Wie fügt sich der Entwurf zum neuen Jugendschutzgesetz (JuSchG) aus Ihrer Sicht in die bestehenden Regeln der föderalen Bundesrepublik (etwa: Jugendmedienschutzstaatsvertrag/ JMStV) ein?
Aktuell wird sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene an mehreren Gesetzen gearbeitet, die sich teils deutlich bei ihrem Regulierungsziel überlappen. Prof. Dr. Marc Liesching von der HTWK Leipzig hat das sehr gut auf unserem Event „#gamechanger 2020: Jugendschutz-Update fehlgeschlagen?" erläutert. So gibt es neben dem Jugendschutzgesetz auf Bundesebene und dem Jugendmedienstaatsvertrag aufseiten der Länder auch noch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und Telemediengesetz, die sich hier teilweise in die Quere kommen. Denn jede Reform dieser Gesetze wird bisher einzeln betrachtet. Das Resultat ist ein nicht kohärenter Rechtsrahmen und damit verbunden eine große Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten. Hier braucht es dringend eine bessere Abstimmung zwischen den zuständigen Akteuren. Ansonsten drohen auch gut gemeinte Gesetze im Kompetenzwirrwarr unterzugehen.
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Der Entwurf sieht den Ausbau der Bundesprüfstelle zur Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz vor. Was halten Sie davon?
Zu dem bereits genannten Wirrwarr kommt noch eine nicht immer eindeutige Aufteilung der Kompetenzen hinzu – insbesondere zwischen Bund und den Ländern. Bereits heute sind eine Vielzahl von Aufsichtsinstitutionen im Jugendschutz aktiv. Hier wäre eine Harmonisierung dringend notwendig gewesen. Stattdessen soll nach dem aktuellen Entwurf des Jugendschutzgesetzes mit der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz sogar noch ein weiterer Akteur hinzukommen. Damit wird das eh schon unübersichtliche Aufsichtssystem noch weiter verkompliziert.
Der Entwurf befasst sich mit sogenannten Interaktionsrisiken wie Cybermobbing oder Persönlichkeitsrechtsverletzungen – wie bewerten Sie die diesbezüglich geplanten Regeln?
Die sogenannten Interaktionsrisiken gab es bei der Verabschiedung der letzten großen Reform des Jugendschutzgesetzes 2003 noch gar nicht. Das verdeutlicht, dass die Novellierung des Gesetzes dringend notwendig ist und Interaktionsrisiken hierbei eine wichtige Rolle spielen sollten. Der aktuelle Vorschlag, Interaktionsrisiken in den Alterskennzeichen zu berücksichtigen, führt jedoch in die falsche Richtung: So kann beispielsweise derselbe Film zukünftig unterschiedliche Alterskennzeichen erhalten – immer abhängig davon, wo er angeboten wird. Eine FSK-6-Freigabe auf Datenträgern könnte so zu einer FSK-12- oder FSK-16-Freigabe in Online-Videotheken mit einer Kommentarfunktion werden. Deswegen lehnen wir den aktuellen Vorschlag ab. Er verwässert und schwächt die Alterskennzeichen, die für viele Eltern und Kinder bisher eine der wenigen festen Orientierungspunkte im Jugendschutz sind. Es gibt stattdessen viel bessere Lösungen. Beispielsweise werden sogenannte „Deskriptoren" in einigen Jugendschutzbereichen bereits sehr erfolgreich eingesetzt. Mit diesen wird angegeben, ob ein Spiel beispielsweise einen In-Game-Chat oder In-Game-Käufe beinhaltet. Im Zusammenspiel mit technischen Jugendschutzlösungen, bei denen die Eltern unter anderem nur Inhalte bis zu einer gewissen Altersgrenze zulassen oder auch genau solche dynamischen Elemente wie Käufe oder Kommunikation steuern können, gelingt eine deutlich bessere Kontrolle von Interaktionsrisiken. Das beschädigt die Alterskennzeichen nicht und schafft Transparenz für Eltern und Kinder. Ein Jugendschutzgesetz sollte die besten Lösungen befördern, anstatt sich Dinge auszudenken, die der Medien- und Erziehungsrealität widersprechen.
Was sollte aus Ihrer Sicht in ein endgültiges JuSchG unbedingt noch aufgenommen und was unbedingt aus dem Entwurf gestrichen werden?
Am aktuellen Gesetzentwurf gibt es einiges zu kritisieren. Das fängt bereits bei der Grundprämisse an: Die Vermittlung von Medienkompetenz und damit auch die Schaffung einer Mediensouveränität von Kindern und Jugendlichen sowie der Aspekt der Teilhabe spielen so gut wie keine Rolle. Auch die Medienkonvergenz wird kaum beachtet. Zwar spielt der Entwurf erst mit einem gemeinsamen Medienbegriff, macht dann aber schnell wieder Ausnahmen für einzelne Gattungen wie den Rundfunk. Auch lässt der Entwurf jegliche internationale Perspektive vermissen. Denn einerseits ist das Jugendschutzsystem nach dem Entwurf international weiterhin wenig anschlussfähig. Andererseits werden sogar die selbstgesteckten Ziele verfehlt. Denn kaum ein soziales Netzwerk oder ein Messenger-Anbieter hat seinen Sitz in Deutschland. Da aber EU-weit das Herkunftslandprinzip gilt, laufen die gefassten Regelungen gerade bei Plattformen wie TikTok oder WhatsApp, die der Entwurf explizit adressieren sollte, komplett ins Leere. Insbesondere diese nur beispielhafte Liste an dringend notwendigen Verbesserungen des Gesetzesentwurfs zeigt, das aktuell noch Gesprächsbedarf besteht und zwar nicht nur mit der Wirtschaft, sondern auch mit den Ländern, den Selbstkontrollen, der Wissenschaft und weiteren Akteuren des Jugendschutzes. Dahingehend haben sich auch alle Beteiligten auf unserer Diskussionsveranstaltung „#gamechanger" ausgesprochen. Nur gemeinsam können wir ein modernes, konvergentes und international anschlussfähiges Jugendschutzgesetz erreichen – im Alleingang wird das nichts. Als Games-Branche stehen wir mit unserer Expertise hierfür gerne zur Verfügung.