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Fake News infizieren uns nicht einfach so

Gegen Fake News hilft keine Zauberformel, sondern nur das genaue Prüfen von Plausibilitäten

Dr. Anne Ulrich, Eberhard Karls Universität Tübingen Quelle: Martin Frech Dr. Anne Ulrich Eberhard Karls Universität Tübingen 20.02.2017
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Dr. Anne Ulrich von der Eberhard Karls Universität Tübingen appelliert in einem Gastbeitrag an Journalisten und Wissenschaftler: „Sie sollten ihr Handwerk besonnen ausüben und uns alle in ihm schulen, anstatt mit Zauberformeln Alarm zu schlagen.“







Wer in den 1970er Jahren nach ‚Bewusstseinserweiterung‘ suchte, rauchte etwas Gras, warf LSD ein oder begab sich auf spirituelle Erleuchtungsreisen. Heute, glaubt man Heribert Prantl, genügt schon ein Blick in die Nachrichten: „Fake News wirken wie Halluzinogene, wie Rauschpilze, sie rufen Veränderungen in Wahrnehmung und Denken hervor.“ Die politische Lüge sei „epidemisch“ geworden – was wir bräuchten, sei eine „öffentlich-rechtliche Entgiftungsstelle“. Lügen, Verleumdungen und radikale Meinungen, die im Gewand objektiver Nachrichten daherkommen und in den sozialen Medien eine enorme Reichweite erzielen, sind ein ernsthaftes Problem für die öffentliche Meinung und damit auch für die Demokratie. Aber hilft es, nach einer Detox-Station für die gesamte Gesellschaft zu rufen?

Prantl ist nicht der einzige, der beim Thema Fake News zu denkwürdigen Metaphern greift. Auch Hillary Clinton sprach von einer „Epidemie boshafter Fake News und falscher Propaganda“, welche die sozialen Medien im vergangenen Jahr überflutet habe. In Politico werden gewiefte Fake-News-Entlarver mit weißen Blutkörperchen verglichen, die gegen eine Infektionskrankheit kämpfen. Und erst vor kurzem nährte eine Forschergruppe um Sander van der Linden von der Universität Cambridge die Hoffnung, man könne die Menschen gegen das hochansteckende Virus der Fake News sogar psychologisch „impfen“. Leichtfertig bedienen sich Journalisten wie Wissenschaftler aus dem Bildbereich der Medizin, um Fake News mit rhetorischen Mitteln zu bekämpfen. Die Technik ist nicht neu – verglich doch schon der antike Redner und Redelehrer Gorgias die Rede mit dem ‚Pharmakon‘. Das kann als ‚Droge‘ übersetzt werden, aber auch als ‚Heilmittel‘ und ist somit ein an sich neutrales Bild für die Wirkung der Rhetorik. Gorgias gilt als eine Figur des Übergangs, in dessen Denken sich magische mit rationalen Wirkungsvorstellungen vermischen. Wer sich heute, bewusst oder unbewusst, in seine Tradition stellt, rückt die Macht der Persuasion also auch wieder zwangsläufig in die Nähe der Zauberei.

Fake News sind ohne jeden Zweifel höchst problematisch – und zwar in jeder möglichen Bedeutung dieses momentan recht strapazierten Begriffs: Es ist problematisch, wenn gezielte Lügen, Falschmeldungen und Gerüchte ihren wahren Charakter verschleiern und in der Form vertrauenswürdiger und geprüfter Informationen daherkommen. Es ist auch problematisch, wenn intelligente, selbst lernende Computerprogramme so tun, als wären sie menschliche Nutzer, die bestimmte Medieninhalte teilen und kommentieren und diesen Inhalten dann zu großer öffentlicher Sichtbarkeit verhelfen. In beiden Fällen wird das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer in den Journalismus und in den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung missbraucht.

Wenn Kommunikatoren mit frei erlogenen oder stark verzerrten Informationen so radikal in die öffentliche Meinung eingreifen wollen, ist die Schwelle zur Propaganda längst überschritten. Indem sich propagandistische Pamphlete als Nachrichten verkleiden, höhlen sie die Autorität der gesellschaftlich anerkannten Institution des Journalismus immer mehr aus. Dass dies in den USA von höchster Stelle unterstützt wird, trägt keineswegs zur Beruhigung der Lage bei. Im Gegenteil: Der US-Präsident schürt gezielt Misstrauen gegenüber der vierten Gewalt, indem er journalistische Schwergewichte wie etwa die New York Times oder CNN reflexhaft und ohne jeglichen Beleg als „Fake News“-Organisationen verunglimpft.

All diese Entwicklungen sind in der Tat besorgniserregend. Es ist wichtig, sie gleichermaßen kritisch und besonnen zu verfolgen und den Nutzerinnen und Nutzern jeden Tag aufs Neue zu beweisen, dass sie auf journalistische Qualität vertrauen können. Wer aber mit drastischen Metaphern in den Kampf gegen Fake News zieht, zeigt nur, dass er ihnen mittlerweile so ziemlich alles zutraut. Und selbst auch nicht mehr so klar zwischen Begriff und Bezeichnung unterscheidet. Fake News sind in ihren Täuschungsabsichten zweifellos verwerflich – aber sie bringen ihre Leser nicht automatisch in einen Rausch oder ins Krankenbett. Genauso wenig waren sie wohl der alles entscheidende Faktor im US-Wahlkampf.

Obgleich mittlerweile die Mehrheit der US-Bürger ihre Nachrichten über soziale Medien empfangen und gezielte Falschmeldungen nachweislich eine große Verbreitung erfahren haben (diejenigen zu Gunsten von Donald Trump wurden insgesamt 30 Millionen Mal geteilt), kommen Hunt Allcott und Matthew Gentzkow in ihrer Studie zum Ergebnis, dass Fake News nicht wahlentscheidend waren. Dazu hätte jede einzelne Fake-News-Geschichte die Persuasionsleistung von 36 Fernsehwerbespots benötigt. Ihre Befunde deuten zudem darauf hin, dass insbesondere diejenigen Personen Fake News glaubten, die deren verzerrende Aussagen von vornherein für plausibel hielten. Insofern kann Fake News zwar ein gewisser Verstärker-Effekt zugeschrieben werden, nicht jedoch eine bewusstseinsverändernde Wirkung.

Wie lässt sich nun gegen Fake News vorgehen? Wie eingangs erwähnt, hat ein Team von Psychologen, Meinungsforschern und Kommunikationswissenschaftlern dazu jüngst die Impftheorie aus dem Theorieschrank der Persuasionsforschung hervorgeholt. Der Ansatz betrachtet Falschinformationen mit gezielten Täuschungsabsichten wie hochansteckende Krankheitserreger, vor denen Menschen präventiv geschützt werden können. Dazu werden sie unter kontrollierten Bedingungen mit einer kleinen Dosis der Erreger (Falschinformationen) konfrontiert, bilden Antikörper (Gegenargumente) aus und sind fortan gewappnet für den Umgang mit Fehlinformationen. Dies mag eine durchaus erfolgreiche Strategie sein, wenn es – wie im Fall der Studie – um ein relativ klar umrissenes, aber gleichzeitig stark polarisierendes Thema wie den Klimawandel in den USA geht. Hier sind die wichtigsten Positionen und Argumentationen bekannt, so dass die Forschung womöglich sogar einen kurzfristig effektiven „Impfstoff“ für Klimawandelskeptiker entwickeln kann.

Doch insgesamt täuscht auch hier die Analogie: Fehlinformationen „infizieren“ uns nicht einfach so, genauso wenig „immunisiert“ uns ein gezielter rhetorischer Impf-Cocktail. Sprache und Bilder werden eben nicht intravenös injiziert, sondern immer noch kognitiv aufgenommen, verarbeitet und entschlüsselt – auch Gorgias war überzeugt, dass Worte auf die Seele wirken und nicht auf den Körper. Langfristig kann sich daher nur vor Fake News schützen, wer eine gewisse Erfahrung und Fertigkeit im Prüfen von Plausibilitäten hat. Journalisten und Wissenschaftler gelten eigentlich als Meister dieses Fachs. Sie sollten ihr Handwerk besonnen ausüben und uns alle in ihm schulen, anstatt mit Zauberformeln Alarm zu schlagen.

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