Für die geplanten EU-Regeln werden KI-Anwendungen in Risikogruppen ein geteilt – wie bewerten Sie diesen Ansatz?
Derzeit gibt es noch keine weltweit gültigen KI-Zertifizierungen, wir benötigen sie aber, um nutzenbringende KI-Anwendungen voranzubringen und gefährliche Entwicklungen einzubremsen. Eine gut gemachte KI-Regulierung erhöht durch die geschaffene Transparenz das Vertrauen in neue Technologien. Daher halte ich den Risikogruppen-Ansatz der EU für richtig. Gleichzeitig sehe ich, dass sich der Gesetzgeber sich zur konkreten Ausgestaltung und Umsetzung Gedanken machen muss. Denn: Wird zu stark kategorisch gedacht, könnte dies nicht nur die Anwendung einzelner Technologien wie beispielsweise generative KI blockieren, sondern auch die Gründerszene lähmen.
Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang einen breiteren gesellschaftlichen Diskurs zu KI und ihren Anwendungen. Wegen der Komplexität des Themas findet die öffentliche Auseinandersetzung derzeit nur eher oberflächlich statt. Die Herausforderung der kommenden Jahre wird nicht die Abwendung einer (äußerst unwahrscheinlichen) Auslöschung der Menschheit durch KI sondern die Nutzung und Wertschöpfung durch KI-Technologien in unserem Alltag sein. Und diese muss – auch – in Europa passieren. Wir dürfen dieses Feld nicht den Wettbewerbern in Südostasien und anderswo überlassen.
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Bestimmte KI-Systeme sollen gänzlich verboten werden, etwa wenn sie für Social Scoring eingesetzt werden. Wie finden Sie das?
Grundsätzlich gilt: Künstliche Intelligenz darf ausschließlich zum Wohle des einzelnen Menschen und der Gesellschaft eingesetzt werden. Diese europäische Perspektive unterscheidet sich übrigens stark von der anderer Erdteile, in denen oft ökonomische oder gar totalitär-staatliche Interessen zentral sind. In Europa setzen wir auf eine KI, die die Menschen und unsere demokratischen Gesellschaften stärkt. Dieses Miteinander und Nebeneinander von individuellen und gesellschaftlichen Interessen muss in einem von Wissenschaft und Gesellschaft miteinander geführten Diskurs weiter geschärft werden.
Mit Blick auf Social Scoring sollte auch das Potenzial der KI zur Unterstützung bei schwierigen und zeitkritischen Entscheidungen in komplexen Situationen gesehen werden, z.B. in Pandemien oder Katastrophensituationen. Selbstverständlich muss jede Anwendung entlang der gültigen Datenschutz-Auflagen und unter Wahrung von Persönlichkeitsrechten erfolgen.
Insbesondere in Bayern haben wir in der baiosphere, dem Bayerischen KI-Netzwerk, viele international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich explizit dieser Thematik annehmen: Professor (und Unternehmer) Sami Haddadin, Vorsitzender des Bayerischen KI-Rats, entwickelt an der TU München Pflegeroboter. Er bezieht ethische Aspekte bereits von Beginn an in die Entwicklung seiner Systeme ein. Oder Medizin-Professorin Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, die sich dafür stark macht, medizinische Daten unter Wahrung des Datenschutzes für innovative KI-Anwendungen zu nutzen, um Leben zu retten.
Kritiker befürchten, dass insbesondere innovative Start-ups durch die Regulierung gebremst werden könnten. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?
Im Freistaat Bayern finden Gründer ein europaweit einzigartiges Ökosystem aus Hochschulen, Inkubatoren, Hightech Global Players und Venture Capital vor, das eine äußerst dynamischen Startup Szene befeuert. Allein 13 Unicorns haben hier ihren Ursprung. Mit der Bayerischen KI-Agentur möchten wir das KI-Startup-Feld im Bereich KI weiter stärken. Unter der Marke baiosphere bringen wir Talente, renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Startups und Unternehmen mit Enablern, Investoren und politischen Entscheidungsträgern zusammen. Die Aktivierung und Pflege dieses Netzwerkes halte ich, gerade auch mit Blick auf den European AI Act, für sehr wichtig.
Generell gesehen gibt es in Deutschland manche innovationshemmende Hindernisse, die Gründerinnen und Gründer besonders hart treffen – zeitlich und finanziell. Ich nenne nur die Stichworte Bürokratie in der Verwaltung, Zertifizierungen und unübersichtliche Förderprogramme. Eine KI-Regulierung kommt da noch dazu und darf KI-Innovationen nicht weiter verkomplizieren oder ihn gar verunmöglichen. Ich habe aber die Hoffnung, dass sich in Europa eine Art Gütesiegel „AI made in Europe“ entwickelt, die am Ende geschäftsfördernd wirkt.
Was sollte aus Ihrer Sicht unbedingt in einem endgültigen Regelwerk stehen - und was auf keinen Fall?
Auch hier komme ich gerne auf den Begriff der menschenzentrierten KI, zum Wohle des Menschen und der Gesellschaft, zurück. Meiner Ansicht nach sollte sich im Regelwerk unbedingt eine wohlgesetzte Balance zwischen Persönlichkeitsrechten und öffentlichem Interesse sowie wirtschaftlichen Freiheiten wiederfinden. Aus vielen Gesprächen mit den KI-Expertinnen und Experten in der baiosphere ziehe ich aber auch den Schluss, das wir erst am Beginn der Entwicklungen der disruptiven Technologie Künstliche Intelligenz stehen. Daher halten ich die Menschenzentriertheit und Anpassungsfähigkeit eine EU-Regelwerkes für besonders wichtig.