Die Bundesregierung will die Wirtschaft über ein Bürokratieentlastungsgesetz in Milliardenhöhe entlasten. Wie groß ist der Druck für die Unternehmen durch zu viel Bürokratie?
Der Druck der Bürokratie auf Unternehmen ist sowohl erheblich als auch kostspielig. Aktuelle Studien und Umfragen unter Unternehmern zeigen, dass der administrative Aufwand, der durch gesetzliche Vorschriften, Dokumentationspflichten und behördliche Anforderungen entsteht, nicht nur eine erhebliche Zeitinvestition erfordert, sondern auch direkte finanzielle Belastungen mit sich bringt. Studien haben ebenfalls gezeigt, dass Bürokratie insbesondere kleine und mittlere Unternehmen überproportional trifft. In nackten Zahlen: 2022 ist der jährliche Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft um fast eine dreiviertel Milliarde Euro gestiegen, der einmalige Erfüllungsaufwand um fast 7 Milliarden Euro.
Dennoch muss man festhalten, dass das Thema Bürokratie auch eine psychologische Komponente hat. Der Bürokratiekostenindex war Ende 2023 auf dem niedrigsten Wert seit seiner Einführung 2012. Trotzdem klagen Unternehmen heute spürbar mehr über die Belastung durch Bürokratie. Aus meiner Sicht hat das viel damit zu tun, dass wir die Effizienzgewinne und Vereinfachungen durch die Digitalisierung in den Unternehmen in dieser Form nicht auf staatlicher Ebene wiederfinden. Wir haben uns daran gewöhnt, dass im Alltag vieles einfacher und schneller geht und hier gibt es eine große Diskrepanz zu den Mühlen der Verwaltung, die deutlich langsamer mahlen.
Der Entwurf für ein Bürokratieentlastungsgesetz IV sieht etwa kürzere Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege vor. Wie finden Sie das?
Das ist eine lobenswerte und überfällige Einzelmaßnahme. Von diesen gibt es auch eine ganze Reihe – 80 an der Zahl – im BEG IV, wie etwa die Abschaffung der Hotelmeldepflicht für deutsche Staatsangehörige. Allerdings ist es eben auch kein großer Wurf. Bürokratieentlastung muss in Deutschland aus meiner Sicht nicht nur kontinuierlich und nachhaltig betrieben werden, es muss ein Teil der Staatsräson werden, ein Grundsatz des staatlichen Handelns, denn es ist ein ganz zentraler Wettbewerbs- und Standortfaktor im digitalen Zeitalter.
Und in diese Richtung habe ich mir – wie viele Unternehmerinnen und Unternehmer auch – deutlich mehr von der Ampel erhofft. Wenn wir dieses Selbstverständnis eines modernen Dienstleistungsstaates nicht etablieren können, werden wir in ein paar Jahren wieder über die Sinnhaftigkeit von ein paar Einzelmaßnahmen in einem BEG X sinnieren. Das kann und darf aber nicht unser Anspruch sein.
Mehr Verwaltungsvorgänge sollen digital möglich sein. Wie ist Deutschland darauf vorbereitet?
Nach dem Debakel rund um das Onlinezugangsgesetz (OZG) muss ich nüchtern feststellen: Der deutsche Verwaltungsapparat ist, was die Bereitstellung digitaler Services angeht, derzeit nicht wettbewerbsfähig. Wenn das OZG etwas positives haben sollte, dann ist es die Erkenntnis, dass zu einer Modernisierung durch Digitalisierung mehr dazu gehört, als nur Prozesse zu digitalisieren. Das ist zwar ein wichtiger Faktor, es braucht aber neben Prozessen auch eine Strategie für die moderne Verwaltung im digitalen Zeitalter. Jetzt gibt es zwar ein paar wichtige digitale Verwaltungsprozesse, die in Teilen auch gut laufen, aber gerade für den Mittelstand und KMU in ländlichen Regionen ist es wichtig, dass Digitalisierung und Dienstleistungsfähigkeit auch in den kleinsten Amtsstuben ankommt.
Was sollte aus Ihrer Sicht noch in einem endgültigen Gesetz stehen - und was keinesfalls?
Ich will hier keine Einzelmaßnahmen herausstellen, diese Fragen können und sollten Fachverbände und Innungen am besten beantworten. Aus der Perspektive eines großen Multi-Branchen-Verbands wie dem DMB wäre es mir deutlich wichtiger, dass wir beim Thema Bürokratieabbau weg von Lippenbekenntnissen und kleinklein und hin zu einem neuen Verständnis und einer neuen Partnerschaft von Verwaltung und Wirtschaft gelangen. So, wie es übrigens auch im Koalitionsvertrag der Ampel steht.