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Der Staat darf keine Zensur vornehmen

Was stattdessen gegen Fake News getan werden soll

Tabea Rößner, MdB Sprecherin für Medien, Kreativwirtschaft und digitale Infrastruktur Obfrau im Ausschuss für Kultur und Medien, Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Quelle: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tabea Rößner MdB Sprecherin für Medien, Kreativwirtschaft und digitale Infrastruktur Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN 26.01.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Die Betreiber sozialer Netzwerke kommen nach Einschätzung der Grünen Medienpolitikerin Tabea Rößner in Sachen Fake News ihren Pflichten nicht nach. Staatlicher Zensur muss allerdings "von Anfang an ein Riegel vorgeschoben werden"







Politik und Gesellschaft debattieren intensiv über Fake News. Was unterscheidet Fake News von klassischen Zeitungs-Enten oder schlichten Lügen?
Bei der Debatte um Fake News geht es um die gezielte Verbreitung von unwahren Tatsachenbehauptungen – da ist eine schlichte Lüge, nichts anderes, nur dass dies hier eben gerade gezielt und massenhaft über die digitalen Kommunikationsplattformen erfolgt. Eine Zeitungs-Ente ist eher ein „Versehen“, der oder die Journalist/in hat die publizistische Sorgfaltspflicht nicht richtig beachtet oder aber auch eine erlaubte Verdachtsberichterstattung stellt sich hinterher als falsch raus.

Unter Fake News fallen allerdings verschiedene Konstellationen, etwa auch ein absichtlich so weit verzerrter Sachverhalt, dass dadurch ein falsches Bild entsteht. Zudem muss man zwischen solchen Falschmeldungen unterscheiden, die direkt Rechtsgüter Dritter verletzen – und jener, die ohne eine direkte Betroffenheit einfach eine Lüge erzählen. Je nachdem, was vorliegt, gibt es andere rechtliche Möglichkeiten, auch der Ansatzpunkt für den Umgang unterscheidet sich.

Bei der Bundesregierung ist ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ im Gespräch. Welche Regulierungen halten Sie für nötig?
Eine gerne auch als „Wahrheitsministerium“ bezeichnete zentrale Behörde wäre ein vollkommen falscher Weg. Der Staat darf keine Zensur vornehmen, daher muss staatlicher Zensur von Anfang an ein Riegel vorgeschoben werden.

Bei Fragen der Regulierung muss man differenzieren: Bei Falschmeldungen mit persönlichkeitsrechtsverletzendem Charakter ist das bisherige Verfahren von Facebook  höchst unzureichend. Soziale Plattformen sind nach Kenntnisnahme eines rechtsverletzenden Beitrags auch zum Handeln verpflichtet. Es gilt das Notice-and-take-down-Prinzip. Aber ganz offensichtlich funktioniert das nicht. Hier ein aktuelles Beispiel: Ein Flüchtling macht mit Kanzlerin Merkel ein Selfie. Das Foto wird auf Facebook 100-fach geteilt – mit der falschen Information, hier handele es sich um einen der Straftäter, die einen Obdachlosen haben anzünden wollen. Das ganze landet jetzt tatsächlich vor dem Landgericht Würzburg, weil Facebook eben nicht gehandelt hat - mit der Begründung, die eigenen Community-Standards würden hier nicht zutreffen.

Was auch immer da konkret das Problem war - das Beispiel zeigt jedemfalls: Es fehlt an Effektivität, Transparenz und klaren Ansprechpartnern, zudem gibt es auch keine Regelung über Fristen, bis wann Anliegen zu bearbeiten sind. Ombudsmänner und –frauen, also unabhängige Leute, könnten hierbei eine neutrale Funktion einnehmen, etwa Rügen annehmen und in Zweifelsfällen aktiv werden. So können Persönlichkeitsrechtsverletzungen schnell begegnet und aufwändige gerichtliche Verfahren vermieden werden. Für den Fall, dass es nicht zu einer Einigung kommt, steht der Weg zur gerichtlichen Klärung natürlich weiterhin offen.

„Falschmeldungen“, in denen es keinen direkt in seinen Rechtsgütern Betroffenen gibt, sind und bleiben Lügen. Und sie sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, denn sie tragen nicht zum Meinungsbildungsprozess bei. Im Sinne einer wahrhaftigen und vernunftgesteuerten gesellschaftlichen Debatte müssen wir uns dieses Problems daher dringend annehmen.

Das Soziale Netzwerk Facebook hat angekündigt, das Melden von Fake News zu vereinfachen, mit externen Faktencheck-Spezialisten zusammenzuarbeiten und die Einnahmequellen der Autoren gefälschter Nachrichten auszutrocknen. Was erwarten/fordern Sie von den Betreibern sozialer Netzwerke?
Die Idee, Journalisten wie die von correctiv! einzubeziehen, ist ein guter Ansatz. Es braucht aber erstens auf Dauer mehr Leute, zweitens ist natürlich insbesondere die Unterscheidung zwischen einer Tatsachenbehauptung und einer Meinungsäußerung aber in der Praxis häufig äußerst komplex. Daher finde ich Löschen schwierig, da kann es schnell zur Verletzung von Meinungsfreiheit kommen. Zur Erinnerung: Es geht ja hier gerade nicht um Fälle, in denen Rechtsgüter Dritter betroffen sind. Ein Warnhinweis ist eine gute Idee, dem sollte aber stets auch immer eine Erklärung/Erläuterung über das Warum beigefügt sein: Diese Transparenz verhindert Spekulationen und erweitert zudem maßgeblich das Meinungsbild der Nutzerinnen und Nutzer. Zur Koordinierung, für Rügen und zur Überprüfung der Vorgänge wäre auch hier über eine unabhängige selbstregulierende Instanz, vergleichbar dem Presserat, nachzudenken. Des Weiteren muss man natürlich überlegen, wer diese Arbeit übernehmen soll und wie das Ganze finanziert wird.

Politiker der SPD fordern einen „Schulterschluss der Demokraten gegen Mittel wie manipulative ‚Social Bots‘ und den gemeinsamen Kampf gegen ‚Fake-News‘“. Was kann und muss die Gesellschaft aus Ihrer Sicht tun?
Demokratische Parteien müssen sich geschlossen gegen Fake News stellen. Diese Entwicklung betrifft die Qualität unseres demokratischen Gemeinwesens, wie wir uns informieren und gemeinsam debattieren können. Nicht nur die Parteien, sondern wir alle sind gemeinsam in der Verantwortung, die Bedingungen für eine freiheitlich demokratische Willensbildung und damit auf Wahrheit nach unseren Möglichkeiten umzusetzen. Das bedeutet eben auch, mit sozialen Medien vorsichtig umzugehen, Quellen zu überprüfen, einen breiten Mix an Nachrichten für diesen Willensbildungsprozess zuzulassen. Für Medien bedeutet es, ihre Verantwortung wahrzunehmen, alles zu tun, um Falschnachrichten und gezielte Desinformationskampagnen den Wind aus den Segeln zu nehmen – und für Journalistinnen und Journalisten, genau zu arbeiten, sich auf qualitative Berichterstattung zu konzentrieren – das ist besser als alle Skandalisierung oder „Eilmeldisierung“ der heutigen Welt.

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