendern. Das „klassische Fernsehen“ hat sich hingegen längst neu erfunden. Mediatheken, Senderdiversifikation und Online-Angebote flankieren das klassische Massenmedium Fernsehen und machen es daher zu einer Glaubwürdigkeitsinstitution: Dreiviertel der Mediennutzer vertrauen eher dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Tagespresse als anderen Medien. Zweifel und die z.T. haltlose, aber lautstarke Kritik haben da eher ökonomische oder bildungsmäßige Gründe. Hier müssen in Zukunft zwei soziale Kräfte enger zusammenarbeiten: Die Bildungsinstitutionen für mehr Medienkompetenz und die klassischen, vor allem öffentlich-rechtlichen Massenmedien für mehr Eigenstand und weniger auf die Netze schielen.