Aktuell wird der Klassikmarkt von neuen Musikfarben durch Komponisten, wie Sven Helbig, Nils Frahm oder Max Richter belebt. Erleben wir gerade in der Klassik die Geburtsstunde eines neuen Genres? Was macht diese neue Komponistengeneration aus? Was macht sie für ein Radioprogramm interessant?
Diese Geburtsstunde dieses Genres liegt fast zwei Jahrzehnte zurück. Bereits im Jahr 2000 haben wir dieses, zu dem Zeitpunkt nicht einzuordnende Genre „New Classics“ getauft und als festen Bestandteil in unser Musikprogramm aufgenommen. Das war anfangs ein mutiges Experiment mit durchschlagendem Erfolg. So wurde z. B. Ludovico Einaudi durch Klassik Radio in Deutschland bekannt. In der Folge hatten wir für ihn eine der ersten Deutschland-Tourneen dieses Genre veranstaltet. Die gefällige Ästhetik in Komposition, Sound und Aufführung war in der damals sehr konservativen Klassik eine wunderbare Innovation und führte unserem Sender bis heute viele neue, begeisterte Hörer zu.
Welches Potential hat diese neue Klassik, die auch Elemente des Pops aufweist, musikalisch, aber auch aus Vermarktersicht eines großen Audio-Programmanbieters? Diese Musik ist fest in der DNA des Programms von Klassik Radio verankert und spielt deshalb eine wichtige Rolle. Sie hilft uns, auch jüngere Hörer mit wenig Klassikerfahrung an unser Programm heranzuführen und war einer der Erfolgsfaktoren, die uns zu einem der weltweit größten und erfolgreichsten Klassik Sender gemacht haben. In unserem neuen Streamingservice Klassik Radio Select gibt es dazu sogar einen eigenen Bereich mit verschiedenen New Classics Radiostationen. Hier zahlt sich unser einzigartiger Ansatz mit mehr als 100 Sendern aus, die von ausgewählten Experten kuratiert werden. Je nach Stimmung können auch New-Classic-Liebhaber ein perfekt auf sie und ihre Vorlieben zugeschnittenes Musik-Angebot genießen, ohne sich langwierig durch Titellisten arbeiten zu müssen.
Merkmale der sogenannten Neoklassik sind vermehrte Bezüge zu digitalen Klängen. Wie stark verändert die Digitalisierung unserer Gesellschaft auch die klassische Musik, die heute komponiert wird? (Bzw. Sollte die Digitalisierung auf den Schaffensprozess überhaupt Einfluss haben?)
Es ist eine wunderbare und sehr spannende Möglichkeit, die Musik zwischen wertvollen akustischen Instrumenten und digitalen Systemen zu verweben und so völlig neue Klangerlebnisse und musikalische Techniken zu kreieren. Insofern erweitert die Digitalisierung längst den künstlerischen Schaffensprozess.
Welche Rolle spielen generell digitale und audiovisuelle Vermarktungstools für Klassik Radio? Welche Plattformen nutzen Sie?
Unser Unternehmen hat sich neben den musikalischen Entwicklungen, die wir mit den New Classics fest in das Programm verankert haben, ebenfalls sehr früh mit der Digitalisierung von Hörfunk und Audio beschäftigt. So streamen wir unser Programm bereits seit dem Jahr 2000, als einer der ersten Sender in Deutschland überhaupt. Besonders ungewöhnlich: Fast ein Drittel unserer gesamten Streamingkunden hört uns im Ausland – wir sind damit der erfolgreichste deutsche Radiosender im Ausland. Wir entwickeln und betreiben eigene Onlineshops für Musik, digitale Radiogeräte, Reisen und für unsere eigenen Konzerte. Dort haben wir bereit über 150.000 Konzerttickets und über 500.000 Produkte verkauft. Alle Transaktionen laufen über unsere eigenen digitalen Plattformen und werden über unsere eigenen Medien beworben. Während Politik und traditionelle Radiobranche noch über einen Termin für die Abschaltung von UKW diskutieren, haben wir im Jahr 2015 die Digitalisierung von Hörfunk durch das Schaffen von Fakten in Deutschland gestartet. In einem bis dato einmaligen Vorgang haben wir mehr als 20 UKW-Frequenzen an die Landesmedienanstalten zurückgegeben, die analogen Boote hinter uns verbrannt. In tiefer Überzeugung, dass unser Programm fortan über den neuen Digitalradiostandard DAB+ und via Streaming digital genutzt wird. Die Branche hat uns für diesen Schritt zunächst belächelt. Seitdem hat unser Programm unglaubliche 50 % mehr Hörer gewonnen.
Kann man einen eigenen vertikalen Musik-Streamingdienst etablieren und sich dabei von den großen Playern wie Spotify und Apple abgrenzen?
Nach zwei Jahren Entwicklung haben wir es im Dezember 2017 einfach gemacht und mit Klassik Radio Select einen innovativen Musikdienst gestartet, der sich grundlegend vom bisherigen Ansatz der internationalen Streamingdienste unterscheidet. Wir überlassen dem Kunden nicht die Suche aus 40 Millionen Titeln, vielmehr stellen die besten Radio- und Musikexperten aus diesen 40 Millionen Titeln über 100 wunderbare, immer frische Radiostationen zusammen. Per Fingertipp entdeckt man so stets neue kuratierte Musik und begeisternde Stimmungen. Also kein nerviger Suchdienst, sondern ein entspannter Lieferdienst. Auch hier haben wir ambitionierte Ziele, wollen nach dem Aufbau in der DACH Region den Musikdienst in die starken Klassikländer der Welt wie Nordamerika, China, Japan und Südkorea ausrollen. Für mich eine so wichtige und spannende digitale Zeit, wie vor 18 Jahren die Entwicklung des heutigen weltweit einmaligen Klassik Radio Programms.