In der EU wird debattiert über eine Digitalsteuer für Internetkonzerne, die hier viel Umsatz machen, ihre Gewinne aber anderswo versteuern. Wie stehen Sie zu dieser Idee?
Das internationale Steuerrecht ist hier deutlich: Besteuerung muss dort stattfinden, wo Werte geschaffen werden. Dass Internetkonzerne ihre Gewinne irgendwo in der Südsee versteuern, obwohl sie durch Beiträge deutscher Steuerzahler erwirtschaftet wurden, ist höchst verwerflich. Dennoch ist der Kommissionsvorschlag ein Schnellschuss, der politisch motiviert ist. Pragmatischer ist, im Rahmen der G20 und der OECD eine langfristige Neuregelung der Steuerpflicht für die Digitalwirtschaft zu verhandeln. Der derzeitige OECD Zeitplan sieht eine Einigung bis 2020 vor, aber das liegt natürlich nach den Europawahlen im Mai 2019.
Im Gespräch ist eine Steuer von 3 Prozent auf digitale Umsätze großer Konzerne. Ist das aus Ihrer Sicht eine angemessene Größenordnung?
Ein Steuersatz von drei Prozent klingt zunächst verschwindend gering. Sicherlich wenn man das mit der durchschnittlichen Unternehmenssteuer von knapp 21% in den EU-28 vergleicht. Lassen Sie sich nicht Sand in die Augen streuen, denn die 21% werden vom Vorsteuerergebnis abgezogen, die drei Prozent sollen aber anhand des Umsatzes berechnet werden. Bloomberg berichtet, dass sich die Umsätze aus dem Geschäftsjahr 2017 für Apple auf 208 Mrd. EUR beliefen, deren Vorsteuerergebnis auf 58 Mrd. EUR – daraus ergibt sich eine Gewinnmarge von 27.8 Prozent. Im Vergleich: Volkswagen hatte einen Jahresumsatz von 231 Mrd. EUR, das Vorsteuerergebnis belief sich aber nur auf 14 Mrd. EUR und damit gerade mal sechs Prozent Gewinnmarge.
Die drei Prozent von Apples Umsatz (6.24 Mrd. EUR) machen auf das Vorsteuerergebnis berechnet 10.7 Prozent aus, bei Volkswagen entsprechen 6.93 Mrd. EUR aber unglaublichen 49.5 Prozent des Vorsteuerergebnisses. Ob man also nun Apple oder Volkswagen drei Prozent vom Umsatz abknüpft, macht einen gewaltigen Unterschied. Aus diesem Grund ist der Kommissionsvorschlag, anstatt Gewinn den Umsatz zu besteuern nicht zielführend und mit der globalen Steuerstruktur nicht vereinbar.
Diskutiert wird auch eine neue Definition von „Betriebsstätten“, um die Digitalkonzerne mit herkömmlichen Unternehmen gleichzustellen. Inwieweit könnte das ein guter Ansatz zur gerechteren Besteuerung sein?
Als Alternative zur traditionellen Definition für „Betriebsstätten“ wird momentan das Konzept der „digitalen Präsenz“ diskutiert. Die Logik wird hierbei umgedreht, da sie die Besteuerung nicht davon abhängig macht, wo das Unternehmen sitzt, sondern wo sich der Benutzer befindet. In der Praxis wenden bereits einige Länder unternehmensstandortunabhängige Steuermodelle an: Ungarn besteuert Internetwerbung in ungarischer Sprache und Frankreich besteuert den Online-Vertrieb von audiovisuellen Inhalten, wenn diese von einer IP-Adresse in Frankreich empfangen werden. Die Möglichkeiten sind unerschöpflich, das große Problem ist aber die Differenzierung zwischen der Besteuerung von Umsätzen und Gewinnen. Traditionell werden Gewinne besteuert oder einzelne Transaktionen. Der Kommissionsvorschlag ist aber, die aggregierten Bruttoeinnahmen zu besteuern, wodurch es unmöglich ist, die in früheren Phasen des Produktionsprozesses gezahlte Steuern abzuziehen. Im Rahmen der country-by-country Berichterstattung wird die Höhe der Gewinne eines Unternehmens auf einzelne Mitgliedsstaaten bezogen bereits ermittelt, es ist unerklärlich warum die Kommission den Umweg über die Umsätze machen will. Das ist unsauber und unlauter. Darüber hinaus versteuern die Unternehmen ihre Profite ja bereits, vielleicht zum beinah Nullpromille-Satz in irgendeinem Drittstaat, aber das ist legal und genau das ist das Problem.
Langfristig arbeitet die OECD an Steuergrundsätzen für die digitale Wirtschaft. Welche steuerlichen Regeln sollten für die digitalen Konzerne gelten? Ggf. auch: Was sind realistischerweise für Regeln zu erwarten?
Die Herausforderung in der Besteuerung der Digitalwirtschaft liegt darin, dass wir gezwungen sind die zwei Prinzipien, die dem internationalen Steuerrecht zugrunde liegen, neu denken zu müssen: Wir werden nicht darum herum kommen Nexus und Gewinnverteilung neu zu definieren. Die OECD hinterfragt in ihrem Zwischenbericht auch, ob ein ortsgebundener Nexus noch zeitgemäß ist, das heißt, es wird auf die eine oder andere Weise darauf hinauslaufen, dass Unternehmen nicht zwangsläufig nur an ihren Produktionsstätten oder Verkaufsstätten steuerpflichtig sind, sondern auch dort, wo sie zunehmend als Marktakteure sichtbar sind. Durch die Digitalisierung unserer Gesellschaften entstehen konstant und exponentiell neue Produkte, Plattformen und Dienstleistungen, für die es im Steuerrecht noch keine Klassifizierung gibt. Für diese Komponente ebenso wie für die wachsende Kommerzialisierung von Personendaten müssen neue Parameter definiert werden, die zum einen neue steuerliche Regeln global verankern und gleichzeitig für einheitliche Wettbewerbsbedingungen sorgen. Der Kommissionsvorschlag versucht dieses Problem zu umgehen, indem er den Nexus als „erhebliche wirtschaftliche Präsenz“ improvisiert und anstatt Gewinne Umsätze der Internetfirmen besteuern will. Damit bewegen wir uns aber auf steuerrechtlichem Glatteis.