Die Corona-Pandemie hat in vielen Bereichen einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Wie nachhaltig sind solche Prozesse nach einem möglichen Ende der Pandemie?
Das aufkommende Interesse an Digitaler Transformation markiert nicht erst der Beginn der Pandemie, vielmehr ist der Prozess der Digitalisierung von dieser radikal beschleunigt worden. In meinen Lehrveranstaltungen an der Schnittstelle zwischen Medien- und Kommunikationswissenschaft nähere ich mich dem Themenkomplex regelmäßig über eine diskurstheoretische Methodik: Die Komplexität, die medialen Dispositiven per se immanent ist, reduziert sich durch das Wissen, dass kontemporäre, mediale Phänomene sich durch einen Blick in ihre Entstehungsgeschichte ganzheitlich erklären lassen.
Bei näherer Betrachtung des aktuellen, digitalen Settings ist festzustellen, dass insbesondere durch die Evolution der Medien sich technische Entwicklungen bis zum heutigen Zeitpunkt immer auch an den Bedürfnissen der Rezipienten orientieren - und seit der Jahrtausendwende eine vom Ort entkoppelte, digitale Kommunikation über die Entstehung Sozialer Netzwerke zunehmend einfordern. Der Diskurs um zwischenmenschliche Entfremdung und soziales Kapital im virtuellen Raum ist im wissenschaftlichen Bezugsrahmen der Internetsoziologie nicht neu und entkoppelt sich durch die Pandemie zunehmend aus flüchtigen Trends der jungen Nutzergeneration in eine alles umfassende Transformation, die jede Altersgruppe gleichermaßen inkludiert.
Das Konsumverhalten etwa, das gerade die ältere Generation noch im stationären Handel verortet, wandelt sich nun durch staatlich verordnete Geschäftsschließungen sukzessive in Online-Shopping-Erlebnisse, sodass Instrumente des E-Commerce die zentralen Erfolgsfaktoren für Unternehmen darstellen. Diese Veränderung im Verhalten der Konsumenten wird auch zukünftig relevant sein, da sich generationsübergreifend eine digitale Medienkompetenz ausbildet und die Handlungsoptionen der Nutzer, gerade auch was den intuitiven Umgang mit digitalen Technologien betrifft, schon jetzt unumkehrbar erweitert sind.
Im kommenden Jahr will die EU Regularien für KI beschließen. Welche Auswirkungen könnte das haben?
Aktuell lässt sich eine regelrechte Begeisterung für digitale Technologien konstatieren, die primär dadurch motiviert ist, dass der Handlungsspielraum, der realweltlich durch die Pandemie stark eingeschränkt ist, sich sukzessive digital erweitert. Insofern ist dem Diskurs um künstliche Intelligenz, der auf soziologischer wie technischer Ebene immer auch mit kritischen Stimmen eng verbunden ist, eine Tür geöffnet. Während Digitalisierung ausschließlich in technischen Kontexten operiert, sind die KI-Nutzer handelnde Subjekte, deren menschliches, freiheitliches Handeln den Kern des Diskurses im verantwortungsvollen Umgang bestimmt. Privatsphäre, Sicherheit, Transparenz, Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortlichkeit sind nur einige der Themen, die im Kontext der künstlichen Intelligenz verbindliche Leitlinien einfordern: Das digitale Setting wird sich also zunehmend auch humanzentrierten Fragestellungen widmen müssen, um einem Verlust des Subjektstatus und dem negativen Szenarium einer überwachten Lebenswelt proaktiv entgegenzuwirken.
Die Versorgung mit 5G soll sich in der nächsten Zeit stark verbessern. Welche Chancen ergeben sich daraus?
Beschleunigung in der technischen Entwicklung braucht Technologien, die eine höhere Geschwindigkeit in der Datenübertragung garantieren. Der neue Mobilfunkstandart kann hier unterstützend wirken, indem Nutzer die Netzkapazitäten des 5G-Netzes beispielsweise für multimediale Anwendungen entdecken. Eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten steht bis dato noch nicht zur Verfügung, kann aber im Rahmen des Ausbaus Digitaler Transformation problemlos erweitert werden. Die Netzkapazität bietet hier einen fruchtbaren Nährboden für technische Dispositive. Der Diskurs um die Gesundheitsgefährdung durch Mobilfunkstrahlung ist dabei nicht neu, wird aber um Komponenten ergänzt, denen aufmerksam begegnet werden sollte. Ähnlich wie bei den KI-Leitlinien empfiehlt es sich auch hier, verantwortungsvolles Geschäftsgebaren und Wertschöpfung in der Kommunikation zu akzentuieren, um Ängste konsequent abzubauen. Die technische Entwicklung erscheint dann nicht als bedrohlich, sondern als eine am Menschen orientierte, unterstützend wirkende Handlungsoption.
Welche Trends sind für Sie daneben die wichtigsten für das Jahr 2021?
Ich bin davon überzeugt, dass die Charakteristika digitaler Transformation sich nachhaltig im Diskurs verankern und unsere Gesellschaft signifikant unumkehrbar in Richtung einer digitalen Lebenswelt verschieben. Die Herausforderung dabei ist, neben aller Begeisterung für technische Entwicklungen, diese nicht als Ersatz zu sehen: soziales Kapital, das sich gerade im zwischenmenschlichen Miteinander ausbildet, findet kein Äquivalent in einer rein digital basierten Kommunikation. Insofern kann diese unterstützend wirken und Situationen, in denen Live-Kommunikation partiell nicht möglich ist, optimal überbrücken. Die relevanten, ethischen Fragestellungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, sollten interdisziplinär zwischen Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik diskutiert werden, um den wirklichen Mehrwert unserer neuen Errungenschaften zu akzentuieren: Der Mensch als handelndes Subjekt im digitalen Setting, der Technologien für sich bewusst einsetzt, ohne unbewusst die Kontrolle zu verlieren.