Politik und Gesellschaft debattieren intensiv über Fake News. Was unterscheidet Fake News von klassischen Zeitungsenten oder schlichten Lügen?
Zeitungsenten gehen meist auf Fehler im journalistischen Recherche- und Prüfverfahren zurück. Der Begriff signalisiert ja schon, dass man sich über die Redaktionen ein wenig lustig macht, denen Fehler unterlaufen sind. Dem gegenüber steht die gezielte Unwahrheit in der Öffentlichkeit, die es schon immer gab – nicht nur in Kriegszeiten und Diktaturen, sondern auch in der Demokratie. Denken Sie an die bewussten Verfälschungen und maßlosen Übertreibungen der Bildzeitung, die mannigfaltig dokumentiert sind – und die leider nicht selten auch von anderen Medien ungeprüft übernommen wurden, wie zum Beispiel bei den Vorwürfen gegen den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff 2012. Oder an politische Skandale, bei denen Politiker mit Lügen den politischen Gegner diskreditieren wollten – wie zum Beispiel bei der Barschel-Affäre in den 1980er Jahren, die vom „Spiegel“ aufgedeckt wurde.
Das Phänomen der Falschmeldungen ist also nicht neu – aber gleichzeitig doch neu. Und das Neue wird jetzt als „Fake News“ bezeichnet: Im Internet und vor allem in Sozialen Medien kann sich jeder an der Entstehung und Verbreitung von Falschmeldungen beteiligen; die prüfende Instanz des Journalismus kann umgangen werden. Die „gefühlte Wahrheit“ tritt in so mancher digitalen Debatte an Stelle des belegten Anspruchs auf Wahrheit. Teile der Bevölkerung sind in ihrem Widerwillen gegen „die da oben“ bereit, Tatsachen zu ignorieren und offensichtliche Lügen zu teilen. Hinzu kommt die gezielte Diskreditierung des Journalismus mit Kampfbegriffen aus dem Nationalsozialismus.
Bei der Bundesregierung ist ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ im Gespräch. Welche Regulierungen halten Sie für nötig?
Wäre das dann wohl das „Wahrheitsministerium“, das Georg Orwell im Buch „1984“ beschrieben hat? – Nein, nicht der Staat sollte Fakten in öffentlichen Debatten überprüfen, sondern ein unabhängiger Journalismus. Wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern müssen zusehen, dass unsere Gesetze auch auf Facebook oder Twitter durchgesetzt werden, also Hass-Postings schnell gelöscht und Verleumdungen strafrechtlich verfolgt werden. Allerdings könnte die Mindeststrafe bei Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede im Internet heraufgesetzt werden, weil bislang Verfahren häufig eingestellt werden, und Anzeigemöglichkeiten sollten vereinfacht werden: Opfer müssen besser motiviert werden, überhaupt die Polizei einzuschalten – etwa über Online-Strafanzeigen, die noch nicht in allen Bundesländern möglich sind.
Das Soziale Netzwerk Facebook hat angekündigt, das Melden von Fake News zu vereinfachen, mit externen Faktencheck-Spezialisten zusammenzuarbeiten und die Einnahmequellen der Autoren gefälschter Nachrichten auszutrocknen. Was erwarten/fordern Sie von den Betreibern sozialer Netzwerke?
Nun, die Kooperation von Facebook mit journalistischen Organisationen – wie in Deutschland mit Correctiv – ist zunächst einmal interessant und vielversprechend. Aber wir wissen noch zu wenig, wie Correctiv im Detail bei der Prüfung von Facebook-Inhalten vorgehen wird. Leicht wird das mit Sicherheit nicht. Ganz offensichtlich falsche Tatsachenbehauptungen können natürlich leichter widerlegt werden als weitreichende politische Einschätzungen, über die es in der öffentlichen Debatte (noch) keinen Konsens gibt – etwa Beschuldigungen, wer einen (Bürger-)Krieg angezettelt oder begonnen hat.
Politiker der SPD fordern einen „Schulterschluss der Demokraten gegen Mittel wie manipulative „Social Bots“ und den gemeinsamen Kampf gegen „Fake-News“. Was kann und muss die Gesellschaft aus Ihrer Sicht tun?
Das Internet hat uns allen eine riesige Freiheit gebracht: Quellenvielfalt, Informations- und Meinungsfreiheit waren noch nie so groß. Mit Freiheit kommt immer auch Verantwortung. Jeder von uns steht zum Beispiel in der Pflicht, Meldungen auf Facebook zu prüfen, bevor man liked oder weiterleitet. In dieser unübersichtlich gewordenen Welt, muss jeder sein Informationsverhalten prüfen: Welchen Quellen vertraue ich? Was „erzähle“ ich weiter? In welcher Echokammer bzw. Filterblase stecke ich selbst? Bin ich bereit, für guten Journalismus zu bezahlen? – Nicht zuletzt ist das eine große Herausforderung für die Medienbildung.
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