Die Wissenschaft ist sich einig: Quantencomputing hat eine große Zukunft vor sich, allerdings ist der Weg bis zu praktischen Anwendungen sehr weit. Prof. Dr. Rüdiger Quay beispielsweise, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Festkörperphysik IAF, sagt etwa „Vom Berechnen komplexer Moleküle in der Materialforschung sind wir noch sehr weit entfernt.“ Quantencomputing könne zwar schon heute gewisse numerische Probleme lösen, besonders in Kombination mit klassischer Technik. „Im Vergleich mit normalen Rechnern ist ein Quantenvorteil jedoch noch nicht konkret sichtbar. Dennoch verspricht die Technologie langfristig einige Vorteile in der Skalierung spezieller Rechnungen, insbesondere in der Materialforschung oder in der klassischen Optimierung.“
"Es ist wichtig klarzustellen, dass Quantenprozessoren noch keine praktisch relevante Aufgabe besser oder schneller lösen als herkömmliche Rechner", sagt auch Professor Johannes Fink vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg. Der Abstand in puncto Rechenschritten - oder noch wichtiger in absoluter Zeit - sei nicht klein, sondern noch sehr viele Größenordnungen zu überwinden. „Das eigentliche Potential des Quantencomputing, für z.B. die Materialphysik und andere potenzielle Anwendungen, wird sich voraussichtlich erst mit deutlich besserer Hardware einstellen, als sie jetzt verfügbar ist. Mit so einem fehlerkorrigierten Quantencomputer werden wir dann nicht unbedingt bekannte Probleme schneller lösen, sondern Problemstellungen angehen, die man mit einem klassischen Rechner prinzipiell gar nicht lösen kann.“
Pessimistischer nach fast 15 Jahren Erfahrung industrienaher Forschung ist Dr. Marek P. Checinski, Geschäftsführer des Berliner Unternehmens CreativeQuantum. Nur sehr wenige Fragestellungen in der Material- bzw. Chemieforschung könnten mit Hilfe von Quantencomputern besser gelöst werden als mit klassischen Mitteln. "Wenn man das irgendwie quantifizieren will, dann denke ich, dass auf Basis der Fragestellungen und Aufgaben (Komplexität der Systeme und Größe der Berechnungen) weniger als fünf Prozent aller Fragestellungen überhaupt sinnvoll von zukünftigen Quantencomputern adressiert werden können. Und diese müssten bis dahin deutlich weniger fehleranfällig werden."
Dr. Markus Hoffmann von Google Quantum AI weiß, die Entwicklung von Quantencomputern befindet sich aktuell in der sogenannten NISQ-Ära. „NISQ steht hier für ‚Noisy intermediate-scale quantum‘ und bedeutet, dass die Qubits, mit denen der Quantencomputer rechnet, aktuell die Rechnungen nur ‚noisy‘, also noch nicht fehlerfrei durchführen können. Basierend auf dieser Mission sind unsere Ziele für das nächste Jahrzehnt, einen fehlerkorrigierten Quantencomputer zu bauen und industrierelevante Anwendungen für Quantencomputer zu finden.“
In diese Richtung argumentiert auch Dr. Michael Förtsch, CEO des Start-Ups Q.ANT GmbH in Stuttgart: "Wir sind gerade dabei herauszufinden, was diese Technologie wirklich kann und wo ihre Grenzen liegen." Es gehe dabei um die Identifizierung echter Quantenprobleme, etwa Molekül- und Proteinsimulationen in der Chemie oder die Simulation neuer Werkstoffe, in denen quantenmechanische Phänomene Teil der Aufgabe seien. Rasch werde das nicht gehen: „Wir müssen ehrlich anerkennen, dass wir hierfür noch einige Jahre Entwicklung vor uns haben. Es bräuchte deutlich mehr Qubits und eine wesentlich höhere Zuverlässigkeit, um diese Aufgaben zu lösen. Und schließlich gibt es die komplex-klassischen Probleme, die sich auf heutiger Standardarchitektur nur schwer berechnen lassen.“
"Unsere Technologie ist ein vielversprechender Kandidat für die Realisierung von digitalen Quantencomputern", ist sich Dr. Johannes Zeiher vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching sicher. Seine Quantensimulatoren basieren auf ultrakalten Atomen und das Institut liegt seit Jahren an der Spitze der Grundlagenforschung. Man gehe freilich aktuell davon aus, „dass sie ihr volles Potenzial erst unter Anwendung der sogenannten Quantenfehlerkorrektur entfalten können, die Gegenstand der aktuellen Grundlagenforschung ist“.
Dr. Robert Axmann, Leiter der DLR Quantencomputing-lnitiative (QCI) und Dr. Eric Breitbarth, Wissenschaftler am DLR-Institut für Werkstoff-Forschung, arbeiten in ihren jeweiligen Fachgebieten Schritt für Schritt an Problemlösungen. Axmann sieht als vordringliche Aufgabe, das Grundlagenwissen in die Industrie zu tragen sowie industrielle Fertigungs- und Nutzungskompetenzen für Quantencomputer auszubauen. Breitbarth legt den Fokus auf „die Entwicklung geeigneter Quantenalgorithmen“.
Dr. Cornelius Hempel, Leiter der Ionenfallen-Quantumcomputing-Gruppe am ETH Zürich - PSI Quantum Computing Hub, ist überzeugt vom Potenzial der Quantenrechner, weiß aber auch aus eigener Erfahrung, dass quantenmechanische Prozesse empfindlich auf kleinste Störungen reagieren. „Anwendungen sind im Bereich maschinelles Lernen und der Planung und Optimierung zu finden“, so der Wissenschaftler. Freilich stehe das Ganze unter Vorbehalt der Realisierung „fehlerkorrigierte Quantencomputer“.