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Interview16.10.2025

Inhalte-Anbieter und die Lose-Lose Falle

Warum es Strafrecht gegen Tech-Giganten braucht

Prof. Dr. Martin Andree - Medienwissenschaftler, Universität zu Köln Quelle: Florian Lechner Prof. Dr. Martin Andree Medienwissenschaftler Universität zu Köln
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"Immer größere Teile der Wertschöpfung werden hin zu den Tech-Monopolen verschoben – auf Kosten der Inhalteanbieter", konstatiert Prof. Dr. Martin Andree. Der Medienwissenschaftler der Universität zu Köln ist international gefragter Experte für digitale Medien, Interviewpartner sowie Gastautor bei führenden Medien und Konferenzen und Buchautor. Sein aktuelles Buch "Krieg der Medien" ist in diesem Sommer erschienen. Im Interview fordert Andree auch ein entschlossenes Vorgehen gegen die antidemokratische Agenda der Tech-Konzerne.





Internetbrowser und Suchmaschinen setzten zunehmend KI ein, um Inhalte direkt zusammenzufassen - was bedeutet das für die Anbieter von Inhalten?
Die Anbieter von Inhalten, die im freien Netz aktiv sind, ihre Inhalte also außerhalb der monopolistischen Plattformen anbieten, stecken hier in einer Lose-Lose Falle. Einerseits sind sie aufgrund der Monopolisierung des Traffics existenziell darauf angewiesen, dass die „Verteilstationen“ wie Google oder ChatGPT Links auf ihre Inhalte ausweisen – ohne diese würden sie noch weniger Traffic erzielen. Aber es sind dieselben monopolistischen Plattformen, die ihre Inhalte auslesen und dann aggregiert als gratis-Zusammenfassungen anbieten. Wenn sie ihre Inhalte also gegen die Crawler blocken, verlieren sie, weil ihr Traffic noch stärker einbricht. Wenn sie die Inhalte nicht gegen die Crawler blocken, beschleunigen sie dagegen nur ihren eigenen Untergang – weil dann alle Informationen auch direkt über die KI-Texte verfügbar sind.

KI-Modelle nutzen auch eigentlich geschützte Inhalte - wie sehen Sie diesen Trend?
Es gab und gibt immer wieder Fälle, bei denen Anbieter generativer KI nachgewiesen wird, dass sie auch geschützte Inhalte ausgelesen haben und in ihre Trainingsdaten integriert haben – dazu laufen auch viele Gerichtsverfahren. Anbieter haben hier kaum faire Chancen, auch durch die extremen Asymmetrien der Macht. Sicher ist, dass dieses Vorgehen der Ideologie der Digitalkonzerne entspricht, die in ähnlichen Fällen in der Vergangenheit immer wieder intentional Gesetze gebrochen haben. Bekanntlich hat noch vor kurzem Eric Schmidt, der frühere CEO von Google, Gründer von KI-Unternehmen vor laufender Kamera dazu ermuntert, geistiges Eigentum zu stehlen – und später die Anwälte die Schweinerei aufräumen zu lassen. In dieser intentionalen Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien wird die antidemokratische Agenda der Tech-Konzerne deutlich. Dagegen sollten wir entschlossen vorgehen. Die absichtliche Missachtung des demokratischen Rechtsstaats ist völlig inakzeptabel – das gilt bei Rockerbanden wie den Hells Angels, und es gilt auch für Tech-Konzerne. 

Mit Werbeformen wie gesponsorten Folgefragen gehen die Angebote auch den Werbemarkt an - was kann das für Auswirkungen haben?
KI verschiebt insgesamt die Wertschöpfung – und zwar weg von den Inhalten, und hin zu den Prozessen monopolistischer Zugangsgewährung. Interessanterweise sind die Marken hier also in derselben Falle wie die redaktionellen Medien. Denn egal ob es sich bei den Inhalten etwa um journalistische Texte handelt oder um Konsumgüter: Immer größere Teile der Wertschöpfung werden hin zu den Tech-Monopolen verschoben – auf Kosten der Inhalteanbieter. Laut einer Studie von Oliver Wyman erzielen etwa 30% aller Hersteller gar keine Gewinne mehr auf einer Plattform wie Amazon – weil diese von Jahr zu Jahr mehr digitalfeudalistische Zugangsrenten für den Marktzugang verlangt. Dasselbe werden wir auf dem ebenso monopolisierten Feld der generativen KI erleben: Entweder man bezahlt den feudalistischen Wegezoll an den Monopolisten und hat noch eine kleine Chance auf potenzielle Transaktionen. Wer den Wegezoll nicht bezahlt, existiert nicht. 

Welche Regulierung sollte die Politik auf diesem Gebiet aus Ihrer Sicht vornehmen?
Die Lage ist aktuell fast hoffnungslos. Im Zivilrecht muss der Gesetzgeber endlich klarstellen, dass das KI Training ohne Zustimmung der Urheber:innen illegal ist. Derzeit berufen sich die Big Teck Konzerne auf die sogenannte Text - und Datamining-Schranke, wonach solche Praktiken zu kommerziellen Zwecken erlaubt seien – und zwar ohne Zustimmung des Geschädigten (was von diesen aktuell übrigens angefochten wird). Nach dieser Auslegung der Tech-Konzerne müssten Urheber:innen erstens proaktiv vor eingetretener Schädigung einen opt-out erklären (was, wie oben dargestellt, quasi digitaler Selbstmord wäre, weil man sich dann selbst den Traffic abschaltet). Und zweitens erfolgt eine fatale Beweislastumkehr – der Geschädigte muss selbst den Schaden nachweisen, was aufgrund der Asymmetrie von Wissen und Macht in Auseinandersetzungen mit milliardenschweren Tech-Konzernen fast aussichtslos ist.

Als Staatsbürger empfinde aber eine viel gravierendere Gerechtigkeitslücke auf der Seite des Strafrechts. Denn die oben beschriebenen, intentionalen Rechtsverstöße haben momentan überhaupt keine strafrechtlichen Konsequenzen. Im Strafrecht müsste sichergestellt sein, das etwa Diebstahl von geistigem Eigentum genauso bestraft wird wie ganz normaler Diebstahl. Es kann nicht sein, dass ein einfacher Ladendieb, etwa bei Wiederholungstaten, ins Gefängnis muss, aber in Europa die skrupellosen Manager von Tech-Konzernen Enteignungen in Milliardenhöhe durchführen, intentional und planvoll Gesetze brechen, mögliche zivilrechtliche Geldstrafen für ihre Delikte kaltblütig vorab mit einkalkulieren, während wir diesem Treiben seit Jahren tatenlos zuschauen – und es keinerlei Gesetze gibt, die dafür sorgen, dass die verantwortlichen Manager mit entsprechenden Haftstrafen zur Rechenschaft gezogen werden. Ich finde: Akteure, die mit einer solchen Dreistigkeit öffentlich klarmachen, dass die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats für sie nicht gelten, sollten auch strafrechtlich belangt werden. Niemand darf über dem Gesetz stehen.

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