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Erst untersuchen dann regulieren

Wie umgehen mit Kindern im Netz und als Influencer?

Prof. Dr. Thomas Irion, Direktor Zentrum für Medienbildung (ZfM) Quelle: Zentrum für Medienbildung (ZfM) Prof. Dr. Thomas Irion Direktor Zentrum für Medienbildung (ZfM) 23.10.2018
INITIATOR DIESER FACHDEBATTE
Uwe Schimunek
Freier Journalist
Meinungsbarometer.info
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Mit Blick auf das auch für Kinder allgegenwärtige Internet ist für Prof. Dr. Thomas Irion vom Zentrum für Medienbildung (ZfM) "unverzüglich ein Maßnahmenplan für den Schutz von Heranwachsenden zu entwickeln." Es brauche im Einzelfall auch Verbote, aber vor allem Vorbereitung auf das Leben in der digitalen Welt.







Kinder sind inzwischen häufig als Protagonisten in Internetvideos zu sehen. Sehen darin eher eine Chance, weil Kinder so mit moderner Kommunikationstechnik umgehen lernen - oder eher Gefahren für die Persönlichkeitsentwicklung?
Die Kinder von heute sind die Erfinder, Politiker, Künstler und Lehrer von morgen. Aus diesem Grund sind Kinder nicht nur vor möglichen Gefahren digitaler Medien zu schützen und dabei zu fördern, Medien für Lernprozesse und Unterhaltung altersgerecht zu nutzen.   Sie müssen vielmehr auch lernen, digitale Medien für die Gestaltung der Welt zu nutzen. Dazu gehört auch, dass Kinder lernen, mit Videos ihre Sichtweise darzustellen und diese mit anderen zu diskutieren. Seit Einführung des Fernsehens und nun durch die Digitalisierung werden die traditionellen Kommunikationsformate Gespräch und Schrift durch neue Kommunikationsformen erweitert. Bislang wurde angenommen, dass audiovisuelle und digitale Medien nur technischer Einführungen bedürfen. Inzwischen wird aber immer deutlicher, dass die Förderung von Kritikfähigkeit und von Kompetenzen zur kreativ-gestaltenden Nutzung digitaler Medien ebenso wichtig ist. Hier besteht in den Bildungsinstitutionen großer Nachholbedarf. Es gibt in Deutschland keine Grundschule, die nicht in die Verwendung der Schrift einführt. Dies geschieht nicht nur, damit Kinder lernen Texte zu lesen und sich an die bestehende Welt anzupassen. Dies geschieht auch, damit junge Menschen die Schrift nutzen können um Erlebnisse und Eindrücke festzuhalten, ihre Gedanken zu strukturieren, Erlebtes und Aussagen Anderer zu reflektieren, neue Ideen zu entwickeln und ihre Gedanken mitzuteilen. Auch digitale Videos bieten diese Möglichkeiten. Hier versäumen Schulen und Eltern aber häufig eine gezielte Förderung. Da allerdings Internetvideos für lange Zeit im Netz bleiben und missglückte Videos Kinder im schlimmsten Fall ein Leben lang verfolgen können, müssen frei zugängliche Internetvideos von Kindern kritisch bewertet werden. Dies gilt auch für zu einer Person zuordenbare Texte. Es muss in jedem Fall gewährleistet sein, dass die ersten Gehversuche bei der Produktion von Videos und Texten in einem geschützten Rahmen erfolgen und Veröffentlichungen verantwortlich begleitet werden. Hier sind in Deutschland die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.

Neben vielen unkommerziellen Videos gibt es auch solche, in denen Kinder als sogenannte Influencer auftreten – sehen Sie auf diesem Gebiet Regulierungsbedarf?
Die kommerzielle Verwertung von Kinderbeiträgen ist sehr zwiespältig. Einerseits muss natürlich auch Kindern die Möglichkeit gegeben werden, an den kulturellen Entwicklungen nicht nur passiv, sondern auch gestaltend (also auch als Influencer) teilzuhaben, andererseits besteht die Gefahr, dass Kinder für kommerzielle Interessen ausgebeutet, auf einmalige Aussagen („Kindheitssünden“) festgelegt werden oder in ihrer Entwicklung behindert werden. Die mit einer öffentlichen Kindheit verbundenen Gefahren sind kein neues Phänomen. Auch Kinderstars wie Elizabeth Taylor, Michael Jackson oder Sportler wie Boris Becker und Katharina Witt opferten zu großen Teilen ihre Kindheit der Karriere. Die Entwicklung von Onlinevideos betrifft nun allerdings nicht nur Einzelne, sondern ermöglicht einen Wettbewerb zwischen unzähligen möglichen Kinderstars. Aus diesem Grund halte ich die Diskussion dieses Themas für dringlich. Vor einer Regulierung wäre allerdings eine systematische wissenschaftliche Darstellung der aktuellen Entwicklungen und anschließende Bewertung durch ein Expertengremium aus Entwicklungspsychologen und Bildungsexperten für diesen Altersbereich erforderlich, um geeignete Regulierungsmaßnahmen zu überlegen. Dies muss angesichts der aktuellen Entwicklungen und aus Verantwortung für die heranwachsende Generation sehr rasch geschehen. 

Kinder sind als Protagonisten besonders für andere Kinder vertrauenswürdig – vor welche Herausforderungen stellen junge Influencer die Medienbildung?
Kinder lernen die Erschließung der Welt nicht nur durch direkte Erfahrung, sondern auch durch Beobachtung von Vorbildern. Wichtige Vorbilder sind hier Eltern, Erzieher, Lehrer, Stars und Gleichaltrige. Andere Kinder sind besonders einflussreich, da Kinder sich sehr leicht mit ihnen identifizieren können. Aus der Entwicklungsforschung wissen wir, dass Kinder aufgrund ihrer kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung erst lernen müssen, Mediendarstellungen zu hinterfragen. Insbesondere im Grundschulalter besteht hier ein großer Förderbedarf. Kinder müssen lernen, dass die in Internetvideos gezeigten Erlebnisse anderer Kinder nicht einfach die Realität abbilden, sondern geschnitten und bearbeitet sind. Durch die Produktion eigener Videos können Kinder lernen, dass Videos nicht die Realität darstellen, sondern produziert sind und damit auch immer Verzerrungen enthalten. In unseren Hochschulseminaren realisieren wir aus diesem Grund Projekte an Schulen, in denen Kinder lernen Realitätsdarstellungen bewusst filmisch oder fotografisch zu manipulieren, um ihre kritische Kompetenz zu stärken.

Auf den großen Plattformen kommen Kindern mitunter auch mit nicht altersgerechten Inhalten in Berührung – sehen Sie in dieser Frage Regelungsbedarf?
Die Allgegenwärtigkeit des Internets und die Struktur der Videoportale, in denen unzählige Videovorschläge auch ungeeigneter Inhalte erscheinen, bergen Gefahren für die Entwicklung von Heranwachsenden. Aus der medienpsychologischen Forschung wissen wir, dass Medien nicht für alle Menschen gleich wirken, sondern aktiv verarbeitet werden. Dies heißt, dass Menschen in die Lage versetzt werden können, Medien kritisch zu hinterfragen und somit nicht unbedingt auf Medien in einer bestimmten Weise reagieren müssen. Auf der anderen Seite sind gerade jüngere Kinder noch kaum in der Lage, sich von Medieneindrücken zu distanzieren. So sehen Kinder beispielsweise häufig fiktionale Figuren als reale Personen. Der Glaube an den Osterhasen ist nicht nur ein geflügeltes Wort, sondern ist in den Vorstellungen kleiner Kinder durchaus virulent. Auch fiktionale Gewaltdarstellungen werden von Kindern häufig als real wahrgenommen. Auch wenn Kinder den Unterschied zwischen Filmszenen und dem realen Leben prinzipiell kennen, können bestimmte Darstellungen für Kinder dennoch sehr belastend sein, da sie dennoch emotional stark wirken können. Noch problematischer ist die Darstellung von realer Gewalt. Aus diesem Grund ist unbedingt darauf zu achten, dass Kinder nicht mit ungeeigneten Medien konfrontiert werden. Inzwischen gibt es zwar eine ganze Reihe softwaregestützte Filter- und Kontrollmöglichkeiten, doch nicht alle Eltern kennen und verwenden diese Möglichkeiten konsequent genug. Zudem ist ein kompletter technischer Schutz in einer offenen Gesellschaft nahezu unmöglich. Aus diesem Grund ist unverzüglich ein Maßnahmenplan für den Schutz von Heranwachsenden zu entwickeln. Der Einbezug von medienpädagogischen und kindheitspädagogischen Experten ist hier unbedingt erforderlich, da bei Verboten natürlich auch beachtet werden muss, dass die Kinder gleichzeitig dabei gefördert werden, einen sinnvollen Umgang mit Medien zu entwickeln und ihr eigenes Rezeptionsverhalten zu reflektieren. Verbote allein sind somit wichtig, aber nicht hinreichend, um Kinder auf das Leben in der digitalen Welt vorzubereiten.

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