Auch in meiner persönlichen Wahrnehmung haben sich die "Amtsblätter" in Inhalt und Umfang örtlich teilweise deutlich ausgedehnt. Dies wirft viele Fragen auf, z. B.:
Inwiefern wird damit unter Umständen gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit von Presse verstoßen? Wo sind die Grenzen zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit von Kommunen und unzulässiger presseähnlicher Berichterstattung zu ziehen? Und vor allem: Wie kann in Zukunft gewährleistet werden, dass der Staat die freie Presse schützt und nicht mit ihr um Leser (oder Anzeigenkunden) konkurriert?
Das Gebot der Staatsfreiheit der Presse dient auch dem Schutz von Presseunternehmen. Das OLG Stuttgart schreibt dazu in einem Urteil vom 27.1.2016 u.a.: "Staatliche Pressetätigkeit ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, steht aber – auch soweit es um die von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte kommunale Selbstverwaltung geht – unter einem erhöhten Rechtfertigungszwang, weil Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG insoweit engere Schranken zieht. (...) Staatliche Präsenz im Bereich der Presse steht deshalb nach zutreffender Auffassung der Literatur grundsätzlich im Widerspruch zur Meinungs- und Wettbewerbsneutralität staatlichen Handelns."
Das OLG erläutert auch, in welchem Rahmen "staatliche Öffentlichkeitsarbeit" zulässig ist, nämlich "soweit es darum geht, Informationen aus dem staatlichen Bereich zu verbreiten. Bei Informationen über staatliche Aufgabenerfüllung geht es darum, dass Regierung und gesetzgebende Körperschaften – bezogen auf ihre Organtätigkeit – der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern (...). Für das Amtsblatt einer Gemeinde oder Stadt bedeutet dies, dass jedenfalls über die Tätigkeit des Gemeinderates und auch die Aktivitäten des Bürgermeisters und der Gemeindebehörden berichtet werden darf, soweit die Angelegenheiten der Gemeinde betroffen sind." Daraus folgt umgekehrt, dass eine pressemäßige Berichterstattung jenseits der staatlichen Informationspflichten unzulässig ist.
Ob Lesern die Mitteilungsblättchen als Informationsquelle ausreichen, obwohl die Tageszeitung wesentlich umfangreicher und journalistisch anspruchsvoller berichtet, hat die Politik nicht zu bewerten. Allerdings ist für mich problematisch, dass ein amtliches Mitteilungsblatt vermutlich kaum kritisch berichten oder Themen journalistisch hinterfragen wird. Gleichzeitig erweckt es aber als "amtliches" Mitteilungsblatt den Eindruck von Verbindlichkeit und Korrektheit.
Ob die kommunalen Mitteilungsblätter die Existenz der freien Presse tatsächlich gefährden, vermag ich heute nicht zu beurteilen. Einer solchen Fehlentwicklung müsste der Gesetzgeber natürlich begegnen. Insgesamt müssen wir geeignete Rahmenbedingungen für zukunftsfähige publizistische Vielfalt unter fairen Wettbewerbsbedingungen setzen. Dazu gehört unabdingbar auch eine möglichst vielfältige Zeitungslandschaft. Um die Presse- und Medienvielfalt zu stärken, haben wir im Koalitionsvertrag angekündigt, dass wir "mit einer Bundesratsinitiative die Voraussetzungen dafür schaffen, die Anerkennung von Journalismus als gemeinnützige Tätigkeit in der Abgabenordnung zu ermöglichen". Dies könnte eine Möglichkeit sein, auch den Lokaljournalismus zu fördern.
Weiterhin hat Staatssekretär Liminski am 5.10.2017 im Ausschuss für Kultur und Medien deutlich gemacht: "Die Herausforderungen, vor denen die Medienbranche steht, wollen wir als Chancen nutzen: unsere Anstrengungen richten wir auf den gesellschaftlichen Diskurs für eine offene, demokratische Gesellschaft, für die Freiheit, Qualität und Vielfalt von Medien ein „Muss“ sind." Dazu hat die NRW-Koalition angekündigt, mit der Medienbranche in Nordrhein-Westfalen in einen breit angelegten Dialog einzutreten. Wir wollen Akteure zusammenbringen, Impulse setzen und Debatten aufnehmen - gerne auch die um die Konkurrenz von Amtsblättern für Lokalzeitungen.