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Kompromissversuch statt Jugendmedienschutzrevolution

Was an dem kommenden Gesetz konsequenter sein könnte

Daniela Tews, Referentin Medien der Koordinierungsstelle Kinderrechte des Deutschen Kinderhilfswerkes Quelle: Cindy u. Kay Fotografie Daniela Tews Referentin Medien der Koordinierungsstelle Kinderrechte Deutsches Kinderhilfswerk 31.03.2020
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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"Im Hinblick auf das Ziel, Kinder- und Jugendmedienschutz in der Praxis einfacher und transparenter zu machen, ist der vorliegende Entwurf aus kinderrechtlicher Sicht noch nicht hinreichend", sagt Daniela Tews vom Deutschen Kinderhilfswerk. Daher hat sie noch einige Wünsche an endgültige Regelungen.







Wie fügt sich der Entwurf zum neuen Jugendschutzgesetz (JuSchG) aus Ihrer Sicht in die bestehenden Regeln der föderalen Bundesrepublik (etwa: Jugendmedienschutzstaatsvertrag/ JMStV), ein?
Der aktuell vorliegende Referentenentwurf steht angesichts des Ziels eines praxistauglichen, effizienten und kinderrechtlich ausgewogenen Jugendmedienschutzes vor einer schwierigen Herausforderung: Einerseits soll Jugendmedienschutz einfacher und effizienter werden, andererseits soll das komplizierte Zusammenspiel zwischen Bundes- und Landesgesetzgebungen berücksichtigt werden. Als kinderrechtlicher Verband erkennen wir diese interessens- und föderalpolitisch herausfordernde Gemengelage für eine Novellierung der Jugendschutzgesetzgebung durchaus an. Zugleich sollte aber bei allem Kompromisswillen nicht aus dem Blick geraten, dass bei der gesetzlichen Neuausrichtung des Jugendmedienschutzes zuvorderst die konkreten Interessen von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt gerückt werden sollten. Dafür tragen Bund und Länder, aber auch Unternehmen gemeinsam Verantwortung und müssen Eigeninteressen zurückstellen. Der aktuelle Referentenentwurf versucht beispielsweise durch Durchwirkungsregelungen zwischen JuSchG und JMStV bei der Einstufung von Gefährdungspotenzialen, durch Bezugnahme der JuSchG-Vorgaben für Vorsorgemaßnahmen auf JMStV-Standards oder durch einen zeitgemäßeren Medienbegriff eine Harmonisierung der unterschiedlichen Jugendmedienschutzgesetze. Andererseits werden aber diese Versuche nicht in jedem Fall konsequent durchgehalten und bestehende Rechtsrahmen und damit verbundene Aufsichtsstrukturen nicht maßgeblich vereinfacht. Dies kann zu einer zunehmenden Komplexität im Jugendmedienschutzsystem führen, die Orientierung für Eltern und Kinder bzw. Jugendliche sowie Prüf- bzw. Sanktionierungsverfahren eher erschwert. Kurz, der Referentenentwurf stellt einen politischen Kompromissversuch dar, keine Jugendmedienschutzrevolution.

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Der Entwurf sieht den Ausbau der Bundesprüfstelle zur Bundeszentrale für Kinder-und Jugendmedienschutz vor. Was halten Sie davon?
Aus Sicht des Deutschen Kinderhilfswerkes ist die vorgesehene Aufgabenerweiterung der Bundesprüfstelle zu einer „Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz“ sehr zu begrüßen. Wir verknüpfen damit die Hoffnung und das Potenzial der Umsetzung von kinderrechtlichen Maßstäben im Kinder- und Jugendmedienschutz durch konkrete Maßnahmen. Die durch die UN-Kinderrechtskonvention normierten Schutz-, Förderungs- und Beteiligungsaspekte im Kinder- und Jugendmedienschutz könnten hier unserer Ansicht nach zentral und kontinuierlich erhoben, gefördert, umgesetzt und evaluiert werden, beispielsweise durch Forschung, Bildung und Diskurs unter Beteiligung der Kinder und Jugendlichen selbst. Zur Förderung der gemeinsamen Verantwortungsübernahme von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, wie in §17a (2) Satz1 JuSchG-E erwähnt, können und müssen die relevanten zivilgesellschaftlichen Akteure, aber auch Kinder und Jugendliche einbezogen werden, um deren Interessen bzw. die Kinderrechtsperspektive einzubringen.
Die positiven Effekte einer solchen strukturellen Entwicklung werden von den tatsächlichen Befugnissen der Bundeszentrale und der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Mittel abhängig sein. Die Bundeszentrale sollte dabei als Servicestelle zur Unterstützung bestehender Akteure im Jugendmedienschutzsystem etabliert werden, um diese bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen.
 
Der Entwurf befasst sich mit sogenannten Interaktionsrisiken wie Cybermobbing oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen - wie bewerten Sie die diesbezüglich geplanten Regeln?
Das Deutsche Kinderhilfswerk begrüßt diese Initiative insgesamt sowie im Speziellen die Aufnahme von Interaktionsrisiken als jugendmedienschutzrelevante Risikodimension bei der Bewertung und der Kennzeichnung von Angeboten. Abgesehen von den Inhalten bergen Interaktion und Kommunikation einen wesentlichen Teil der Risiken, die die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen oder gefährden können. Cybermobbing und Cybergrooming sind zwei der geläufigsten Beispiele. Sie allein begründen unserer Ansicht nach schon die Erweiterung des Schutzauftrages in Paragraf 10 a und b des Entwurfs. Weitere Phänomene wie Kettenbriefe, Challenges (Herausforderungen, Mutproben), Beleidigungen und Hassrede, aber auch Anleitungen zu Selbstverletzungen finden zumeist unkontrolliert in Chats von Messengern wie WhatsApp oder in Kommentarleisten auf Videoportalen wie YouTube oder Vimeo, aber auch auf Social Media Plattformen wie Facebook statt. Diesen Realitäten muss ins Auge geblickt werden. Daher erscheint uns eine Berücksichtigung von Interaktionsrisiken unter sorgfältiger Abwägung von Schutz- und Teilhabeaspekten und im Sinne maximaler Transparenz und Orientierung für Kinder und Jugendliche nur folgerichtig.

Was sollte aus Ihrer Sicht in ein endgültiges JuSchG unbedingt noch aufgenommen und was unbedingt aus dem Entwurf gestrichen werden?
Im Hinblick auf das Ziel, Kinder- und Jugendmedienschutz in der Praxis einfacher und transparenter zu machen, ist der vorliegende Entwurf aus kinderrechtlicher Sicht noch nicht hinreichend, da an komplexen Strukturen im Geflecht aus Zuständigkeiten und Kompetenzen festgehalten wird. Dies erschwert das Verständnis von Regulierungsinstanzen und Jugendschutzstandards bei Erziehungsberechtigten sowie Kindern und Jugendlichen selbst und beeinträchtigt tendenziell die Akzeptanz eines Jugendmedienschutzsystems in der Praxis. Folglich plädieren wir dafür, die real längst vollzogene Medienkonvergenz – also die multimediale und zeitunabhängige Verbreitung gleicher Inhalte über verschiedene Mediensparten und Geräte – konsequenter und klarer in die Gesetzgebung aufzunehmen. Online müssen gleiche Regelungen gelten wie offline – und diese mit eindeutigem Pflichtcharakter für die Anbieter. Dies muss sich auch durch einen einheitlichen Medienbegriff abbilden. Zudem wünschen wir uns wesentlich mehr Verbindlichkeit für Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen bei der Umsetzung von Vorsorgemaßnahmen für die Anbieter.

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